Ein Gespräch mit Ulrich von Klinggräff über den Prozess gegen Lina E.

»Die Bundesanwaltschaft bleibt viele Antworten schuldig«

Lina vs. Bundesanwaltschaft. Der Anwalt Ulrich von Klinggräff spricht über das Verfahren gegen die Antifaschistin Lina E. und drei Mitangeklagte.
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Am 8. September wurde in Dresden der Prozess gegen Lina E. und drei Mitangeklagte eröffnet. Unter anderem geht es um den Vorwurf der Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Was genau wird den Beschuldigten vorgeworfen?

Den vier Angeklagten in diesem Verfahren wird vorgeworfen, gemeinsam – auch mit anderen, teilweise unbekannten Personen – verschiedene Angriffe auf Personen der rechten Szene begangen zu haben, wobei es zu Körperverletzungshandlungen gekommen sein soll. Um das Ganze durchzuführen, soll eine Struktur gebildet worden sein, eine sogenannte kriminelle Vereinigung. Diese allerdings bleibt in der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft ausgesprochen vage. Das heißt, es gibt eine Konstruktion der Bundesanwaltschaft, die sagt, es gebe eine wie auch immer geartete Verabredung im Rahmen einer Vereinigung, die beinhalte, dass man sich zusammengeschlossen habe, um gemeinsam in einer Organisationsstruktur Angriffe auf Nazis vorzunehmen.

Was ist von dem Prozess zu erwarten?

Die Vorzeichen sind nicht besonders gut. Wir als Verteidigerinnen und Verteidiger kritisieren, dass hier ein Verfahren vor der Staatsschutzkammer des Oberlandesgerichts Dresden durchgeführt wird, das dem Bild eines Terrorismusverfahrens ähnelt. Maßgeblich hängt das damit zusammen, dass die Bundesanwaltschaft das Verfahren an sich gezogen hat. Sie hat damit dem Verfahren eine besondere ­Bedeutung für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beigemessen. Die Folge ist, dass die Verhandlung nun in einem Hochsicherheitsgericht unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen stattfindet.

»Wir können hier keine ausreichenden Anhaltspunkte für das behauptete Bestehen einer kriminellen Vereinigung erkennen.«

Wir können hier keine ausreichenden Anhaltspunkte für das behauptete Bestehen einer kriminellen Vereinigung erkennen. Die Bundesanwaltschaft ist etwa nicht in der Lage zu benennen, wor­aus sich die behauptete Gruppenübereinkunft ergibt. Es liegen keine Schriften und keine Bekennerschreiben vor, es gibt keinen Namen für diese angebliche Vereinigung, keine Hinweise auf den Zeitpunkt und die Umstände der Gründung, keine Kenntnis von gemeinsamen Treffen. Insgesamt fehlen Anhaltspunkte dafür, dass die in den einzelnen Fällen agierenden Einzelpersonen sich als Gruppe verstanden und als Gruppe agierten. Da bleibt die Bundesanwaltschaft viele Antworten schuldig. Und darüber hinaus sehen wir nicht, welche besondere Bedeutung in diesem Verfahren zu erkennen sein soll, das es rechtfertigen könnte, hier eine Art Terrorismusverfahren aufzuziehen.

Die Anklage wird von der Bundesanwaltschaft erhoben. Diese hat Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft Sachsen übernommen. Womit wird begründet, dass ­diesem Verfahren bundesweite Bedeutung beigemessen wird?

Die Bundesanwaltschaft trägt sinngemäß vor, dass von diesen Angriffen, die dieser Gruppe vorgeworfen werden, eine Gefährdung für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgehen soll. Sie sieht durch diese Taten eines militanten Antifaschismus das Gewaltmonopol des Staates und den friedlichen politischen Meinungskampf in Frage gestellt. Laut Bundesanwaltschaft soll in den jeweiligen Einzeltaten eine übergeordnete Bedeutung zu erkennen sein, bei der man eine besondere Interessenlage seitens der Bundesrepublik Deutschland erkennen will.

Die Ermittlungen wurden maßgeblich vorangetrieben von der Soko Linx der sächsischen Polizei. Diese Sondereinheit stand, auch nach den Skandalen um Ausschreitungen in der Silvesternacht 2019/2020 in Leipzig und bisher ausbleibenden Ermittlungserfolgen, unter öffentlichem Druck. Bestätigt die Bundesanwaltschaft mit der Übernahme des Verfahren die Arbeit der Soko Linx?

Das Verfahrens ist mit Sicherheit – aus Sicht der Soko Linx – der Versuch einer Aufwertung der eigenen polizeilichen Arbeit. Was wir immer wieder sehen, auch bei der Staatsschutzpolizei, sind starke Vorurteile und Feindbilder, was die linke bis linksradikale Szene betrifft. Fast täglich gibt es neue Erkenntnisse, dass es auch in der Polizei rechtsradikale Strukturen gibt. Wir können feststellen, dass die Soko Linx eine Sondereinheit ist, die in der Vergangenheit nicht sonderlich erfolgreich gewesen ist und deshalb erheblich unter öffentlichem Erfolgsdruck steht.

Die Beschuldigten werden angeklagt, eine kriminelle Vereinigung nach Paragraph 129 StGB gegründet zu haben. Welche Beweise liefert die ­Bundesanwaltschaft für diese These?

Das ist nach unserer Auffassung eine absolut dünne Suppe, die da geliefert wird. Es geht nicht über Allgemeinplätze und allgemeine, nicht weiter belegte Behauptungen hinaus. Da wird relativ stereotyp behauptet, in diesen Angriffen, die dieser angeblichen linksradikalen Gruppierung zugerechnet werden, solls eine besondere Gefährdung der Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland zu erkennen sein. Interpretieren könnte man das in der Art, dass hier sogenannte Weimarer Verhältnisse an die Wand gemalt werden. Es wird ein Szenario entworfen, wonach linke und rechte Gewalt sich gegenseitig hochschaukele, eine gesellschaftliche Radikalisierung vorangetrieben werde und der Rechtsstaat damit insgesamt in Frage gestellt werden soll.

Wie wird in der Anklageschrift das politische Motiv der Angeklagten begründet?

Nur in der Form, dass behauptet wird, dass sämtliche Angeklagte der linken und militanten antifaschistischen Szene angehören sollen und man sich gemeinsam für Angriffe auf Neonazis entschieden habe.

Dabei gibt es ja keine Bekennerschreiben, kein öffentliches Auftreten dieser Gruppe. Anhand welcher Indizien wird überhaupt die politische Richtung dieser Gruppierung festgestellt?

Tatsächlich nur wegen der Angriffsziele. Die Bundesanwaltschaft argumentiert ganz stark mit ihren vermeintlichen Erkenntnissen, dass in Einzelfällen Mitglieder dieser angeblichen kriminellen Vereinigung Angehörige der rechten Szene ausgespäht haben sollen. Der Zweck der Vereinigung habe allein darin bestanden, gemeinsam Angriffe auf diesen Personenkreis durchzuführen. Das ist im Grunde genommen schon alles.

Eine wie auch immer geartete Feststellung zu einer weitergehenden Übereinkunft kann nicht getroffen werden. Es gibt kein Manifest, keine Veröffentlichungen. Hier wird eine kriminelle Vereinigung konstruiert, die keine Inhalte nach außen trägt – wie man es sonst von Vereinigungen kennt, die mit einer politischen Intention handeln. In der Regel geht es doch sonst immer darum, diese politische Motivation, das eigene Anliegen, auch öffentlich sichtbar zu machen und die Aufmerksamkeit, die durch die Taten entsteht, zu nutzen. Das alles fehlt hier völlig. Das heißt, die Bundesanwaltschaft zieht sich allein auf die Art und Weise der Tatbegehung und einen ganz allgemeinen politischen Hintergrund zurück – links gegen rechts. Daraus ergebe sich bereits der Charakter dieser vermeintlichen Gruppierung.

Welche Rolle spielt die vermeintliche politische Ausrichtung der Opfer? Ist diese Thema des Prozesses?

Das ist natürlich insoweit ein zentraler Inhalt der Verhandlung, als dass die Anklageschrift unterstellt, dass die verschiedenen Angriffe immer Nazis ­gegolten haben sollen; dass dies die gemeinsame Zweckbestimmung für die Angriffe gewesen sein soll. Insoweit spielt die Frage, ob hier tatsächlich Nazis angegriffen wurden oder nicht, eine zentrale Rolle für die Bundesanwaltschaft. Man kann das ganze Verfahren auch sehr anders sehen. Man kann auch fragen, ob all das, was hier als Einzeltaten verhandelt wird, tatsächlich einer einheitlichen Gruppierung zuzurechnen ist. Wenn man sich die einzelnen Fälle genauer anschaut, unterschei­den diese sich doch ganz erheblich. Zum Beispiel in den Fragen der Vorbereitung beziehungsweise der Spontaneität der einzelnen Angriffe, der konkreten Durchführung, Organisation und des Auskundschaftens des vermeintlichen Angriffsziels.

So haben wir in den ersten Verhandlungstagen etwa über einen Angriff auf einen jungen Mann verhandelt, der ganz offensichtlich spontan von mehreren Personen durchgeführt worden ist. Es gibt überhaupt keinen Hinweis, dass es einen organisierten Plan für diesen Angriff gab. Dass der Angegriffene am Tag der Tat am Tatort war, konnte niemand vorher wissen. Daher scheint es uns sehr fernliegend, dass so eine Tat von einer Vereinigungsstruktur mit ­einem länger angelegten Plan durchgeführt worden sein soll. Da passt vieles nicht zusammen.