Antizionismus in der queeren Berliner Partyszene

Ballern gegen Israel

In der queeren Berliner Partyszene gibt es eine neue Welle antizionistischer Stellungnahmen. Ein Partykollektiv hat sich von dem Veranstaltungsort »About Blank« getrennt, weil der Club von »weißen Deutschen kontrolliert« werde.
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Ohne die ausufernden Exzesse des Berliner Nachtlebens hatten einige Partycrews während der Covid-19-Pandemie offenbar mehr Zeit zum Nachdenken in nüchternem Zustand. Zu viel sogar. So fiel den Veranstaltenden der queeren Partyreihe »Buttons« auf, dass der Club »About Blank«, mit dem sie seit über zehn Jahren zusammenarbeiten, ihnen nun doch zu »antideutsch« ist. Der Club positioniert sich bekanntermaßen gegen jeden Antisemitismus, erst kürzlich wieder explizit auch gegen israelbezogenen Antisemitismus. Nun machen die »Buttons« deswegen Schluss.

In einer wirren Stellungnahme auf Facebook und Instagram, die von Black Lives Matter, Chile, Bolivien und der Aids-Krise, aber auch vom Sternensystem, dem Kosmos und schwarzen Löchern handelt, heißt es: »Die queere Befreiung ist grundsätzlich mit den Träumen von der palästinensischen Befreiung verbunden: Selbstbestimmung, Würde und das Ende aller Unterdrückungssysteme.« Ganz so, als könnte die nächste freizügige Party problemlos auch in Ramallah oder Gaza-Stadt stattfinden. Oder als wäre ein unabhängiger palästinensischer Staat irgendwie eine queere Utopie und nicht auch ein Unterdrückungssystem. Gleichzeitig wird das reale Unterdrückungssystem der Hamas mit keinem Wort erwähnt.

Mal wieder dient Palästina als Projektionsfläche für den eigenen queeren Emanzipationskampf. Man stilisiert sich als Underdog und schlägt sich reflexartig auf die Seite der »Unterdrückten« – und verkennt dabei die eigenen Privilegien sowie die Tatsache, dass diese Kämpfe relativ wenig miteinander zu tun haben. So heißt es ­weiter in feinster identitätspolitischer Manier: Das »About Blank« werde von »weißen Deutschen kontrolliert«. Offenbar ein legitimer Trennungsgrund für das überwiegend aus weißen Italienern bestehende Kollektiv.

Das Posting von »Buttons« ergänzte ein am selben Tag veröffentlichter offener Brief der neugegründeten Initiative »Berlin Nightlife Workers against Apartheid«. Dieser solle das »erstickende Schweigen in der kulturellen Szene der Stadt« brechen – selbstverständlich nur zum Thema Israel. Es fallen die üblichen antizionistischen Buzzwords wie »ethnic cleansing«, »colonialism« und »racial supremacy«. Die Hamas kommt auch hier nicht vor. Bis Redaktionsschluss fand der offene Brief über 600 Unterzeichnende, viele von ihnen offenbar Trolle, darunter »Ayatollah Khomeini« aus Teheran, »Bernd Höcke« von der AfD und sogar ein gewisser »Joseph Goebbels«. Auch unter den 420 verifizierten Unterschriften befinden sich unwahrscheinliche Unterstützer wie Landolf Ladig, ein Pseudonym von Björn Höcke, oder Arafat Abou-Chaker, der von der Berliner Polizei als Clanchef geführt wird.

In der queeren Berliner Partyblase wurden der »Buttons«-Text und der offene Brief der »Nightlife Workers« mit Tausenden Likes überhäuft. Beifall kam von den Partyreihen »Cocktail d’Amore« und »Gegen«. Auch das queerfeministische Partykollektiv »Room 4 Resistance« teilte wenig überraschend den Link zum offenen Brief. Denn der Israel-Palästina-Konflikt ist der Grund, warum »Room 4 Resistance« nicht mehr im About Blank feiert: 2018 unterstützte die Partycrew die Kampagne #DJsForPalestine und rief zum Boykott Israels auf – nach Gesprächen beendete der Club deshalb die Zusammenarbeit.

Wie lässt sich erklären, dass Teile einer sich als emanzipatorisch und alternativ verstehenden Technoszene sich mit der palästinensischen Sache derart überidentifizieren? Immer wieder wird von »German guilt« gesprochen – ein Pauschalvorwurf, um deutsche Israelsolidarität zu delegitimieren. Nur die Nachfahren der Shoah-Täter, so die skurrile Logik, könnten jemals auf die böswillige Idee kommen, einen jüdischen Staat im Nahen Osten zu befürworten.

Für viele Partygäste aus westlichen Ländern dürfte auch die eigene Biographie eine Rolle spielen: Zum politischen Selbstbild einer internationalen Linken gehört allzu oft eine pauschale, unhinterfragte sogenannte Palästinasolidarität, als persönliche Schuldabwehr vor dem Hintergrund der imperialistischen Geschichte der eigenen Heimatländer, als Abgrenzung beispielsweise von weiten Teilen der US-amerikanischen Rechten, die politisch und militärisch an Israels Seite ­stehen. Oder einfach aus Antisemitismus.

Mit ihren Stellungnahmen tragen »Buttons« und die »Nightlife Workers against Apartheid« selbstredend überhaupt nichts dazu bei, um den Menschen in Gaza zu helfen, aber viel dazu, die Berliner Feierblase zum Platzen zu bringen. Denn wer sich nicht eindeutig gegen Israel positioniert, wird als Feind, Unterdrücker oder schlicht »Zionist« abgestempelt – als sei Letzteres etwas Negatives. Wer sich in dieser Schwarz-Weiß-Logik mit Israel solidarisch zeigt, müsse zwangsläufig den Palästinenserinnen und Palästinensern alles erdenklich Schlechte wünschen. Differenzierung? Fehlanzeige. Enthaltung? Unmöglich.

Die bittere Pille, dass der Konflikt doch nicht so simpel ist, wie manche ihn gerne hätten, lässt sich erheblich schwieriger herunterschlucken als ein Ecstasy-Teil im Rausch der Nacht. Denn diese Einsicht erfordert wirklich nüchternes Nachdenken. Und genau das fehlt in den Timelines und auf der Tanzfläche.