Die Bundestagsdebatte 
zu Afghanistan

Simulierte Hilfe

Am Tag nach der Bundestagsdebatte über die Evakuierungs­flüge aus Kabul stellt die Bundesregierung diese ein. Für die durch die Taliban gefährdeten Menschen gibt es nur Lippenbekenntnisse.
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Seit der für manche überraschend schnellen Machtübernahme der Taliban in Afghanistan lief die Evakuierungsmission der Bundeswehr. Am Mittwoch vergangener Woche erteilte der Bundestag dafür nachträglich das Mandat: 539 Abgeordnete stimmten für den Einsatz, 90 enthielten sich, neun stimmten dagegen. Gemäß diesem Mandat dürfen die Soldatinnen und Soldaten bis zum 30. September 2021 in Afghanistan eingesetzt werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) räumte in ihrer Regierungserklärung vor der Debatte Fehler bei der Einschätzung der Lage in ­Afghanistan ein, entschuldige sich jedoch nicht. Vielmehr hielt sie der Kritik eine »persönliche Bemerkung« entgegen: »Hinterher, im Nachhinein präzise Analysen und Bewertungen zu machen, ist nicht wirklich kompliziert. Hinterher, im Nachhinein alles genau zu wissen und exakt vorherzusehen, das ist relativ mühelos.« ­Darauf, dass es sehr wohl auch bereits im Vorhinein konkrete Warnungen gegeben hatte, ging sie nicht ein. Die Bundeskanzlerin beteuerte, so lange wie möglich Menschen aus Afghanistan in ­Sicherheit bringen zu wollen, dafür werde die Regierung auch mit den Taliban sprechen.

Nach 20 Jahren Nato-Einsatz haben die Taliban quasi über Nacht die Macht nahezu überall in Afghanistan zurückerobert. Deutschland war völlig überfordert damit, zunächst auch nur seine eigenen Staatsangehörigen in Sicherheit zu bringen. Aus dem Land, in dessen Bergen angeblich die Sicherheit Deutschlands verteidigt wurde, gehen schreckliche Bilder um die Welt – doch der deutsche Politikbetrieb macht einfach weiter wie bisher. Die Bundesregierung zieht sich darauf zurück, dass man die Ereignisse nicht habe vorhersehen können; die Grünen fordern einen Untersuchungsausschuss, die AfD ergeht sich in völkischen Vergleichen und die Linkspartei enthält sich aus pazifistischen Gründen.

Der Co-Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Dietmar Bartsch, bezeichnete den »gescheiterten Afghanistan-Einsatz« treffend als den »schwärzesten Punkt« in der 16jährigen Kanzlerschaft von Angela Merkel. Gleichzeitig enthielt sich die Mehrheit der Linkspartei bei der Abstimmung und forderte stattdessen das Ende ­anderer Auslandseinsätze der Bundeswehr – zum Beispiel in Mali, am Horn von Afrika, im Kosovo oder im Mittelmeer. Diese sollen »unverzüglich« beendet werden, heißt es in dem von der Linkspartei eingebrachten Antrag. Was das den Menschen in Afghanistan bringen soll, bleibt unklar.

Das Evakuierungsmandat erwies sich ebenfalls als wenig hilfreich. Denn wie lange für die Bundesregierung »so lange wie möglich« ist, zeigte sich bereits am nächsten Tag: Der letzte deutsche Evakuierungsflug verließ Kabul am Donnerstag voriger Woche. Dass der Einsatz abhängig von der Präsenz der USA in Afghanistan ist, war von vornherein klar. Deren Truppenabzug ist weiterhin für den 31. August geplant. Dennoch – eine Debatte, an deren Ende der Bundeswehr ein Mandat erteilt wird, nur um dann am nächsten Tag die Evakuierungsmission zu beenden – das ist eine Simulation von Handeln und Hilfe, die den Menschen am Flughafen und auf der Flucht nichts nützt.

Es geht auch anders: Zwischen dem frühen Donnerstagmorgen und dem frühen Freitagmorgen vergangener Woche Washingtoner Zeit flogen die USA und ihre Verbündeten trotz der Anschläge am Kabuler Flughafen weitere 12 500 Menschen aus Afghanistan aus, wie das Weiße Haus mitteilte. Am selben Tag befanden sich nach Angaben des Auswärtigen Amts noch etwa 300 deutsche Staatsangehörige in Afghanistan. Die Zahl der noch im Land befindlichen »Ortskräfte« und als gefährdet identifizierten Personen verändere sich stetig und betrage mehr als 10 000, ergänzte es.

Ob Letztere überhaupt noch ausgeflogen werden sollen, darf bezweifelt werden. Vielmehr scheint die Bundesregierung nun anzustreben, dass diese »in den Nachbarstaaten Afghanistans, in der Region Sicherheit, Schutz und Perspektiven finden«, so Merkel. Dazu habe man bereits Gespräche mit dem pakistanischen Ministerpräsidenten Imran Khan und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan geführt. Dass ausgerechnet diese Länder wieder zur Flüchtlingsabwehr herangezogen und finanziert werden, ist ein weiterer Skandal.