Die Folgen des Hochwassers in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz

Wiederaufbau und Verantwortung

Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wurden vom Hochwasser im Ju­li besonders schwer in Mitleidenschaft gezogen. Der nordrhein- westfälische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, stol­perte in den Tagen nach der Katastrophe von einem Desaster ins nächste.

­Das Hochwasser im Juli war eine Kata­strophe: 141 Tote im rheinland-pfälzischen Ahrtal, 47 in Nordrhein-Westfalen. Hinzu kommen Schäden an Brücken, Straßen und Gebäuden. Allein in Nordrhein-Westfalen rechnet die dortige Landesregierung mit Kosten von 13 Milliarden Euro.

Die Menschen, die das Hochwasser am stärksten getroffen hat, dürften allerdings noch keine Zeit gefunden haben, sich mit der Hilfsbürokratie zu beschäftigen.

Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), hatte kurz nach der Flut gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Überschwemmungsgebiete besucht. Die beiden Politikerinnen verhielten sich dabei so, wie man es in einer solchen Situation von ihnen erwartet: Gefasst, ernsthaft und besorgt. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet (CDU), verpasste hingegen die Möglichkeit, sich vor den Bürgerinnen und Bürgern als engagierter Katastrophenmanager zu präsentieren. Die rheinische Frohnatur Laschet lachte während einer Rede des Bundespräsidenten, Frank-Walter Steinmeier (SPD), im Hochwassergebiet (Vom Regen in die Jauche). Dumm nur, dass den Menschen, von denen viele alles verloren hatten, nicht zum Lachen zumute war. In den Wochen nach seinem Auftritt an der Seite des Bundespräsidenten wurde Laschet bei Besuchen in den Katastrophengebieten mehrmals ausgebuht.

Dabei trifft der ihm gemachte Vorwurf, das Land habe bei der Hilfe versagt, nicht zu. Knapp eine Woche nach der Hochwasserkatastrophe beschloss die nordrhein-westfälische Landesregierung Nothilfe in Höhe von 200 Millionen Euro, die vom Bund noch einmal in gleicher Höhe aufgestockt wird. Bis zu 3 500 Euro kann jeder Haushalt als Unterstützung beantragen. Bei Unternehmen sind es 5 000 Euro.

Der Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD, Olaf Scholz, sagte bei einem Besuch im Katastrophengebiet zudem ein Hilfsprogramm des Bundes in Milliardenhöhe zu, das noch vor der Bundestagswahl im September beschlossen werden soll. Bis Anfang August wurden in Nordrhein-Westfalen über die Kommunen bereits 12,5 Millionen Euro an 2 500 Antragsteller überwiesen. Die Menschen, die noch damit beschäftigt sind, ihre Häuser und Wohnungen aufzuräumen, oder sich eine neue Bleibe suchen müssen, dürften allerdings noch keine Zeit gefunden haben, sich mit der Hilfsbürokratie zu beschäftigen.

Doch Geld ist beim Wiederaufbau von Häusern, Unternehmen und Infrastruktur nicht das Einzige, was gefragt ist: Bei durch die Flut zerstörten Transformatoren kann die Beschaffung von Ersatz bis November dauern, die Stromversorgung ist noch nicht wieder gewährleistet. Es fehlt an Handwerkern, Baumaschinen und Ersatzteilen. Auch Trocknungsgeräte sind knapp. Unternehmen klagen über monatelange Wartezeiten für dringend benötigte elektronische Bauteile, um beschädigte Maschinen wieder in Betrieb nehmen zu können.

Die Schäden an der öffentlichen Infrastruktur, an Straßen, Brücken und Schulen, schätzt Hagens Oberbürgermeister Erik O. Schulz (parteilos) allein für seine Stadt im Gespräch mit der Jungle World auf 255 Millionen Euro. Schulz will, dass Bund und Land dafür sorgen, dass schnell gebaut werden kann: »Wir können nicht jeden größeren Bauauftrag europaweit ausschreiben. Das dauert zu lange. Wenn eine Schule jetzt eine neue Heizung braucht, muss das schnell gehen. Abläufe müssen daher dringend entbürokratisiert werden.«

Laschet will mittlerweile den ersten schlechten Eindruck wieder wettmachen: Fritz Jaeckel, der Hauptgeschäftsführer der IHK Nord Westfalen, soll Beauftragter der Landesregierung für den Wiederaufbau werden, kündigte der Ministerpräsident am Montag dieser Woche im Landtag an. Kurz zuvor hat­te schon Rheinland-Pfalz eine Wiederaufbauorganisation gegründet und ein »Verbindungsbüro« im Ahrtal eingerichtet, das der ehemalige Landrat und Innenstaatssekretär a. D. Günter Kern (SPD) leiten soll.

Gemeinsam mit Dreyer fordert Laschet eine Sondersitzung des Bundestags und einen Wiederaufbaufonds in zweistelliger Milliardenhöhe. Laschet hält »zwischen 20 und 30 Milliarden Euro« für nötig.

Die SPD kritisierte indes, dass Nordrhein-Westfalen während des Hochwassers nicht den Krisenstab aktiviert hat. Es ist nicht das erste Mal, dass Nordrhein-Westfalen versucht, eine Katastrophe ohne Katastrophenpolitik zu bewältigen: Auch die Covid-19-Pandemie war für das Land kein Grund, seinen Krisenstab einzuberufen. Nordrhein-Westfalen soll unter Laschet ein Land der guten Laune sein. Unglücke wie Seuchen und Hochwasser sind da nichts anderes als stimmungstötende Protestanten auf einer katholischen Karnevalsfeier.

Es ist offen, ob die SPD einen Untersuchungsausschuss zum Verhalten von Regierung und Behörden vor, bei und nach dem Hochwasser beantragen wird. Denn dem blieben nur wenige Monate, um die Versäumnisse aufzuarbeiten: Im Mai 2022 finden in Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen statt. Alle Untersuchungsausschüsse müssen bis dahin ihre Arbeit beendet haben.

Mittlerweile hat auch die juristische Aufarbeitung der Katastrophe begonnen: Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat ein Ermittlungsverfahren gegen Jürgen Pföhler (CDU), den Landrat von Ahrweiler, wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen aufgenommen. Und die Staatsanwaltschaft Köln hat ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt eingeleitet. Es geht um den Verdacht der Baugefährdung im Zusammenhang mit der Erweiterung einer Kiesgrube in Erftstadt, die dazu geführt haben könnte, dass während der Flut mehrere Häuser in die Kiesgrube stürzten.