Auch linke Parteien und Aktivisten nahmen an den Protesten in Belarus teil

Von links gegen Lukaschenko

Auch linke Parteien und Aktivisten gehören der belarussischen Opposition an. Sie kritisieren, dass die Proteste nicht wesentlich von Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit bestimmt wurden.

Die weißroten Nationalflaggen des vorsowjetischen Belarus und Rufe nach Freiheit wie im Westen prägen das Bild, das die ausländischen Medien im Allgemeinen von der Opposition gegen das belarussische Regime zeichnen. Doch es wäre falsch, den gesamten Protesten eine liberale und nationale Ausrichtung zuzuschreiben. Die Oppositionsbewegung ist so heterogen, wie es die belarussische Gesellschaft auch ist. Gegen Präsident Alexander Lukaschenko kämpften auch linke Parteien bis hin zu Kommunisten und Anarchisten. Letztere leiden besonders unter staatlicher Repression, erst Ende Juli wurden zwei bekannte Anarchisten in Minsk verhaftet.

Die oppositionelle Linke hatte es in Belarus lange schwer, denn Lukaschenko führte, als er 1994, an die Macht kam, nicht nur viele sowjetische Symbole wieder ein, sondern versprach auch die staatliche Sozialfürsorge und die staatliche Kontrolle von Schlüsselindustrien zu erhalten. Damals unterstützte ihn die Kommunistische Partei. Von dieser spaltete sich 1996 die heutige Partei »Gerechte Welt«, die bis 2009 Partei der weißrussischen Kommunisten hieß, ab und opponiert seither sowohl gegen den Diktator Lukaschenko als auch gegen die von ihr als neoliberal und prowestlich wahrgenommenen Teile der Opposition.

»Gerechte Welt« ist, wie die deutsche Linkspartei, Mitglied des Parteienbündnisses Europäische Linke. Wie alle ­Oppositionsparteien in Belarus ist sie starken Repressalien ausgesetzt. Sie habe es bisher jedoch geschafft, ihre staatliche Registrierung und die Parteigremien sowohl in den regionalen Zentren als auch in Kleinstädten zu ­erhalten, sagt Pawel Katorschweskij, ­Politikwissenschaftler und Mitglied des Zentralkomitees der Partei, der ­Jungle World. Der 25jährige Trotzkist hat ­wegen seiner Teilnahme an den Protesten im vergangenen Jahr selbst einige Tage im Gefängnis gesessen.

Oppositionelle Parteien und NGOs werden immer weiter in die Illegalität gedrängt.

Die Bedingungen für Oppositionelle waren freilich schon in der Ver­gangenheit schwierig. Seit 1994 gibt es keine freien Wahlen mehr, Zensur wird ausgeübt, ein Streikrecht gibt es ebenso wenig wie Versammlungsfreiheit, Aktivisten werden kriminalisiert. Doch seit August vorigen Jahres hat die staatliche Unterdrückung ein neues Niveau erreicht. Sie habe einerseits zu Furcht geführt und den Politisierungsprozess ins Stocken gebracht, an­dererseits aber auch zu einer Radi­kalisierung in Teilen der Bevöl­kerung und einer ­erhöhten Gewaltbereitschaft ­gegen Sicherheitskräfte bei­ge­tragen, schildern verschiedene linke Aktivisten der Jungle World ihre ­Eindrücke.

Lukaschenko, der 1994 mit einem an den Staatssozialismus erinnernden Programm gewählt worden war, versprach der Bevölkerung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wirtschaftliche Stabilität. Weil das viele Jahre besser gelang als in anderen postsowjetischen Staaten, zum Beispiel im Nachbarland Ukraine, konnte er seine Herrschaft festigen. Doch immer wieder versuchte Lukaschenko, mit autoritären Maßnahmen die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu lösen.

Vor allem die Rechte von Arbeitern wurden beschnitten, Gewerkschaften entmachtet oder der Kontrolle der ­Regierung unterstellt. Seit der Jahrtausendwende haben die meisten Arbeiter nur noch Kurzzeitverträge und müssen jederzeit um ihren Arbeitsplatz fürchten. Internationale Wirtschaftskrisen und Stagnation in weiten Teilen der belarussischen Wirtschaft machten vor allem in den vergangenen Jahren das Wohlfahrtsversprechen der Regierung immer unglaubwürdiger.

Bei den Protesten machten Linke zwar auf diese Missstände aufmerksam und forderten Arbeiterrechte und bessere soziale Absicherung. Allerdings gingen diese Forderungen in der politisch heterogenen und zumeist unerfahrenen Oppositionsbewegung unter. »In der Vergangenheit war es einfacher, unsere Ideen zu vermitteln«, so Katorschweskij. Seine Partei könne allerdings trotzdem neue Mitglieder verzeichnen. Insgesamt seien viele Menschen po­litisch aktiver geworden, seien politischen Parteien und unabhängigen Gewerkschaften beigetreten und hätten sich auch selbst organisiert gebildet. Sogar Arbeiter, Mediziner, Rentner und Lehrer, die traditionell als Rückgrat der Diktatur galten, hätten sich diesmal auf die Seite der Demonstranten gestellt. Lukaschenko werde derweil vor allem von Menschen in höheren gesellschaftlichen Stellungen, von Staatsbeamten sowie einem Teil der besonders verarmten Bevölkerung unterstützt, so die Einschätzung der Gesprächspartner der Jungle World.

Auch die 1994 gegründete Grüne Partei von Belarus nahm an den Protesten teil. Sie setzt sich vor allem für Umweltschutz sowie gegen Atomenergie ein und vertritt ein antiautoritär linkes Programm. »Die Linke spielte bei den Protesten keine ­große Rolle, da sie kaum Einfluss auf die Streikbewegung oder auf die Straßenproteste ausübte. Sie hatte mehr Erfolg mit ihrer Selbstdarstellung als mit echten Aktionen«, kritisiert ein Parteimitglied der Grünen, das nicht namentlich genannt werden will, im Gespräch mit der Jungle World. In den vergangenen Jahren ­seien die Oppositionsparteien eher Gemeinschaften von Gleichgesinnten als wirksame politische Kräfte gewesen, weil sie seit 2008 keinen einzigen Sitz in den Gemeinderäten oder im Unterhaus des Parlaments mehr gewonnen hätten und so von der Politik ausgeschlossen worden seien. Weil die Regierung jetzt auch bei NGOs jegliche ihr verdächtige Aktivität unterdrücke, verschwinde der Raum für politisch wirksame Tätigkeit endgültig.

Wie ein anderes Mitglied der Grünen der Jungle World berichtet, seien neue gesellschaftliche Initiativen bereits vor den Protesten im August vergangenen Jahres entstanden, da die Regierung die Bevölkerung im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie alleingelassen habe. Teile der Gesellschaft begannen, sich selbst zu organisieren. Das brutale Vorgehen gegen Demonstranten schockierte viele und motivierte sie, an politischen Aktionen teilzunehmen. Auch die sich selbst als Feministin und Sozialistin bezeichnende Grüne sagt, sie sei im vergangenen Jahr aus ihrem Heimatdorf, wo es kaum Protestaktivitäten gegeben hatte, zu den Demonstrationen nach Minsk gereist. Da sich jedoch die anfängliche Hoffnung auf eine schnelle, friedliche Revolution nicht erfüllte und die Behörden nicht zu Verhandlungen bereit waren, schwand der Enthusiasmus in der Bevölkerung bald, viele resignierten politisch.

Hoffnung auf baldige Verbesserung der Lage haben die Interviewten nicht, oppositionelle Parteien und NGOs werden immer weiter in die Illegalität gedrängt. »Eine solche Autokratie ist nicht in der Lage, sich in einer Weise zu reformieren, die für die Linke und die Arbeiterbewegung von Vorteil wäre. Im Gegenteil, sie schafft die Voraussetzung für den Sieg der neoliberalen und nationalistischen Kräfte nach ihrem Sturz«, befürchtet ein Mitglied der Grünen Partei.