Selbstbespiegelung im Journalismus

Ich, ich, ich

Das Medium Von

Natürlich war früher nicht alles besser, aber ganz schlecht war es nicht, damals, als Presseartikel noch aus Fakten bestanden. Und nicht aus »ich, ich, ich«, also im Prinzip einem längeren Einstieg mit viel persönlicher Perspektive, einer groben Schilderung dessen, worum es geht, und dann zum Abschluss Anmerkungen über das Leben des Autors oder der Autorin. Warum es so um sich gegriffen hat, dass Leute jegliche journalistische Form, vom Koalitionsverhandlungskommentar über einen Hühnerschlachtskandalreport bis hin zum Bericht über die Zustände in Nähereien in Asien für geeignete Vehikel des Ego-Promotings halten oder zumindest für den passenden Anlass, Schwänke aus dem eigenen Leben zu erzählen, man weiß es nicht.

Und so ist es vielleicht auch nicht sehr erstaunlich, dass eine kürzlich auf Twitter hochgelobte Podcast-Serie sich als unanhörbar entpuppte: In der ersten Viertelstunde erfuhr man zwar eine Menge darüber, dass die Autorin schon mal in irgendeiner Münchner In-Disco war und auch einen der dortigen Türsteher kennt, aber nichts über das eigentliche Thema. Vielleicht war derjenige, um dessen Lebensgeschichte es in diesem Podcast gehen sollte, auch mal in einer Disco, das mag natürlich sein. Andererseits duscht er vermutlich auch jeden Tag, aber über die Duschgewohnheiten der Autorin erfährt man nichts – halt, nein, vielleicht kommt das auch noch, ausgeschlossen ist das nicht.

Alles anzuhören ging einfach nicht wegen des enervierenden »ich, ich, ich« und dem immer stärker werdenden Verdacht, dass demnächst eine Reportage (oder ein Podcast) zum Thema Alters- oder Kinderarmut so anfangen könnte: »Armut ist ein wichtiges Thema – das wurde mir erst richtig bewusst, als ich letztens in einer angesagten Münchner Nobeldisko mit dem Türsteher sprach, den ich schon sehr lange kenne und der mir öfter Drinks ausgibt, weil er meinen Style so toll findet, ich gebe mir aber auch wirklich immer viel Mühe, gut auszusehen. Jedenfalls: Armut.«