Für progressive Drogenpolitik gibt es im neugewählten Bundestag keine Mehrheit

Breit, weil ihr es seid

Auch im neugewählten Bundestag gibt es keine Mehrheit für eine progressive Drogenpolitik.
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»Es ist Zeit, den Reformstau in der Drogenpolitik aufzulösen«, beginnt eine am 10. September veröffentlichte gemeinsame Erklärung von sieben Verbänden der akzeptierenden Drogenarbeit, unter ihnen das Expertennetzwerk Schildower Kreis und die Deutsche Aidshilfe. Die Verbände fordern die Entkriminalisierung des Besitzes geringer Drogenmengen, die Legalisierung und Regulierung des Handels mit Cannabis sowie eine Neuordnung im Straßenverkehrsrecht, was Führerscheinentzug und Grenzwerte beim Konsum derzeit illegaler Rauschmittel angeht. Außerdem setzen sie sich dafür ein, statt dem weitverbreiteten Konzept der Abstinenz einem Konzept der Schadensminimierung zu folgen, also beispielsweise Angebote zu kontrolliertem Konsum und Drug-Checking zu fördern.

Obwohl diese Forderungen den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellen sollten, wirken sie gemessen an der deutschen Drogen­politik geradezu revolutionär. Während Drug-Checking beispielsweise in Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und Frankreich offiziell angeboten wird, ist es hierzulande immer noch verboten. Dabei ist sogar die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), dafür. Allerdings steht sie damit in den Unionsparteien ziemlich alleine da.

Diese offerieren in ihrem Wahlprogramm Konsumierenden sämtlicher illegalen Drogen stattdessen »frühe und massentaug­lichere Sanktionen, die der Tat auf dem Fuße folgen«. »Zu groß« seien die gesundheitlichen Folgen einer Legalisierung, behaupten die Unionsparteien, und meinen damit auch Cannabis. Dabei wirkt Cannabis bekanntermaßen nur dann tödlich, wenn einem sehr große Mengen von weit oben auf den Kopf fallen – wohingegen der Alkoholkonsum nicht nur jedes Jahr Zehntausende direkt tötet, sondern auch ein entscheidender Faktor bei ungezählten Gewalttaten und Verkehrsunfällen ist. Doch die Union hält es immer noch mit Ludwigs Amtsvorgängerin Marlene Mortler (CSU): »Alkohol gehört im Gegensatz zu Cannabis zu unserer Kultur.«

Man kann die im neugewählten Bundestag vertretenen Parteien anhand ihrer Drogenpolitik in drei Gruppen einteilen. Zur ersten gehört neben den Unionsparteien die AfD. Mit Argumenten muss man dieser Gruppe nicht kommen, außer der »Kulturfremdheit« zählt nichts. Nicht einmal die sonst von diesen Parteien oft beschworene »Volksgesundheit« kann sie zu geringfügigen Verbesserungen im Sinne der Schadensminimierung verführen.

Die zweite Gruppe schweigt zu den harten Drogen, ist aber irgendwie für die Legalisierung von Cannabis, denn die ist längst ein bürgerliches Anliegen und en vogue. Sie soll entweder direkt und umfassend erfolgen, weil dadurch Steuern in Höhe von »jährlich bis zu einer Milliarde Euro eingenommen werden« könnten, wie es bei der FDP heißt, oder nach dem Willen der SPD in Modellprojekten getestet werden. Letzteres hat zwar stets den faden Bei­geschmack der puren Simulation politischen Handelns, ist aber immerhin besser als Nichtstun. Das Hauptargument von SPD und FDP lautet, dass das Cannabisverbot bei Polizei und Justiz erhebliche Ressourcen bindet. Diese könnten nach einer Legalisierung endlich genutzt werden, um andere Gruppen als kiffende Jugendliche zu terrorisieren.

Bleiben als dritte Gruppe noch Bündnis 90/Die Grünen und »Die Linke«, deren Forderungen einigermaßen mit denen der Verbände aus der akzeptierenden Drogenarbeit übereinstimmen: Cannabis legalisieren, eine Politik der Schadensminimierung, Novellierung der Straßenverkehrsordnung sowie ein Werbeverbot für sämtliche Drogen, also auch Alkohol. Allerdings fordert nur die Linkspartei, den Besitz geringer Mengen sämtlicher illegaler Drogen zu entkriminalisieren. Aus der Opposition heraus lässt sich derlei leicht fordern, und selbst gemeinsam verfügen Grüne und Linkspartei über weniger Bundestagsmandate als die SPD.

Möglicherweise nimmt das Bundesverfassungsgericht der neuen Bundesregierung die Entscheidung über die Entkriminalisierung des Besitzes von Cannabis ab. Denn dort sind derzeit zwei Richtervorlagen der sogenannten konkreten Normenkontrolle anhängig, die die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes hinsichtlich des Besitzes von Cannabis für verfassungswidrig halten. Im ersten Fall begründete ein Jugendrichter am Amtsgericht Bernau seine Zweifel damit, dass die Ungleichbehandlung von Alkohol und Cannabis als »grob willkürlich betrachtet werden« müsse. Im zweiten Fall ging es vor dem Amtsgericht Münster um den Besitz von 0,4 Gramm Marihuana.

Dass für ein paar Krümel Gras Strafverfahren geführt werden, verdeutlicht, welche praktische Bedeutung die Legalisierung von Cannabis für ungezählte Konsumierende haben könnte – und was für ein drogenpolitisches Entwicklungsland die BRD ist. Sollte das Bundesverfassungsgericht den Besitz von Cannabis tatsächlich entkriminalisieren, würde es damit auch erneut bestätigen, dass die Repressionswut der Herrschenden allzu oft die Menschen härter trifft, als es das Grundgesetz erlaubt.

Das mörderischste Element der deutschen Drogenpolitik ist und bleibt das Heroinverbot, das Konsumierende auf einen Schwarzmarkt treibt, der sie finanziell und gesundheitlich ruiniert. Im vergangenen Jahrzehnt ist die Zahl der Drogentoten, also der Opfer des deutschen Prohibitionsregimes, regelmäßig gestiegen: 1 581 Menschen im Jahr 2020, 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Es ist die höchste Opferzahl seit 2001.

Während in verschiedenen europäischen und amerikanischen Ländern teilweise auch harte Drogen entkriminalisiert wurden und Gras so vermarktet wird, wie es ein großer Teil der Bevölkerung längst konsumiert, gehen hierzulande weiterhin Menschen wegen ein paar Gramm Substanz in den Knast oder krepieren an den Folgen der staatlichen Drogenpolitik. Dabei laden die Verhältnisse nicht gerade zu Abstinenz ein.