Die Ausgestaltung des Islam­unterrichts in staatlichen Schulen sorgt immer ­wieder für Konflikte

Irgendwas mit Islam anbieten

Islamischer Religionsunterricht soll in deutschen Schulen als integra­tionspolitisches Allheilmittel wirken. Doch die praktische Ausgestaltung sorgt in den zuständigen Bundesländern immer wieder für Konflikte.

Am 14. September beginnt in Bayern das neue Schuljahr und es gibt ein neues Wahlpflichtfach. »Der ›Islamische Unterricht‹ bietet in deutscher Sprache Wissen über die islamische Religion sowie eine grundlegende Werteorientierung im Geiste des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung«, kündigt das bayerische Kultusministerium die Überführung des bisherigen Modellversuchs in ein reguläres Unterrichtsfach an. Anders als es seine Bezeichnung nahelegt, handelt es sich dabei nicht um Religionsunterricht im engeren Sinn – im Unterschied zum konfessionellen, meist römisch-katholischen oder evangelischen –, sondern um einen islamkundlichen Unterricht in staatlicher Verantwortung, der explizit als Alternative zum Ethikunterricht konzipiert ist.

Die bayerische Landesregierung begründet ihr Modell der Islam­kunde in staatlicher Verantwortung mit dem Fehlen einer anerkannten Vertretung ausreichend vieler Muslime als Kooperationspartner.

Im kommenden Schuljahr bieten rund 350 von 6 000 bayerischen Schulen den Islamischen Unterricht an. Das Kultusministerium plane dafür 75 Lehrerstellen ein, bei steigender Nachfrage werde das Angebot künftig ausgebaut. Die Ausbildung der Lehrkräfte sowie die Entwicklung und Ausgestaltung des »Lehrplans mit seinen islamkundlichen Inhalten« obliegt dem wissenschaftlichen Beirat des Departments Islamisch-Religiöse Studien der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, um die »hohe Akzeptanz dieses Wahlpflichtfachs zu bewahren«.

Der bayerische Landtag änderte im Juli das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen dahingehend, dass er die Regelungen zum Ethikunterricht, der als Ersatz für konfessionellen Religionsunterricht verpflichtend ist, um die Alternative Islamischer Unterricht ergänzte. Dem Ethikunterricht entsprechend, soll der Islamische Unterricht »zu werteinsichtigem Urteilen und Handeln« anleiten, sich an den verfassungsgemäßen »sittlichen Grundsätzen« orientieren und »die Pluralität der Bekenntnisse und Weltanschauungen« berücksichtigen. Außerdem soll er »Wissen über die Weltreligion Islam« vermitteln und diese »in interkultureller Sicht« behandeln. »Das Gesetz stellt auch klar«, so heißt es in der Begründung zum Änderungsentwurf der Landesregierung, »dass es in Bezug auf den Islam um Wissensvermittlung geht, nicht um eine Erziehung zum Glauben, für die der weltanschaulich-religiös neutrale Staat kein Mandat hat«.

Obwohl beziehungsweise weil die Gesetzesänderung und seine Konzeption des Islamischen Unterrichts primär vom Integrationsgedanken dominiert sind, stimmten die Grünen und die AfD gegen sie. Letztere lehnt religionsbezogenen Unterricht für muslimi­sche Schüler ab. Es sei »naiv zu glauben, dass der Islam eine Religion des Friedens und der Toleranz sei«, sagte der AfD-Abgeordnete und Vorsitzende des Kultusausschusses im bayerischen Landtag, Markus Bayerbach, dem Bayerischen Rundfunk. Die Grünen hingegen wollten »kein zweites Ethikfach mit besonderer Erwähnung des Islam, sondern konfessionsgebundenen Unterricht«, für den sie »seit über 20 Jahren kämpfen«, betonte die religionspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, Gabriele Triebel. Der bayerischen Landesregierung warf sie vor, »die islamischen Verbände bei der Entwicklung dieses neuen Fachs so gut wie gar nicht involviert« zu haben.

Gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes wird Religionsunterricht an deutschen Schulen als ordentliches Fach »in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt«. Dazu muss der Staat bereits bei der Lehrplangestaltung und der Ausbildung des Lehrpersonals mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft kooperieren. Dies funktioniert mit den sogenannten öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert sind – wie die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre Landeskirchen, die katholischen Bistümer oder auch einige jüdische Gemeinschaften. Allerdings orientiert sich das gesamte deutsche Religionsverfassungsrecht an der Struktur der christlichen Großkirchen. Eine Übertragung auf die gänzlich anders organisierten Islamverbände ist rechtlich höchst problematisch – vor allem weil in diesen insgesamt wohl kaum mehr als ein Fünftel der in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslime organisiert sind; aber auch weil sie unterschiedliche Lesarten des Islams vertreten, die kaum im selben bekenntnisgebundenen Unterricht gelehrt werden können.

Für den Religionsunterricht sind zudem die Bundesländer zuständig. Diese haben in den vergangenen Jahren mit unterschiedlichem Erfolg und vielen Konflikten eigene Kooperationsmodelle für islamische Lehrangebote geschaffen. Obgleich die bayerische Landesregierung ihr Modell der Islamkunde in staatlicher Verantwortung mit dem Fehlen einer anerkannten Vertretung ausreichend vieler Muslime als Kooperationspartner gegen Kritik verteidigte, ist offenkundig, dass sie mit dem Ausschluss der Islamverbände bewusst Konflikte vermeiden wollte, wie sie in anderen Bundesländern auftreten.

Anfang Juli urteilte das Verwaltungsgericht Wiesbaden, dass das Land Hessen die Kooperation mit dem Moscheeverband Ditib wiederaufnehmen muss – aufgrund eines Formfehlers. Zuvor hatte die hessische Landesregierung die Zusammenarbeit beim bekenntnisorientierten Islamunterricht seit April 2020 einseitig ausgesetzt und dies mit Zweifeln an der Unabhängigkeit und Eignung der Ditib begründet, allerdings fehlte dafür eine Rechtsgrundlage. Ein verfassungsrechtli­ches Gutachten des Staatsrechtlers Josef Isensee hatte das öffentliche Interesse des Widerrufs mit der »Wende der türkischen Politik zum Islamismus und zur Hegemonie über den Islam im In- und Ausland« sowie der negativen Auswirkung dieser Zusammenarbeit »auf das Vertrauen in die Integrität des staatlichen Schulsystems« begründet. Der hessische Landesverband der Ditib verfüge als das »letzte Glied einer Weisungskette« – über den Bundesverband und die türkische Religionsbehörde Diyanet bis zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan – »nicht über jenes Minimum an institutioneller Unabhängigkeit«, das nötig sei, »um selbstbestimmt seine Aufgabe als Religionsgemeinschaft erfüllen zu können.«

Wenngleich man diesen Befund wohl auf den nordrhein-westfälischen Ditib-Landesverband übertragen könnte, kooperiert die dortige Landesregierung beim bekenntnisorientierten Islamunterricht weiterhin mit diesem. Als einer von sechs Islamverbänden ist er Teil der im Mai gegründeten Kommission Islamischer Religionsunterricht, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Aufgaben einer Religions­gemeinschaft wahrnehmen soll, beispielsweise die Genehmigung von Lehrplänen und Lehrmitteln sowie die Erteilung der religiösen Lehrbefugnis, die sogenannte Ijazah.

Insbesondere Letzteres erweist sich derzeit in Baden-Württemberg als problematisch. Seit August 2020 ist dort die Stiftung Sunnitischer Schulrat für die Erteilung des schulischen Islamunterrichts zuständig und entscheidet über Bildungspläne, Schulbücher sowie die Lehrbefugnisse. Den reformorientierten Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi, der Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg lehrt und dort bereits seit 2011 Lehrkräfte für den bekenntnisorientierten sunnitischen Islamunterricht ausbildet, forderte die Stiftung Ende 2020 auf, bei ihr eine Ijazah zu beantragen – nur um Ourghis Antrag im Mai dieses Jahres abzulehnen. Zur Begründung verwies sie auf die stiftungseigene Ijazah-Ordnung, wonach es zur Hochschulausbildung der Lehrkräfte eines eigenen Lehramtsstudiums oder »eines gleichwertigen Abschlusses« bedürfe. Ourghi, der 2006 mit einer islamwissenschaftlichen Dissertation an der Universität Freiburg promovierte, legte gegen die Ablehnung Widerspruch ein. Über diesen entschied die Stiftung bislang nicht.

Nach Auskunft des Kultusministeriums nahmen 2019 in Baden-Württemberg rund 6 000 Schülerinnen und Schüler an 86 Schulen am Islamischen Religionsunterricht teil. Um dem Fach »eine neue Dynamik und größere Verbreitung« im Land zu ermöglichen, hatte das Land 2019 die Stiftung Sunnitischer Schulrat gegründet und als Religionsgemeinschaft mit Körperschaftsstatus anerkannt. Die Stiftung wurde als Überbau für zwei eher unbedeutende Verbände, den türkisch geprägten Landesverband der Islamischen Kulturzentren Baden-Württemberg sowie die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland, geschaffen, die den mehrheitlich sunnitisch geprägten Islam im Land repräsentieren sollen.

Im Gespräch mit der Jungle World berichtet Ourghi von immer neuen Aufforderungen der Stiftung, weitere Unterlagen einzureichen: »Die wollten sämtliche Arbeitsverträge und sogar meine alte Studien- und Promotionsordnung einsehen und alle Seminare, die ich teils vor 20 Jahren belegt habe, nachgewiesen haben.« Sein damaliges Prüfungsamt habe ihm und der Stiftung bestätigt, dass er alle erforderlichen Leistungen erbracht habe. Die Stiftung wollte sich zu den laufenden Widerspruchsverfahren – neben Ourghi wurde auch einem Islamwissenschaftler der Pädagogischen Hochschule Weingarten die Ijazah verwehrt – nicht äußern.

Ourghi sagt, es gehe der Stiftung einzig darum, kritische Islamwissenschaftler wie ihn in der Lehre zu verhindern und davon abzuhalten, seine Studierenden – und indirekt deren spätere Schülerschaft – mit der von ihm angewandten »historisch-kritischen Methode einer zeitgemäßen Interpretation der Quellen« zu konfrontieren und zu befähigen, ihre religiöse Identität kritisch zu hinterfragen. Der Erfolg gebe ihm bislang recht: »Die Studierenden geben mir auch Feedback, dass sie anfangen, kritischer zu denken, und sich immer mehr trauen, Dogmen zu hinterfragen, ohne Angst.«

Der Stiftung und den beiden beteiligten islamischen Verbänden fehle wie allen »sogenannten Dachverbänden« das Recht, die sunnitischen Muslime zu vertreten, sagte Ourghi; er betrachte sie als »Auslandsorganisationen«. Daher lehne er jeglichen bekenntnisorientierten Islamunterricht und insbesondere jede Zusammenarbeit mit den islamischen Verbänden als »ein Hindernis für die Integration der muslimischen Kinder in Deutschland« strikt ab. »Denn diese Verbände sind nicht vergleichbar mit den beiden Kirchen, die durch ihre eigene Aufklärung gegangen sind – der Islam hat seine eigene noch nicht einmal begonnen.« Stattdessen empfehle er einen bekenntnisfreien Unterricht nach dem bayerischen Islamkundemodell, das sich als »vorteilhaft« für einen künftig liberaleren Islam in Deutschland erweisen könne.