Deutschland baut im Kampf gegen Diskriminierung vor allem auf Symbolik

Zeichensetzungsschwäche

Deutschland baut im Kampf gegen Diskriminierung vor allem auf Symbolik – ob im Fußball oder in der Politik.
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Als kürzlich vor dem Spiel der deutschen gegen die ungarische Nationalmannschaft in der Vorrunde der Fußball-EM der Männer vorgeschlagen wurde, die Münchner Allianz-Arena in Regen­bogenfarben erstrahlen zu lassen, war von einem »starken Zeichen« gegen die Diskriminierung von Homo- und Transsexuellen in ­Ungarn die Rede. Der europäische Fußballverband Uefa war jedoch dagegen, und so wurde das Zeichen nicht gesetzt. Hätte sonst vielleicht Geld gekostet. Dafür ließ es sich der deutsche Mittelfeldspieler Leon Goretzka beim Torjubel nicht nehmen, den ungarischen Fanblock mit einer Herzchengeste zu ärgern. Auch das ein »absolut starkes« Zeichen, wie es aus dem Lesben- und Schwulenverband Deutschlands hieß, hatten doch Mitglieder der rechtsextremen ungarischen Hooligan-Gruppierung Carpathian Brigade zuvor ­homosexuellenfeindliche Sprüche skandiert und Menschen mit Regenbogenfahnen angegriffen. Doch wozu überhaupt solche ­Zeichen?

Wäre es nicht die Aufgabe des deutschen Staats, mit Hilfe der EU politischen und wirtschaftlichen Druck auf das nicht nur in ­dieser Frage Richtung Faschismus driftende Ungarn auszuüben, um das System Orbán zu destabilisieren? Wie wäre es mit einer Anpassung der EU-Verträge, um derartige Fehlentwicklungen der Mitgliedstaaten zu verhindern? Und wie homosexuellenfreundlich ist der deutsche Fußball eigentlich, wenn es doch derzeit angeblich keinen einzigen schwulen Fußballer in den Bundesligen der Männer gibt und sich mit Thomas Hitzlsperger überhaupt erst ein Spitzenspieler – nach Karriereende, versteht sich – geoutet hat? Zeichen, wie stark sie auch scheinen mögen, kaschieren allzu oft nur den Unwillen zum Handeln.

Es gibt aber auch Zeichen, die als Handlung getarnt werden. Der jüngste Beschluss der Bundesregierung zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts zum Beispiel. Er sieht vor, dass künftig nicht nur schwere antisemitische Straftaten als Grund dafür gelten, eine Einbürgerung auszuschließen, sondern auch sogenannte Bagatelldelikte mit Verurteilungen zu Geld- oder Jugendstrafen. Ein symbolisches Handeln in direkter Linie jenes »starken Zeichens«, das Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 gesetzt hatte, als sie die ­Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson erklärte.

Denn Anlass für den Beschluss waren nicht die regelmäßig stattfindenden ­Attacken auf jüdische Menschen, Einrichtungen und Erinnerungsorte, sondern die Ausschreitungen bei den »propalästinensischen« Demonstrationen im Zuge der jüngsten Raketenangriffe der islamistischen Hamas auf Israel – die brennenden Israel-Fahnen und »Tod den Juden!«-Rufe.

Unerträglich war das allemal. Unerträglich waren aber auch die politischen Reaktionen, die nun in dem neuen Beschluss mündeten: Der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, schwadronierte von »eingewandertem Antisemitismus«, und der Unionsfraktionsvorsitzende im Bundestag, Ralph Brinkhaus (CDU), forderte mit dem rechten Slogan vom »verwirkten Gastrecht« Konsequenzen für Migranten. Denn, wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sekundierte: »Jüdinnen und Juden dürfen in Deutschland nie wieder in Angst leben.«

Aufgrund der stetig wachsenden Zahl antisemitischer Straftaten ist das indes längst der Fall, wie diverse Umfragen belegen. Nur dass die große Mehrzahl dieser Taten nicht von Migranten, sondern von Rechtsextremen begangen wird. Die 93,4 Prozent, die See­hofers eigenes Ministerium für 2019 nennt, sind zwar sicher zu hoch gegriffen, da nicht aufgeklärte Taten grundsätzlich Rechts­extremen zugerechnet werden. Aber dass die Bedrohung hauptsächlich importiert sei, geben die Zahlen keinesfalls her.

Der Beifall für den Beschluss hielt sich daher ebenso in Grenzen wie die Kritik daran. Potentiellen jüdischen Kommentatoren, die sich des linken und rechten Antisemitismus ebenso wie des Antisemitismus der Mitte allzu bewusst sind, dürfte der symbolische Akt kaum ein müdes Lächeln entlockt haben. Rechts- oder Neokonservative (beziehungsweise Rechtsantideutsche), die mit jedem arabischen Kriegsflüchtling, der es übers Mittelmeer schafft, ein europäisches Kalifat heraufdämmern sehen, wird man ohnehin nur mit totalem Einreisestopp und Islamverbot zufriedenstellen können.

Linke schimpfen zwar zuverlässig, dass hier letztlich Solidarität mit dem »Freiheitskampf der Palästinenser« und »legitime Israelkritik« unterbunden werden solle. Aber nach dem hart umkämpften Beschluss »Entschieden gegen Antisemitismus« der Bundestagsfraktion der Linkspartei 2011 blieb die große Protestwelle aus. Und der einzelne arabische Jugendliche, der sein Bleiberecht verwirkt, wenn er in pubertärer Entgrenzung das Feuerzeug an eine Israel-Fahne hält, ist dieser Gesellschaft eh egal – im Gegensatz zu seinem Mitschüler Mike-Kevin, dem auch dann noch alle Wege offenstehen, wenn er mal beim Einritzen eines Hakenkreuzes in die Schulbank erwischt wurde.

Nur ein deutscher Antisemit ist eben ein ordentlicher Antisemit. Und auch Deutsche gibt es erster und zweiter Klasse. Wer die geplanten Fragen zu Israel und Judentum im Einbürgerungsfragebogen zwar im genehmen Sinne beantwortet hat, sich aber in den zehn Jahren nach seiner Einbürgerung gegensätzlich äußert, soll den Pass nämlich wieder verlieren.

So entlarvt sich das vorgebliche Zeichen gegen Antisemitismus am Ende nur als weiteres Zeichen für völkisches Hausrecht. Und die nebensächliche Erweiterung des Beschlusses um rassistische Taten und solche aus Menschenverachtung lässt sich dahingehend interpretieren, dass auch die hiesigen Rassisten, Frauen-, Homo- und Transsexuellenhasser lieber unter sich bleiben möchten. Vielleicht wäre es besser gewesen, das Reichstagsgebäude in Regenbogenfarben anzustrahlen und darüber die israelische Fahne zu hissen. Einfach mal als »starkes Zeichen« – ohne weitere Verpflichtungen.