Sportfunktionäre wollen die Olympischen Sommerspiele 2036 in Berlin und Tel Aviv veranstalten

Aller schlechten Dinge sind drei

Die Olympischen Spiele 2036 sollen, so die Idee zweier Sportfunktionäre, in Tel Aviv und Berlin stattfinden.

Bereits im April dieses Jahres schlugen die Sportfunktionäre Richard Meng (Präsident der Deutschen Olympischen Gesellschaft, DOG) und Frank Kowalski (Geschäftsführer der Leichtathletik-EM 2018 in Berlin) in einem Gastartikel für die Berliner Morgenpost vor, die Olympischen Sommerspiele genau 100 Jahre nach den NS-Propagandafestspielen gleichzeitig in Israel und Deutschland stattfinden zu lassen. Unterstützt wurde dieser Vorschlag vom Berliner Sport- und Innensenator Andreas Geisel (SPD), der erklärte, dass die Ausrichtung »natürlich ein starkes Zeichen für Frieden und Völkerverständigung – im vollen Bewusstsein unserer schmerzlichen Geschichte und des scheußlichen Miss­brauchs der olympischen Idee durch die Nationalsozialisten« sei.

Richard Meng begründete die Idee deutsch-israelischer Sommerspiele in einem Interview mit dem RBB damit, dass das Jahr 2036 für Deutschland und insbesondere Berlin ein »schwieriges Datum« sei. Die deutsch-israelischen Spiele sollten »ein Signal in die Zukunft sein« und eine »Verbindung zwischen den Nachkommen der Opfer und den Nachkommen der Täter« herstellen. Meng versicherte im selben Interview weiter, dass es sich bei dem Projekt nicht um »Erinnerungsspiele«, sondern um »ein Zeichen« für »eine friedliche und verständnisvolle Welt« und »gegen Rassismus und Gewalt« handele. Das Olympische Komitee von Israel zeigte sich für die Idee einer Ausrichtung 2036 in Berlin zunächst offen, reagierte aber nicht konkret auf den Vorschlag.

Ein Blick in die Sportgeschichte zeigt, dass der Vorschlag bereits der dritte Versuch wäre, »friedliche« Spiele in Deutschland auszurichten. Das misslang in der Vergangenheit aber bereits zweimal.

Es ist schwer vorstellbar, die Sommerspiele im Jahr 2036 in NS-Bauten wie dem Berliner Olympiastadion auszutragen.

Während es vor den Berliner Olympischen Spielen 1936 in den USA, Frankreich und Großbritannien aufgrund von Berichten über Konzentrationslager und der Implementierung der Nürnberger Rassengesetze Bemühungen gab, die Spiele zu boykottieren, setzten sich – trotz europaweiter Proteste gegen die »Hitler­olympiade« – damals die Befürworter beim Internationalen Olympischen Komitee durch.

Die führenden Kräfte der NSDAP sahen die Spiele als Chance, Deutschland als überlegene Großmacht zu inszenieren. Der Vormachtsanspruch schlug sich im Rückgriff auf antike Traditionen und Symbole in Architektur und Inszenierung nieder. Das Olympiastadion wurde vom NSDAP-Mitglied Werner March geplant. Folgerichtig bezeichnen die Historiker des Instituts für Zeitgeschichte München (IFZ) das Stadion als »NS-Ideologie in Stein« mit einer »zentralen Bedeutung als Ort nationalsozialistischer Propaganda«. Die Frage, wie das Land Berlin mit dem Erbe der nationalsozialistischen Bauten – nicht zuletzt dem olympischen Bauensemble im Westen der Stadt – umgehen sollte, ist bis heute ungeklärt. Die Historiker des IFZ München forderten in einem jüngst vorgelegten wissenschaftlichen Gutachten eine Haltung kritischer Distanz zu den Relikten aus der Zeit der NS-Herrschaft wie beispielsweise Straßen- und Gebäudenamen, Statuen oder der Olympischen Glocke aus dem Jahr 1936.

Während der NS-Propagandafestspiele 1936 sollte der staatlich verordnete Antisemitismus vertuscht werden, weshalb für eine bestimmte Zeit auf öffentlichkeitswirksame antisemitische Angriffe verzichtet wurde. Der Sportwissenschaftler Hans Joachim Teichler weist in seiner Monographie »Internationale Sportpolitik im Dritten Reich« darauf hin, dass der erhoffte »Olympiafrieden für die Juden« nicht eintrat, da die offiziell angewiesene Zurückhaltung – wie Versammlungsruhe oder die Ausrichtung des Rundfunkprogramms auf Unterhaltung – sich auf die Austragungsorte der Spiele beschränkt habe. In einer für alle Gliederungen der NSDAP bindende Bekanntmachung stand: »Es ist unsere Aufgabe, das gesamte Ausland weiter davon zu überzeugen, daß in Deutschland Ruhe, Ordnung und Sicherheit herrscht und daß das deutsche Volk von ganzem Herzen den Frieden wünscht. (…) Wir wollen in diesen Wochen der Olympiade dem Ausland beweisen, daß es Lüge ist, wenn dort immer wieder behauptet wird, daß in Deutschland Judenverfolgungen an der Tagesordnung sind.«

Trotz dieser Verlautbarungen gingen die Entrechtung und Verfolgung während der Sportwettkämpfe im Verborgenen weiter: Während bis zu 100 000 Zuschauer aus aller Welt den Wettkämpfen in den Sparten Leichtathletik, Fußball und Reiten im Olympiastation beiwohnten, wurde auf Anweisung des gerade zum Reichsführer SS ernannten Heinrich Himmler keine 40 Kilometer entfernt das KZ Sachsenhausen in Oranienburg fertiggestellt, in dem von 1936 bis 1945 mehr als 200 000 Menschen inhaftiert wurden. Es ist also, insbesondere aus der Perspektive von Nachfahren der Opfer des Holocaust, schwer vorstellbar, die Sommerspiele im Jahr 2036 in den NS-Bauten wie dem Berliner Olympia­stadion auszutragen.

Während zum Zeitpunkt der Olympischen Spiele 1936 Juden bereits im Deutschen Reich offiziell für minderwertig und unerwünscht erklärt worden waren, zeigte sich die sozialliberale Bundesrepublik bei den Olympischen Spielen 1972 in München außerstande, die israelische Mannschaft zu schützen. Das Resultat des von palästinensischen Terroristen verübten Münchner Olympia-Attentats: elf ermordete israelische Sportler.
Ein knappes halbes Jahrhundert nach dem Münchner Attentat bestehen Zweifel, ob der deutsche Staat überhaupt in der Lage ist, eine Großveranstaltung wie die Olympischen Spiele ausreichend abzusichern. Meng und Kowalski begründen in ihrem Gastartikel – in welchem die Begriffe »Antisemitismus« und »Nationalsozialismus« übrigens gar nicht vorkommen – die Standortwahl damit, dass Berlin eine »bunte Stadt mit ziviler, weltoffener kultureller Prägung« sei. Diese Weltoffenheit gilt sehr häufig nicht für Juden: Es ist nicht lange her, dass auf Berliner Straßen antisemitische Demonstrationen stattfanden, auf denen Parolen wie »Kindermörder Israel« gerufen wurden, und Synagogen in mehreren deutschen Städten Ziele von Angriffen wurden. Allein im vergangenen Jahr wurden der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) zufolge in Berlin 348 Personen Opfer antisemitischer Vorfälle.

Auch wenn sich die Befürworter einer Doppelbewerbung keine »Erinnerungsspiele« wünschen, sind es mit Blick auf die Geschichte Deutschlands als Austragungsort der Spiele doch die Erinnerung und Aufarbeitung, die in den Vordergrund gestellt werden müsste; krampfhafte Gesten von Weltoffenheit helfen dabei nicht. Wie schwer sich die Sportfunktionäre des Internationalen Olympischen Komitees mit der Aufarbeitung der Vergangenheit in den eigenen Reihen tun, lässt sich belegen, beispielsweise an der Wirkungsgeschichte des Sportwissenschaftlers und Mitorganisators der Olympischen Spiele von 1936, Carl Diem. Dieser war ein wichtiges Mitglied der Deutschen Olympischen Gesellschaft und hatte nach 1945 die Weichen für die Professionalisierung des Spitzensports in Westdeutschland gestellt. Kurz vor der militärischen Zerschlagung des NS-Regimes rief er Mitglieder der HJ auf dem Berliner Olympiagelände zu einem »finalen Opfergang für den Führer« auf. Ferner gründete er im Jahr 1947 die Sporthochschule Köln und war Sportreferent im Bundesinnenministerium. Welche Rolle Diem konkret im nationalsozialistischen Machtapparat spielte, wurde bis heute nicht lückenlos aufgearbeitet.

Ein anderes Beispiel für die zögerliche Aufarbeitung innerhalb des organisierten internationalen Sports ist der jahrzehntelange Kampf der Angehörigen um eine Gedenkminute für die Opfer des Münchner Olympiaattentats. Erst 40 Jahre später, bei den Olympischen Spielen 2012 in London, wurde der ermordeten Israelis offiziell gedacht.

Ganz ohne Berlin und die Krämpfe deutscher Geschichtspolitik gibt es übrigens derzeit in Israel Bemühungen, die Olympischen Spiele in das eigene Land zu holen: Tel Aviv und Ramat HaSharon forcieren bereits eine Bewerbung für das Jahr 2048, zum 100. Geburtstags Israels.