Der russische Staatssender RT DE will via Luxemburg ins deutsche Fernsehen

Propaganda, aber subversiv

Russia Today will endlich ins deutsche Fernsehen und hat in Luxem­burg eine Sendelizenz beantragt. Kritiker der russischen Regierung werden von russischen Staatssendern angefeindet und oft diffamiert.

»Was hat die Bundesregierung im Fall Nawalnyj zu verbergen?« Der Titel des im vergangenen September von dem russischen Staatssender RT DE (ehemals RT Deutsch) veröffentlichten Videos versprach dramatische Enthüllungen, die jedoch ausbleiben. Warum habe Deutschland nicht auf russische Rechtshilfeersuchen zur Aufklärung des Mordanschlags auf Nawalnyj geantwortet, fragte der RT DE-Redakteur Florian Warweg in der Bundespressekonferenz die anwesenden Sprecher der Bundesregierung. Die gleiche Frage wiederholte auch die russische Regierung monatelang, um von der eigenen unterlassenen Aufklärung abzulenken.

Das Ersuchen werde eben noch geprüft, sagte ei­ne Sprecherin des Justizministeriums. Und überhaupt verfüge Russland über alle notwendigen Materialien, um Ermittlungen vorzunehmen, ergänzte Regierungssprecher Steffen Seibert. Bei­de waren sichtbar genervt von der offenkundigen Provokation. Wer aber will – und ein Blick in die Kommentarspalten auf der Website von RT DE zeigt, dass viele wollen –, sieht darin einen weiteren Beweis für die dreisten Lügen der deutschen Regierung.

Prominente Oppositionelle aus Russland finden in der deutschen Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit. Um dagegen seine Sicht der Dinge zu präsentieren, unterhält der russische Staat weltweit Auslandssender.

Prominente Oppositionelle aus Russland, die wegen Repressalien das Land verlassen mussten, wie Aleksej Nawalnyj, Michail Chodorkowskij oder die Punk-Aktivistinnen von Pussy Riot finden in der deutschen Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit. Um dagegen seine Sicht der Dinge zu präsentieren, unterhält der russische Staat weltweit Auslandssender.

Florian Warweg war früher bei der Linkspartei in Berlin-Neukölln aktiv und schrieb für das linke Nachrichtenportal Amerika 21. Mittlerweile ist er Dauergast in der Bundespressekonferenz, er preist sich selbst als »subversives RT-Element«. Anfang Mai beklagten in einem offenen Brief 58 Mitglieder der Bundespressekonferenz, diese werde in wachsendem Maße »für propagandistische Zwecke und für die Verbreitung von Verschwörungsmythen« benutzt. Unter Titeln wie »Offenbarungseid« oder »Realsatire« veröffentlicht RT DE angeblich entlarvende Clips der Regierungssprecher. Besonders erfolgreich waren zuletzt Videos, die das Milieu der Impfgegner ansprechen. Über eine halbe Millionen Menschen sahen sich an, wie Warweg das Gesundheitsministerium mit einer Studie konfrontierte, der zufolge der Impfstoff von Biontech/Pfizer eine »gefährliche Konzentration von Nanopartikeln in Organen« hervorrufe.

RT DE ist Teil des global operierenden Medienimperiums Russia Today (RT). In Großbritannien und den USA laufen RT-Sendungen im Kabelfernsehen, auf Arabisch und Spanisch ist der Sender per Satellit zu empfangen, die RT-Tochterunternehmen Ruptly und Redfish mit Sitz in Berlin produzieren Videos und Inhalte für soziale Medien. Der deutsche RT-Ableger, dessen Studios sich in Berlin-Adlershof befinden, wurde lange vernachlässigt: Seine Produktionen wirkten bis vor kurzem häufig unprofessionell, noch immer sind sie nur online verfügbar. Doch ab Dezember will der Sender ein Vollprogramm auf deutsche Fernsehschirme bringen. Er sucht händeringend nach Redakteuren, Kameraleuten und Produzenten, »um auch in Zukunft die führende alternative Nachrichtenquelle zu bleiben«, wie es auf seiner Website heißt.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz warf dem Sender im Oktober vorigen Jahres vor, »Desinformation und Propaganda über die Coronasituation« zu verbreiten. Im März beklagte eine russische Regierungssprecherin deshalb, deutsche Behörden würden die Arbeit von RT sabotieren. Sie drohte mit »harten Gegenmaßnahmen für die in Russland arbeitenden deutschen Medien«. Hintergrund seien Kündigungen von RT-Geschäftskonten durch Banken in Deutschland. Anfang Juni beklagte Präsident Wladimir Putin, russische Kanäle in Deutschland würden »stranguliert«. Weil ausländische Staatssender in Deutschland keine Sendelizenzen bekommen, habe RT DE eine Lizenz in Luxemburg beantragt, berichtete kürzlich die FAZ.

In der Redaktion von RT DE gebe es »Rechte und Rechtsextreme, Linke und ›echte Kommunisten‹, Verschwörungstheoretiker beziehungsweise (seit Beginn der Coronapandemie) ›Querdenker‹ und Russischstämmige«, sagte im März der ehemalige RT DE-Mitarbeiter Daniel Lange der Bild-Zeitung Tatsächlich bieten russische Staatsmedien weltweit einen eklektischen politischen Mix. In den USA beinhaltet dieser hippe antiimperialistische Online-Formate genauso wie Trump-Propaganda, auf RT DE werden rechte Verschwörungstheoretiker ebenso wie Politiker der Links­par­tei interviewt. In unzähligen Artikeln kritisiert der Sender den Begriff »Querfront« als »demagogischen Vorwurf.«

Die von RT DE veröffentlichten Meinungstexte, oft von Gastautoren verfasst, sollen, wie es auf der Website des Senders heißt, ein »breites Meinungsspektrum« abbilden, transportieren jedoch in der Summe eine bestimmte Sicht der Weltpolitik. Der Westen befinde sich demnach in der Krise, die Zeit seiner Vormachtstellung sei vorbei, er müsse seine überhebliche und aggressive Haltung gegen Russland aufgeben. Russland, das Ausgleich und Koexistenz anstrebe, sei dagegen unter Putin erstarkt und wisse sich wieder zu wehren. Warnungen vor dem »Säbelrasseln« der Nato stehen neben detaillierten Analysen über Russlands »Revolution im Panzerbau«. Russische Marineübungen vor Hawaii während des Gipfeltreffens zwischen US-Präsident Joe Biden und Wladimir Putin im Juni sollten zeigen, dass die russische Marine »imstande wäre, die Macht des US-Militärs zu entkernen«, heißt es in einem Kommentar. Ein anderer nennt die Nato ein »aufgeblähtes Gebilde« und »kein lebensfähiges Militärbündnis«. Auch die politischen Verhältnisse in Deutschland werden als brüchig dargestellt. Dass »dissidente Meinungen« und die AfD verteufelt würden, zeige, dass die »Herrschenden von der Angst getrieben sind, ihre Meinungshoheit zu verlieren«, schrieb im Juni der Gastautor Jochen Mitschka.

Linken Autoren fällt die Aufgabe zu, den Bankrott des liberalen Kapitalismus zu konstatieren und den autoritären Staatskapitalismus Russlands und Chinas als Alternative anzupreisen. »Während die westlichen Staaten nur leere Versprech­ungen und Moralpredigten von ­sich geben«, habe China dem Rest der Welt gezeigt, »dass es eine ­gute Alternative zum westlichen Entwicklungsmodell gibt«, schreibt etwa der Redakteur Dennis Simon. Die Kritik am neoliberalen Westen geht oft einher mit der Verteidigung staatli­cher Repressalien in Russland. Über drei deutsche NGOs, die kürzlich in Russland verboten wurden ­(siehe In Russland unerwünscht), heißt es, diese seien Teil eines »weitverzweigten Netzwerks der Einflussnahme in Russland« gewesen und die »Programmatik, für die all diese Organisationen stehen« sei »durchweg marktradikal und damit gesellschaftlich schädlich«. Derselbe Autor schrieb vor einem Jahr auf RT DE, »dass das Engagement für LGBT als Vehikel dient, bestimmte Ideen des Neoliberalismus über das Individuum gesellschaftlich zu verankern«.

Oft dienen Verschwörungstheorien in russischen Staatsmedien schlicht dazu, die Rolle des russischen Staates bei internationalen Verbrechen zu verschleiern, etwa im Falle des Einsatzes von Giftgas durch das mit Russland verbündete syrische Regime. Dazu werden internationale Organisationen ­wie die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) diskreditiert, es wird der Eindruck erweckt, diese seien Teil einer gegen Russland gerichteten Verschwörung.

Doch es sei zu einfach, »RT als reine ›russische Propaganda‹« zu bezeichnen, schreiben die Politikwissenschaftler Ilya Yablokov und Precious N Chat­terie-Doody in ihrem kürzlich veröffentlichten Buch »Russia Today and Conspiracy Theories«, für das sie den RT-Sender in den USA untersuchten. RT spre­che »internationale Zuschauergruppen mit einer deutlichen Anti-Eliten-Botschaft an« und greife dazu meist bereits in der jeweiligen Gesellschaft zirkulierende Verschwörungstheorien auf. RT präsentiere sich so als Stimme des angeblich unterdrückten populistischen Protests in den westlichen Gesellschaften. Zugleich werde Russland als »globaler Underdog« dargestellt, der vom Westen bedrängt werde.

Wie ein solches Fernsehprogramm mit den weltpolitischen Zielen des russischen Staates zusammenhängt, zeig­te ein Ende Juni vom russischen Außenminister Sergej Lawrow veröffentlichter Essay. Für Spott sorgte die darin enthaltene Behauptung, in zahlreichen westlichen Ländern werde an Schulen unterrichtet, Jesus Christus sei bisexuell gewesen, was einem »Übergriff auf die Natur des Menschen selbst« gleichkomme. Mit solch ultrakonservati­ver Rhetorik plädiert der russische Außenminister für das Konzept einer zivili­satorischen »Diversität« und gegen den universellen Anspruch des westlichen Liberalismus und »neoliberaler und neokonservativer Werte«. Der Westen müsse akzeptieren, dass er anderen Staaten nicht »seine Vision der Demokratie« aufzwingen könne. Realpolitisch ist der Text ein Bündnisangebot nicht nur an China, das, so Lawrow, wie Russland vom Westen bedrängt werde, und an autoritär regier­te Staaten weltweit, sondern an all jene politischen Lager innerhalb des Westens, die mit der Weltpolitik des Westens oder dessen liberaler Gesellschaftsordnung unzufrieden sind. So findet die russische Regierung in Europa seit Jahren nicht nur Gegner, sondern auch immer mehr Unterstützer.