Geschlechterpolitische Fortschritte müssen hierzulande vor Gericht erkämpft werden

Auf zum Bundesverfassungs­gericht

Den Personenstand an das eigene Geschlecht anzupassen, ist kompliziert und belastend. Das Amtsgericht Münster hat die bestehende Gesetzeslage kritisiert und zur erneuten Überprüfung an das Bundesverfassungsgericht überwiesen.
Bodycheck - Die Kolumne zu Biopolitik und Alltag Von

Die Bundesrepublik ist geschlechtspolitisch ein rückschrittliches Land. Das Transsexuellengesetz stammt aus dem Jahr 1981. Auch diese Legislaturperiode wird ohne seine Reform zu Ende gehen, ganz zu schweigen von der Verabschiedung eines Gesetzes, das die geschlechtliche Selbstbestimmung von Menschen anerkennen würde.

Jeder noch so kleine Fortschritt in diese Richtung musste bisher mühsamst vor Gericht erstritten werden. Demnächst steht eine weitere höchstgerichtliche Auseinandersetzung bevor: Das Amtsgericht Münster hat den Paragraphen 45b des Personenstandgesetzes (PStG) zur Prüfung an das Bundesverfassungsgericht verwiesen. Seit 2018 ist es unter Berufung auf diesen Paragraphen möglich, Name und Geschlechtseintrag ändern zu lassen und dabei auch die Option »divers« zu wählen. Auch dieses Gesetz ist erst beschlossen worden, nachdem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts das verlangt hatte.

Nicht nur intergeschlechtliche, auch transgeschlechtliche Menschen nutzen seither diese Möglichkeit, da eine Änderung des Geschlechtseintrags über den Weg des Personenstandsgesetzes weniger aufwendig und belastend ist als über den des Transsexuellengesetzes. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) stellte deswegen in einem in Brief an die Standesämter klar, dass das Gesetz nur von intergeschlechtlichen Menschen genutzt werden dürfe. Dabei ist diesbezüglich weder das Urteil des Verfassungsgerichts noch die im Gesetz gebrauchte Formulierung »Variante der Geschlechtsentwicklung« eindeutig; zudem ist es ein eher ungewöhnlicher Vorgang, dass ein Minister im Nachhinein Gesetze interpretiert.

Konservative gender panic bricht bei dem Gedanken aus, trans- und intergeschlechtlichen Menschen könnten es zu einfach gemacht werden, mit den körperlichen und legalen Attributen ihres Geschlechts zu leben. Betroffenenorganisationen fordern seit langem, dass die Selbstauskunft einer Person über ihr Geschlecht ausreichen müsse, um den Geschlechtseintrag zu ändern, da man kein »wahres« Geschlecht von außen feststellen könne. Doch weder das Transsexuellengesetz noch das Personenstandsgesetz ermöglichen das, stattdessen sind Gutachten und ärztliche Schreiben nötig. In manchen anderen Ländern wie Argentinien ist eine solche Änderung bereits durch einen einfachen Gang zum Standesamt möglich, ohne dass die herrschende Geschlechterordnung zusammengebrochen wäre, was andererseits eigentlich schade ist.

Nun ist ein transgeschlechtlicher Jugendlicher vor das Amtsgericht in Münster gezogen, weil ihm das Standesamt verweigerte, seinen bisher »weiblich« lautenden Geschlechtseintrag über das Personenstandsgesetz in »männlich« zu ändern. Das Gericht überwies den Fall an das Bundesverfassungsgericht und äußerte dabei die Auffassung, dass »der vom Gesetzgeber bei Einführung des § 45b PStG getroffene enge, allein auf intersexuelle Personen bezogene Anwendungsbereich der Vorschrift jedoch verfassungswidrig« sei. Zudem verstoße es gegen die grundgesetzlich garantierte Würde des Menschen, das Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie das Diskriminierungsverbot. Dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der geschlechtlichen Identität von 2017, das zur Einführung des Personenstandgesetzes geführt hat, werde es nicht gerecht.

Das Amtsgerichts Münster schrieb, es »obliegt dem Gesetzgeber, die Rechtsordnung so auszugestalten, dass insbesondere die rechtliche Zuordnung zum nachhaltig empfundenen Geschlecht nicht von unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht wird«. Das kann als Seitenhieb auf die immer noch nicht erfolgte Reform des Transsexuellengesetzes verstanden werden. Juristinnen sowie trans-, inter- und nichtbinärgeschlechtliche Menschen begrüßten diesen Schritt. Die Anwältin Anna Katharina Mangold twitterte: »In diesem Fall ist mir copy+paste ausnahmsweise sehr recht: Das AG Münster hat sich unserer Verfassungsbeschwerde gegen § 45b PStG ange­schlos­sen und sie umstandslos kopiert.«

Mit der erneuten Verfassungsbeschwerde ist die vage Hoffnung verbunden, dass sich die rechtliche Situation für die Betroffenen schnell ändern könnte, ohne dass erneut der in dieser Legislaturperiode bereits erfolglos gebliebene Gesetzgebungsprozess abgewartet werden muss. Aber selbst wenn das Bundesverfassungsgericht nur erneut den Gesetzgeber mit einer verfassungskonformen Regelung beauftragen würde, erhöhte sich dadurch immerhin der Druck auf die Parteien.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) will derweilen eine transgeschlechtliche Frau nach Äthiopien abschieben. Obwohl sie dort bereits zwangspsychiatrisiert, erpresst, mit Männern inhaftiert, geschlagen und vergewaltigt wurde, sie laut ihren Ausweispapieren ein Mann ist und es in Äthiopien gar keine Möglichkeit gibt, dies zu ändern, hält das Amt es für ihre Sicherheit für ausreichend, dass sie als Frau wahrgenommen werde. Dabei führt die Nichtübereinstimmung zwischen äußerlicher Erscheinungsweise und legalem Status schon in Deutschland immer wieder zu Problemen. Ein diskriminierungs- und gewaltfreies Leben kann sich die Betroffene nach der drohenden Abschiebung nicht vorstellen. Für kommenden Samstag ist in Berlin eine Demonstration gegen die Abschiebung geplant.