Das Künstlerduo Phantom Kino Ballett stellt in Köln aus

Das unendliche Archiv

Das Künstlerinnenduo Phantom Kino Ballett, bestehend aus Lena Willikens und Sarah Szczesny, zeigt auch in seiner neuen Ausstellung die ganze Bandbreite seiner Einflüsse aus der (Pop-)Kultur.

In der quadratischen Box befinden sich ein beidseitig bedrucktes Poster, ein 40 Seiten starkes Booklet, das ­einen Essay enthält, und eine Vinylscheibe. Diese Box mit dem Titel »Phantom Seance Ballett« ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Schaffen der Künstlergruppe Phantom Kino Ballett. Hinter diesem Namen verbergen sich die Malerin Sarah Szczesny und Lena Willikens, die man seit einigen Jahren vor allen Dingen als renommierte Techno-DJ kennt.

Wäre es nicht unangemessen, die vielen Medien, derer sich die beiden bedienen, hierarchisch zu ordnen, würde man womöglich die Vinylplatte als die Hauptsache dieser Box begreifen. Auf ihr sind zwei Sound-Collagen zu hören, die lose aufeinander aufbauen: Auf der A-Seite findet sich der Mitschnitt einer Performance, die im Jahr 2019 im Neuen Aachener Kunstverein stattfand. Wie ein Mix­tape vermengen sich darin Dialogfetzen aus Filmen oder Fernsehinterviews, Field Recordings, Youtube-­Videos und Musik zu einer »Geisterbeschwörung« – weswegen diese ­Inkarnation des ruhelosen und sukzessive wachsenden work in progress nicht mehr »Phantom Kino«, sondern »Phantom Seance Ballett« heißt.

Selbst wer die bisherige Arbeit von Phantom Kino Ballett verfolgt hat, hat nur einen kleinen Einblick in das riesige Daten-, Foto-, Sound- und Filmarchiv bekommen, welches das Duo seit dem Beginn der Zusammenarbeit 2015 angelegt hat.

Dort treffen also die Geräusche ­eines Magnetresonanztomographen auf den Sprachduktus des Underground-Filmemachers Jack Smith, und Musik der beiden Künstlerinnen Viktoria Wehrmeister und Detlef Weinrich verschmilzt mit einem Ausschnitt aus »Andy Warhol’s Women in Revolt«, in dem die Stimme der transsexuellen Schauspielerin Candy Darling erklingt. Diese komplexe Komposition setzt sich auf der B-Seite fort und heißt dort »Studio Chamber Seance«. Diese haben Szczesny und Willikens während der Covid-19-Pandemie an den jeweiligen Wohnorten – hier Köln, dort Amsterdam – zusammen entworfen und produziert.

Selbst wer die bisherige Arbeit von Phantom Kino Ballett verfolgt hat – unter anderem wurde diese in Ausstellungen in Aachen, im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf, im Hamburger Pudel Club und im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt am Main gezeigt, ferner veröffentlichten sie eine Kassette auf dem Label Commend aus New York City –, hat nur einen kleinen Einblick in das riesige Daten-, Foto-, Sound- und Filmarchiv bekommen, welches das Duo seit dem Beginn der Zusammenarbeit 2015 angelegt hat. Damals veröffentlichte Willikens auf dem Label Cómeme ihre EP »Phantom Delia«. Szczesny, die für die visuelle Erscheinung des Labels und seiner Künstler verantwortlich zeichnete, entwickelte hierfür mit Willikens Kostüme, Collagen und später Musikvideos.

Hält man sich die Lebensläufe der beiden vor Augen, verwundert es beinahe, dass diese Zusammenarbeit erst so spät begann, immerhin kreuzten sich ihre Wege schon seit der Jahrtausendwende immer wieder. Willikens und Szczesny studierten zur selben Zeit an der Kunstakademie Düsseldorf, die allerdings mit über 500 Studierenden in mehr als 20 Klassen so groß ist, dass man sich nicht automatisch in den gleichen Kreisen bewegt. Nachhaltigen, wechselseitigen Eindruck beim heutigen partner in crime machten Projekte und Engagements, die vergleichsweise wenig mit dem Studium zu tun hatten. Zum einen öffnete in der Düsseldorfer Altstadt ein Club, der weit über die Stadtgrenzen hinweg bekannt wurde: Der »Salon des Amateurs«, in dem Willikens erst als Türsteherin, später dann als DJ und Bookerin arbeitete. Zum anderen nahm in Köln der Off-Raum »Bar Ornella« seinen Betrieb auf, den Szczesny mit weiteren Künstlerinnen und Künstlern betrieb, die dort Ausstellungen und Lesungen organisierten. »Wir beide waren mit den Strukturen an der Akademie nicht zufrieden, haben vieles abgelehnt, was dort passierte. Umso wichtiger waren diese Freiräume, die wir uns geschaffen haben; Orte, die wir nutzten, um unabhängig zu arbeiten«, erzählt Willikens im Interview mit der Jungle World.

»Es ist total interessant, dass wir aus den Erfahrungen in Düsseldorf und Köln unsere eigenen Schlüsse gezogen haben, unterschiedliche Wege gegangen sind und schlussendlich zusammenfanden«, zeigt sich Sarah Szczesny selbst überrascht. Noch 2015, nach »Phantom Delia«, war nicht klar, was sich aus dieser Zusammenarbeit ergeben würde. Das bildete sich erst nach und nach he­raus und nahm seine heutige Form in Japan an, während eines gemeinsamen Stipendiums des Goethe-Instituts in der Villa Kamogawa in Kyōto.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich in ihren Arbeiten bei genauerer Betrachtung vielerlei Anleihen bei japanischer Kultur finden lassen. Die Videos, die Ausstellungsarchitektur und auch die Overalls, die Kostüme des Duos und seiner Gäste bei Performances, spielen mit ihrer schwarzweißen Farbgebung auf das Nō-Theater der Edo-Zeit an. Und so mancher Sound bei den Live-Shows er­innert an das rituelle Bearbeiten kleinerer oder größerer Sand- und Steingärten, der Kasansui; Zuschauerinnen und Zuschauer werden vor ­einem traditionellen Eingangsvorhang, dem Noren, begrüßt.

Diese Referenzen sind nicht bloß einer Japanophilie oder gar einem Exotismus geschuldet, sondern Teil der »individuellen Mythologie« des Duos – um den Begriff zu bemühen, den der Kurator Harald Szeemann in den Siebzigern für die hermetischen Kunstwelten eines Paul Thek oder eines La Monte Young geprägt hat. Für Szczesny und Willikens ist vor allen Dingen der bis heute leider vernachlässigte, manisch-poetische und wunderbar wirre Werkkörper der Künstlerin Anna Oppermann ein wichtiges Vorbild. Die häufig mit sich und der Welt hadernde Oppermann wurde auch mit Interview­ausschnitten auf der Vinylveröffentlichung verewigt.

Den Konnex zwischen der japanischen Kultur, dem Sichern und Archivieren von Fundstücken und der Vorliebe für Personen der Popgeschichte – wie die bereits erwähnten Jack Smith, Candy Darling oder Anna Oppermann – begründet das beiliegende Essay. Dessen Autor Thomas Vorreyer strickt seinen Text aus der Etymologie des Wortes Phantom (von griechisch: phántasma – Geist, Trugbild), Atsushi Kadowakis Soziologie einer »anderen Welt« und Jacques Derridas Begriff der Hauntologie. Als Einfluss kann man exemplarisch auch das schweifende Philosophieren des Filme­machers Ingmar Bergman nennen, der mit einem Ausschnitt über die Liebe zur eigenen Nichtexistenz, zum Auslöschen des Ich-Zustands, nicht nur auf der Platte Platz findet, sondern darüber hinaus Namensgeber einer Ausstellung ist, die fast gleichzeitig zur Veröffentlichung der ­Vinylbox am 25. Juni in der Kölner Galerie Jubg eröffnete: »To feel like a dirty snake is not good«.

Diese neue Galerie, die der Musiker und Labelmacher Jens-Uwe Beyer aka Popnoname künstlerisch leitet und der »Neuen Wilde« Albert Oehlen finanziert, wird einen Monat lang Schauplatz von Phantom Kino Ballett sein. Wobei ein Teil der Ausstellung eigentlich außerhalb der Galerieräume stattfindet: Durch die große Fensterfront lassen sich wie in einem Schaukasten die Arbeiten des Duos wie zum Beispiel neugestaltete Kostüme bewundern; die oben erwähnten Vorhänge verhängen Teile der Fassade. Über Bewegungsmelder ist es außerdem möglich, draußen 20 verschiedene Sound-Loops auszulösen, welche auch als Endlosrillen in die Vinylplatte gepresst wurden. Im Inneren der Galerie gelangt man über eine Treppe zu einem Kellerraum, in dem weitere Video-Loops und neugestaltete Kostüme zu sehen sind.

Dass man es hier mit einer besonderen Entwicklung von Phantom Kino Ballett zu tun hat, erschließt sich recht schnell: Neben Schwarz und Weiß hat nun auch die Farbe Blau Eingang gefunden. Welchen mytho­logischen Wert diese hat, wird sich womöglich erst in der Zukunft abschätzen lassen.

Die Ausstellung »To feel like a dirty snake is not good« von Lena Willikens und Sarah Szczesny ist noch bis zum 25. Juli in der Galerie Jubg in Köln zu sehen.