Die Gewerkschaft der Lokführer kündigt weitere Streiks an

Angebot und Nachforderung

Nach einem zweitägigen Streik bei der Deutschen Bahn zeichnet sich kein Ende des harten Tarifkonflikts zwischen dem Management des Staatskonzerns und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer ab. Beide Seiten ringen um die Deutungshoheit über Erfolg und Legitimität des Arbeitskampfes.

Während des Streiks, zu dem die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ihre Mitglieder in der vorigen Woche aufgerufen hatte, fuhr nach Angaben der Deutschen Bahn nur jeder vierte der sonst verkehrenden Fernzüge. Der Streik sei »völlig überzogen und völlig unangemessen« gewesen, sagte Bahnsprecher Achim Stauß. Auch habe die GDL »ihr eigentliches Arbeitskampfziel nicht erreicht«. Nur 5 400 von knapp 19 700 Lokführern hätten sich überhaupt an dem Ausstand beteiligt. Aus Sicht der GDL ist das aber viel, denn zwei Drittel der Lokführer hätten wegen Ruhezeiten oder Urlaub gar nicht teilnehmen können, sagte der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky bei einer Pressekonferenz nach dem Streik. »Das Management versucht kleinzureden, was für uns ein Erfolg ist.« Weselsky, der Mitglied der CDU ist, sieht in der Streikauswertung der Deutschen Bahn »Manipulationsversuche«. »Entweder es kommt ein verbessertes Angebot auf den Tisch oder wir lassen die Züge in diesem Land erneut stehen«, sagte er.

Das Management der Deutschen Bahn fordert von der GDL »Lösungsbereitschaft«. Gleichzeitig greift es die GDL scharf an.

Die Deutsche Bahn bemüht sich, den Eindruck zu erwecken, als lägen die Forderungen der Gewerkschaft und ihr Angebot nicht weit auseinander. Den Streik will sie dadurch als unnötig erscheinen lassen. Tatsächlich ist der Unterschied jedoch erheblich. Das Angebot der Deutschen Bahn orientiert sich am Notlagentarifvertrag für die Flugbranche. Durch die Coronakrise ist die Luftfahrt nahezu zum Erliegen gekommen, Fluggesellschaften und Flughäfen sind von der Pleite bedroht.

Das Angebot der Deutschen Bahn sieht eine Nullrunde für dieses Jahr und ab 1. Januar 2022 eine Gehaltssteigerung von 1,5 Prozent vor. Ab März 2023 soll es einen weiteren Lohnzuwachs von 1,7 Prozent geben. Gleichzeitig sollen die Betriebsrenten gesenkt werden. Der Tarifvertrag soll über 40 Monate laufen – was ungewöhnlich lang ist.

Die Deutsche Bahn hat zwar mehr als 30 Milliarden Euro Schulden, aber nur ein relativ kleiner Teil davon geht auf die Coronakrise zurück. Außerdem wird der Staat in den kommenden Jahren auch aus Klimaschutzgründen viele Milliarden in die Bahn investieren; ganz andere Voraussetzungen also als in der Luftfahrt.

Die Forderungen der GDL orientieren sich deshalb an dem im Oktober 2020 abgeschlossenen Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen. Die Gewerkschaft verlangt einen Coronabonus von 600 Euro und rückwirkend ab April dieses Jahres eine Lohnerhöhung um 1,4 Prozent sowie weitere 1,8 Prozent mehr Lohn ab April 2022 bei einer Laufzeit von 28 Monaten.

Lokführer mit mehreren Jahren Berufserfahrung verdienen ein monatliches Grundgehalt von rund 3 000 Euro brutto plus Zulagen für Nacht- oder Wochenenddienste. Nach Angaben der Deutschen Bahn kommen ihre Lokführer im Schnitt auf knapp 3 600 Euro im Monat.

Was die Lage besonders kompliziert macht: Bei der Deutschen Bahn sind zwei Gewerkschaften aktiv. Die GDL hat rund 37 000 Mitglieder, daneben gibt es die 185 000 Mitglieder starke Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die dem DGB angehört. Bis 2002 haben beide gemeinsam verhandelt. Zerbrochen ist die Tarifgemeinschaft unter anderem an der Frage der Bahnprivatisierung, die die Vorgängerorganisation der EVG, die Transnet, befürwortete und die GDL nicht. Mit der EVG hat die Deutsche Bahn bereits für die kommenden zwei Jahre einen Tarifvertrag geschlossen, der für 2021 eine Nullrunde und 1,5 Prozent mehr Lohn ab 2022 vorsieht. Allerdings hat die Deutsche Bahn zugesagt, dass die EVG-Mitglieder auch in den Genuss darüber hinausgehender Lohnerhöhungen oder Zahlungen kommen, sollte die GDL solche aushandeln.

Zusätzlich verschärft wird diese Lage durch das von der damaligen Bundes­arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) nach dem Bahnstreik 2015 auf den Weg gebrachte Tarifeinheitsgesetz. Es sieht vor, dass für einen Betrieb nur der mit der größten dort aktiven Gewerkschaft abgeschlossene Tarifvertrag gilt. Die Deutsche Bahn ist zwar ein Konzern, aber in 300 einzelne Betriebe gegliedert. Nach Angaben der GDL gehören davon nur 174 Tochterunternehmen zum Kernsystem Bahn, die anderen sind beispielsweise in der LKW-Logistik tätig. In 71 Unterbetrieben konkurrieren EVG und GDL. Die Deutsche Bahn gesteht der EVG die Mehrheit in 55 dieser Betriebe zu, der GDL in 16. Das bestreitet Weselsky – ohne allerdings eine andere Zahl zu nennen.

Bislang bestand zwischen Bahn, GDL und EVG eine Vereinbarung, mit der das Tarifeinheitsgesetz ausgesetzt wurde. Die ist aber ausgelaufen und kann nur erneuert werden, wenn sich EVG, GDL und Bahn einig werden – was die EVG ablehnt. Aus diesem Grund werfen das Management der Deutschen Bahn, aber auch Regierungsmitglieder wie der für die Bahn zuständige Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann (CDU) der GDL einen politischen Streik vor – was Weselsky vehement bestreitet. Auch Ferlemanns Vorwurf – wie der vom Bahn-Management behauptete vermeintlich kleine Unterschied zwischen Angebot und Forderungen – untergräbt das Verständnis der Bahnkunden für den Streik.

Das Management der Deutschen Bahn fordert von der GDL »Lösungsbereitschaft«. Gleichzeitig greift es die GDL scharf an. Alle Beteiligten bis auf die Gewerkschaft hätten nach der ­Coronakrise und den Überflutungen im Westen Deutschlands einen Beitrag geleistet, auch die Führungskräfte der Bahn. »Für 2020 hatten die Führungskräfte einen erheblichen Gehaltsverlust zu verzeichnen, da die variablen Entgeltbestandteile um die Hälfte gekürzt wurden. Der komplette Vorstand hat überhaupt keine variablen Entgeltbestandteile bekommen«, heißt es in einer Erklärung der Deutschen Bahn.

Aber variable Entgeltbestandteile sind als Bonus für besondere Leistungen ­gedacht und eben nicht Teil des regulären Gehalts. Der Vorstandsvorsit­zende Richard Lutz verdient zurzeit 900 000 Euro im Jahr, die Vorstände ­Ronald Pofalla und Berthold Huber jeweils 650 000 Euro. Sie forderten für sich eine Gehaltserhöhung von zehn Prozent, deren Bewilligung der Aufsichtsrat im vergangenen März auf das Jahr 2023 verschoben hat.