Matthias Politickys Flucht nach Wien

Geil im Gender-Exil

Matthias Politicky lobt seine neue Heimat Wien.
Die preisgekrönte Reportage Von

Der stark angeheiterte ältere Herr sucht Halt. Vergebens. Zweimal bemüht er sich, den Bus zu besteigen, der hier am Ballhausplatz losfahren soll, doch immer wieder setzt er sich auf seinen Hosenboden: Sein Alkoholisierungsgrad lässt das Manöver schlicht nicht zu. »Soll ich dem Herrn eventuell helfen«, fragt die Busfahrerin gutgelaunt. »Hoit’ dei Pappn, Oide!« schallt es ihr entgegen, und wieder: »Dei Pappn sollst hoit’n, heast!« Entnervt fährt sie los, lässt den Betrunkenen zurück.

Von den beiden unbemerkt hat ein versierter Menschenkenner die Szene beobachtet, vom besten Platz des angrenzenden Straßencafés aus: Matthias Politicky, vielfach ausgezeichneter Literat, Miterfinder der deutschen Postmoderne und Neu-Wiener. »Haben Sie das gesehen?« fragt uns Politicky, der Autor von »Weiberroman«. »Da hat sich einer nicht den Mund verbieten lassen von Gender-Sprache und ideologiekon­former political correctness! Das erlebe ich nur hier, hier, in Wien.«

In der FAZ hatte Politicky, der Autor von »Das Schweigen am andern Ende des Rüssels«, angekündigt, aufgrund der »verkümmernden Diskussionskultur«, »linker Identitätspolitik« und des »Genderns der Sprache« Deutschland zu verlassen, um sich in der österreichischen Hauptstadt niederzulassen. »Es geht an das, was wir künftig in welcher Wortwahl und Grammatik noch schreiben dürfen und wer es aufgrund seines Geschlechts, seiner Hautfarbe, seiner Herkunft, seiner sexuellen Orientierung nicht mehr darf«, ließ sich Politicky, der Autor von »Jenseits von Wurst und Käse« zitieren. »Hier in Wien darf ich alles! Alles! Geil, oder? Ich darf sogar ›geil‹ sagen. Geil, geil, geil! In Deutschland würden da die Gender-Tanten doch gleich wieder die Stirn in Falten legen!«

In der deutschen Literaturlandschaft hat der Umzug Politickys ein gemischtes Echo ausgelöst. »Wer?« – »War der nicht schon tot?« – »Warum nicht gleich Ungarn?«, um nur die wichtigsten Reaktionen zu nennen. Viele können sich nicht erinnern, von Politicky zu jener Diskussion eingeladen worden zu sein, die er so schmerzhaft vermisst. »Egal!« ruft Politicky. »Einladungen sind eh nur was für linksgrüne Neobiedermeier.« Sollte er auch in Wien zum Gendern gezwungen werden, hat er schon ein neues Ziel: die Mönchsrepublik Athos. »Zweitausend Männer auf einem Berg, da ist schlecht Sternchensetzen!«

 

Aus der Urteilsbegründung: Leo Fischers preisgekrönte ­Reportagen sind in hohem Maße fiktiv. Ähnlichkeiten mit realen Personen und Geschehnissen sind unbeabsichtigt.