Christian Schwochows Politdrama »Je suis Karl«

Sexyness, Wut und Ideologie

Alle sehen verdammt gut aus in Christian Schwochows Politdrama »Je suis Karl«, das ein fiktives Porträt der Identitären Bewegung zeichnet.

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hristian Schwochows Politdrama »Je suis Karl« beginnt mit einer alltäglichen Szene. Alex (Milan Peschel), Vater einer fünfköpfigen Familie in Berlin, nimmt im Treppenhaus mal eben ein Paket für seine Nachbarin entgegen, er schließt seine Wohnung auf, legt das Paket im Flur ab und verlässt die Wohnung wieder. Das Paket enthält eine Bombe; sie explodiert, kaum dass Alex im Treppenhaus ist. Seine Frau und die beiden Söhne sterben. Die großzügige Altbauwohnung im Prenzlauer Berg ist nur noch ein Krater aus Schutt und Asche. Für Alex und seine Tochter Maxi (Luna Wedler), die zu diesem Zeitpunkt nicht in der Wohnung war, beginnt ein Alptraum. Die Ermittler gehen von einem islamistischen Anschlag aus, die Presse berichtet ausführlich.

Vater und Tochter reagieren ganz unterschiedlich auf den Verlust der Liebsten. Maxi weiß nicht, wohin mit ihrer Wut. Als Maxi sich vor einer Reportermeute zu verstecken versucht, läuft sie Karl (Jannis Niewöhner) in die Arme. Der attraktive junge Mann trickst nicht nur die Presse aus, sondern erweist sich auch als sensibler Zuhörer. In einem Café redet sich Maxi ihre Sorgen von der Seele. Ablenkung verspricht die Fahrt zu einem Jugendkongress in Prag, auf den Karl sie einlädt. Maxi reist zur Summer Academy, wo sie pünktlich zur Eröffnungsrede eintrifft. Die Keynote hält Karl, der für die Bewegung Re/Generation Europe spricht. Maxi ist von der Atmosphäre des Treffens und vor allem von Karl so beeindruckt, dass sie erst nach und nach herausfinden wird, dass sich auf dem europäischen Studentenmeeting nicht nur nachdenkliche junge Menschen tummeln. Noch ehe sie wieder zur Vernunft und zu ihrem Vater ­zurückfindet, eskaliert die Situation.

Auch die faschistische Revolte braucht Märtyrer, um in Schwung zu kommen. Gut, wenn sich gleich der Anführer opfert und die Bluttat selbst in Szene setzt, die zum Fanal werden soll. Karl muss sterben, damit Europas Jugend aufsteht und sich dem jungen Rechtsextremen anschließt, die die »Mainstream«-Politiker aus den Parlamenten jagt und die Forderung »Ausländer raus!« umsetzt. Darauf läuft es hinaus: »Je suis Karl« soll zum Schlachtruf einer anschwellenden Bewegung werden. Die Anspielung auf die Solidaritätsbekundung »Je suis Charlie« nach dem ­islamistischen Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo 2015 ist dabei so offenkundig wie fragwürdig, schließlich handelte es sich dabei nicht um den Schlachtruf einer Bewegung oder die Anrufung eines Helden, sondern um ein Bekenntnis zur Meinungsfreiheit, und man weiß nicht recht, ob man die verdrehte Analogie Karl oder dem Regisseur zurechnen soll.

Regisseur Christian Schwochow hat sich als Erzähler spannender Stoffe ­einen Namen gemacht hat, auch wenn er mit der Literaturverfilmung des Romans von Uwe Tellkamp »Der Turm« (2012) eine fade Großbürgerhuldigung lieferte. Schwochow produzierte für die hochdekorierte Net­flix-Serie »The Crown« (2019) zwei Folgen. In der ersten Staffel der ZDF-Serie »Bad Banks« (2018) bewies er, wie schnörkellos spannend er eine Handlung voranzutreiben imstande ist. Das Thema Rechtsterrorismus griff er im Rahmen einer Trilogie über den NSU in der ARD auf. In deren erstem Teil »Die Täter – Heute ist nicht alle Tage« (2016) zeigt er, dass der NSU nicht aus bloß frustrierten und perspektivlosen Jugendlichen entstand, die die Zeitläufte zu Neonazis formten.

Auch in »Je suis Karl« nehmen Schwochow sowie sein Drehbuchautor Thomas Wendrich den Rechtsextremismus und seine Ideologie ernst. Re/Generation Europe ist ein Netzwerk, das deutlich an die Identitären Bewegung erinnert. Die jungen Männer und Frauen sind gebildet, smart, gut gekleidet; ihre Anführer charismatisch. Karl (Jannis Niewöhner) ist der sympathische Kopf, der immer Verständnis zeigt und der ­Jugend Europas eine Stimme verleihen will. Jitka (Anna Fialová) sekundiert ihm bei seinen Auftritten. Die zerbrechlich wirkende Popsängerin lullt die Leute vor der Bühne mit New-Age-Klängen ein. Die trauernde Maxi fühlt sich hier gut aufgehoben. Parolen wie »Love 69, hate 68« auf Jutebeuteln, kollektives Herzchen-Zeigen und die hippe Attitüde der Bewegung scheinen auf den ersten Blick so gar nichts mit rechtem Identitäts- und Heimatkitsch zu tun zu haben. Hinter der Sexyness aber verbirgt sich die zentrale Forderung nach der Zurückeroberung Europas von den »Fremden«, es geht um die Stärkung von Kernfamilie, Mutterschaft, Männlichkeit und Führerprinzip. In seiner rauschhaften Inszenierung im Stil von Musik-Clips entlarvt Schwochow die Ideologie der Bewegung nach und nach. Anschaulich wird, wie junge Leute durch Pop und Subkultur schleichend zur Ideologie geführt werden sollen. Die Identitären überhöhen die Ästhetik ihrer Propaganda als »Metapolitik«. Aber hier bleibt Schwochow nicht stehen, im Film agieren Neonazis, die Neonazis sein wollen und sich nur aus strategischem Kalkül etwas tarnen. Hipness dient ihnen als Camouflage.

Natürlich ahnt man irgendwann, dass der Anschlag im Prenzlauer Berg nicht die Tat von Islamisten ist. In einer Rückblende mitten im Film wird dann auch mehr verraten. Mit großer Dynamik reißt die Dystopie den Zuschauer mit. Das liegt nicht zuletzt an Darstellern wie Luna Wedler und Milan Peschel und der Bildästhetik von Kameramann Frank Lamm. An Maxis Trauer und Wut ist das Publikum immer ganz dicht dran. Wedler gelingt es, sich extreme Gefühle zu erlauben, ohne darin ganz und gar aufzugehen. Dass sie sich bei Karl und seiner Clique gut aufgehoben fühlt und erst spät Fragen stellt, kann man ihr durchaus abnehmen. Nur die Liebesszene zwischen Maxi und Karl rührt zu sehr am Klischee. Milan Peschel als Maxis Vater ist der sehenswerte Gegenpart im Film. Er verkörpert alles, was Rechte hassen und als »Gutmenschentum« diffamieren. Seine tiefe Trauer kommt zum Ausdruck, wenn er etwa überall tote Vögel sieht und die Stimmen seiner toten Jungs hört. Einst hat er den Flüchtling Yusuf über den Brenner geschmuggelt. Nun machen sich beide auf den Weg, um Maxi vor den Nazis zu retten. Eine Odyssee, die durch Yusufs Kommentare geschickt mit seiner Flucht über das Mittelmeer und die Balkanroute verknüpft wird.

Natürlich wirkt die Handlung holzschnittartig. Der Film beeindruckt vor allem durch seine druckvolle Dramaturgie. Auf eine nuancierte Handlung wird dabei ebenso verzichtet wie auf vollständige Plausibilität. In Zeiten, wo Nordkreuz und andere Milizen und Netzwerke Waffen horten und überall in Europa Zulauf erfahren, muss der Film um Glaubwürdigkeit nicht fürchten. Schwochows Sorge gilt der nahen Zukunft, er will kein verstehendes Erklärstück zeigen, sondern hält dem liberalen Zeitgeist den Spiegel vor. Wer mit Nazis redet, so das Credo, wer die Neue Rechte verharmlost oder denkt, dass die das gar nicht so meinen, wird sein böses Erwachen erleben. Der bildgewaltige Film ist allein aufgrund dieser Wut sehenswert.

Je suis Karl (D 2020). Regie: Christian Schwochow, Drehbuch: Thomas Wendrich. Darsteller: Luna Wedler, Jannis Niewöhner, Milan Peschel. Filmstart: 9. September