Warum das Museum Peenemünde nicht als Weltkulturerbe taugt

Die V2 als Weltkulturgut

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig möchte das Museum Peenemünde zum Weltkulturerbe erklären lassen.

Rund zwei Monate vor der Bundestags- und Landtagswahl macht die SPD-Mecklenburg-Vorpommern mit einem Vorschlag auf sich aufmerksam, den man eher aus den Reihen der revisionistischen Rechten erwartet hätte. Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, Manuela Schwesig, schlug das Historisch-Technische Museum Peenemünde, das sich mit der Geschichte der nationalsozialistischen Heeresversuchsanstalt auf der Insel Usedom befasst, bei der Unesco als Weltkulturerbe vor. Im Wortlaut sagte sie: »Peenemünde steht ja auf der einen Seite für technologische Pionierleistungen von epochaler Bedeutung, ist aber auch untrennbar mit der menschenverachtenden Ideologie des NS-Systems verbunden. Deshalb haben wir auch mit dem Bund gemeinsam als Land in das Historisch-Technische Museum Peenemünde investiert, vor allem als Begegnungsstätte, auch als Gedenkstätte. Und mit dieser Leistung ist die Voraussetzung geschaffen, dass wir das Historisch-Technische Museum Peenemünde vorschlagen.«

Die Chronisten des Museums Peenemünde verweisen darauf, dass die Verantwortlichen rund um Wernher von Braun im April 1943 mehrere Hundert KZ-Häftlinge für die serienmäßige Herstellung der V2 anforderten.

Die Forderung, der Unesco den historischen Ort der Raketenbasis Peenemünde als Weltkulturerbe vorzuschlagen, hatte bereits in den nuller Jahren der damalige Kultusminister Henry Tesch (CDU) erhoben. 2011 wurde das Vorhaben aufgegeben, nicht zuletzt weil die SPD es ablehnte.

Der neuerliche erinnerungspoli­tische Vorstoß, den nun die Sozialdemokratin Schweig unternimmt, erregt denn auch vehemente Kritik. Der SPD-Kommunalpolitiker Guenther Jikeli, lange Jahre SPD-Vorsitzender auf Usedom, beispielsweise lehnt den Plan ab und formulierte seinen Einspruch in einem Brief an seine Genossin. Peenemünde sei keine zivile »Wiege der Raumfahrt«, den Nazis sei es »mit der Entwicklung der sogenannten V2 um eine Massenvernichtungswaffe gegangen«. Zudem wollten die Nationalsozialisten nicht den Weltraum erkunden, sondern nach der Niederlage in Stalingrad 1943 mit Hilfe von »Wunderwaffen« das Blatt wenden und den »totalen Krieg« zu Gunsten der Deutschen entscheiden. Nazideutschland hatte beabsichtigt, »amerikanische Städte wie New York anzugreifen, das macht man nicht, wenn man zum Mond fliegen will«. Jikeli moniert in dem Schreiben die fehlende Opferperspektive und legt der Ministerpräsidentin nahe, mit den Opfern und Hinterbliebenen zu sprechen.

Das Ziel der Unesco und der Weltkulturerbeliste ist es, »Natur- und Kulturerbstätten von außergewöhnlichem universellem Wert für die gesamte Weltgemeinschaft für gegenwärtige und zukünftige Generationen zu bewahren«. Den ab 1936 auf Usedom errichteten Anlagen, von denen heute nur noch eine Bahnstrecke und ein Kraftwerk übrig ist, kann man diesen Wert wohl nicht zusprechen. Auch wenn das Gelände von Technikenthusiasten romantisiert und verklärt wird, die historischen Tatsachen sind eindeutig: Unter Federführung des Physikers und späteren SS-Sturmbannführers Wernher von Braun wurde im Jahr 1942 die Rakete A4 (besser bekannt als »Vergeltungswaffe« V2) fertiggestellt. Die industrielle Produktion der V2-Rakten konnte den Nationalsozia­listen nur durch die mörderische Ausbeutung von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen gelingen.

Die Chronisten des Museums Peenemünde verweisen darauf, dass die Verantwortlichen rund um Wernher von Braun im April 1943 mehrere Hundert KZ-Häftlinge für die serienmäßige Herstellung der V2 in der Heeresversuchsanstalt anforderten. Nach einem Angriff der Royal Air Force Mitte August 1943 wurde die Raketenproduktion in das Außenlager »Dora« bei Nordhausen (Thüringen) verlegt, das zunächst ein Außenlager des KZ Buchenwald war, später dann das Hauptlager des KZ Mittelbau-Dora. Schätzungen von Historikern zufolge starben im Zuge der Serienproduktion der Raketen mindestens 12 000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge aufgrund unmenschlicher Arbeitsbedingungen und der Willkür der SS.

Johannes Leicht vom Deutschen Historischen Museum (DHM) schreibt in seinem Artikel »Die ›Wunderwaffen‹ V1 und V2« mit Blick auf die Produktionsbedingungen: »Es gab weder ausreichend warme Kleidung für die kühlen Stollensysteme noch genügend zu essen. Willkürlich wurden Häftlinge bestraft, geschlagen oder hingerichtet, wenn sich eine V2-Rakete nach dem Start als Blindgänger erwies.«

Tatsächlich war die in Peenemünde entwickelte V2-Rakete eher ein Propagandainstrument für die »Wochenschau«, um die Bevölkerung bis in das Frühjahr 1945 glauben zu machen, dass man die Kriegsniederlage abwenden könne. Leicht weist darauf hin, dass Hitler in seiner letzten Rundfunkansprache vom 30. Januar 1945 »noch immer den ›Endsieg‹ durch einen verstärkten Einsatz sogenannter Wunderwaffen« versprach.

Die deutschen Raketenangriffe haben sich fest ins kollektive Gedächtnis vor allem der Engländer und Belgier eingeprägt: Zwischen 1944 und 1945 wurden, so Leicht, über 3 000 Raketen auf die Westalliierten abgefeuert, Schätzungen zufolge starben dadurch 8 000 bis 12 000 Zivilisten. Die meisten Todesopfer hatten London und Antwerpen zu beklagen.

Erst im Juni beschloss die SPD Mecklenburg-Vorpommern ein neues Wahlprogramm mit dem Titel »Verantwortung für heute und morgen« für die Ende September anstehenden Landtagswahlen. Es wurde auf der Landesvertreterversammlung einstimmig beschlossen. Da im Grundgesetz Kultur nicht als Staatsziel aufgeführt ist, fällt die Kulturpolitik in die Verantwortung der Bundesländer. In dem SPD-­Programm für Mecklenburg-Vorpommern heißt es im entsprechenden Kapitel: »Die Bewahrung des kulturellen Erbes ist ein wichtiger Bestandteil der Kulturpolitik. Dazu zählen Museen, Archive, Theater, aber auch Schlösser, Kirchen, Burgen und historische Stadtanlagen. Mit der Unterstützung des Heimatverbandes wird die Verbundenheit zu unserem Bundesland verdeutlicht.«

Dass die »Verbundenheit« mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern so weit geht, das Museum Peenemünde zum Weltkulturerbe erklären zu wollen, ist nicht hinnehmbar. Seit dem Jahr 1979 steht mit dem Vernichtungslager Auschwitz zwar ein Ort der NS-Geschichte auf der Unesco-Welterbeliste. Der entscheidende Unterschied zu Schwesigs Forderung liegt aber darin, dass der Antrag ­damals aus der Perspektive der Opfer und Hinterbliebenen – vornehmlich aus Polen – gestellt wurde. Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, kritisierte den Vorschlag Schwesigs auf Twitter mit deutlichen Worten: »Nachdem sich andere bereits die Finger verbrannt haben, will nun Manuela Schwesig Peenemünde als Weltkulturerbe vorschlagen und aktualisiert den Mythos der angeblichen Ambivalenz der V2 als ›techno­logischer Großleistung‹. Dabei ist die Geschichte des NS-Raketenprogramms durch und durch destruktiv: NS-Ingenieure entwickelten hier todbringende Waffen, die sie von KZ-Häftlingen bauen ließen. Mit der Raumfahrt hatte das nichts zu tun.«