Zahlreiche Missbrauchs­fälle führen zu Konflikten in der katholischen Kirche

Katholische Krise

Das Aufdecken unzähliger Fälle von sexualisierter Gewalt hat in der katholischen Kirche reformorientierte Kräfte gestärkt. Doch bei der Vollversammlung des Gesprächsforums Synodaler Weg zeigte sich, wie umstritten Reformforderungen sind.

Düsseldorf, Ende Mai. Kardinal Rainer Maria Woelki kommt die katholische Gemeinde in Düsseldorf-Gerresheim besuchen. Eigentlich ist es für Katholikinnen und Katholiken ein besonderer Freudentag, wenn der Erzbischof die Gemeinde besucht. Das passiert normalerweise nur zu besonderen Zeremonien. Die Firmung, mit der junge Katholikinnen und Katholiken in die Gemeinschaft der erwachsenen Gläubigen eintreten, ist eigentlich ein solcher Moment. Doch diesmal muss sich Woelki schon zwei Wochen vor seinem geplanten Besuch Kritik aus der Gemeinde stellen. Fast 150 Mitglieder hatten einen Brief an den Erzbischof geschickt. Er solle doch auf die Firmung verzichten, einen Stellvertreter schicken. ­Woelki genieße nicht mehr das Vertrauen bei den Gläubigen. Als Woelki zwei Wochen vor der geplanten Firmung die Gemeinde besucht, wird er von protestierenden Gemeindemitgliedern begrüßt.

Die Vollversammlung des Synodalen Wegs wirkte teilweise, als ob ein Thüringer AfD-Verband mit der Grünen Jugend ein gemeinsames Programm formulieren wollte.

Das sind erstaunliche Vorgänge, wenn man bedenkt, wie wichtig das Vertrauen in die kirchliche Hierarchie für den katholischen Glauben ist. Grund für den Protest ist der Umgang des Kardinals mit den vielen Vorwürfen sexualisierter Gewalt in der Kirche. Auch in Düsseldorf-Gerresheim hatte es vor Jahren Missbrauchsfälle gegeben. Besonders schwer wiegt, dass Woelki einen der Täter, einen Pfarrer, der für ihn ein väterlicher Freund gewesen sein soll, gedeckt haben soll. Als die Vorwürfe gegen diesen Pfarrer bekannt wurden, hat Woelki nur für eine Versetzung gesorgt. Eine kirchenrechtliche Untersuchung blieb aus. Ein anderer Pfarrer, der in derselben Gemeinde ein Kind sexuell missbraucht haben soll, wurde später sogar noch befördert, ist allerdings inzwischen beurlaubt.

Woelki folgte, so die Interpretation seiner Kritiker, der Devise seines Vorgängers, des Kardinals Joachim Meisner. Dieser betrachtete die sexuell gewalttätigen Pfarrer als »Brüder im Nebel« und hielt Berichte über ihre Untaten unter Verschluss. Woelki veröffentlichte zumindest ein Missbrauchsgutachten – zwar eingeschränkter als erhofft und mit großer Verspätung, aber immerhin. Das Vertrauen in den Gemeinden konnte Woelki so nicht wiederherstellen. In Düsseldorf-Gerresheim antwortete er auf die Frage einer Gläubigen, wie sich die Situation weiterentwickeln werde: »Alles wird gut.« Die Journalistenfrage, was er der Gemeinde mitgebracht habe, beantwortete er mit: »Mich selbst.« Demut? Fehlanzeige.

Im Gegensatz zu anderen deutschen Bischöfen, wie etwa dem Münchner Kardinal Reinhard Marx, hatte Woelki auch darauf verzichtet, dem Papst seinen Rücktritt anzubieten. Einen Unterschied hätte das in der Praxis wohl kaum gemacht, denn alle Rücktrittsangebote deutscher Kirchenfürsten in diesem Zusammenhang wurden vom Papst abgelehnt. Auch die Apostolische Visitation in Köln – eine Art Ermittlungsbesuch durch Gesandte des Papstes, in diesem Fall zwei Bischöfen aus den Niederlanden respektive Schweden – hatte Papst Franziskus nicht dazu bewegt, Erzbischof Woelki und seinen direkten Untergebenen den Rücktritt zu verordnen. Woelki soll sich lediglich bis zum Osterfest eine Pause gönnen.

Die Krise in der katholischen Kirche beschränkt sich nicht nur auf das Erzbistum Köln. 2018 wurde die »MHG-Studie« vorgestellt. Sie wurde von unabhängigen Experten durchgeführt und untersucht sexualisierte Übergriffe im Kirchenkontext im Zeitraum zwischen 1946 und 2014. Alleine die Zahlen sind schockierend. 3 677 Menschen waren von sexualisierter Gewalt betroffen. 1 670 Priester werden als Täter beschuldigt – und von einer Dunkelziffer muss ausgegangen werden.

Seitdem das Ausmaß der Verbrechen bekannt ist, will sich die Kirche ändern. Sie hat dafür das Gesprächsgremium Synodaler Weg erdacht. Seit knapp zwei Jahren arbeiten im Synodalen Weg katholische Laien und Geistliche an ­einer Erneuerung der Kirche. Die Coronakrise hat den Dialog- und Reformprozess zwar verlangsamt, aber am vergangenen Wochenende traf man sich zum zweiten Mal in Präsenz.

Die Vollversammlung des Synodalen Wegs kann man sich wie einen Parteitag der katholischen Kirche vorstellen. Verschiedene Papiere, die in den vergangenen anderthalb Jahren erarbeitet worden sind, etwa zur Sexualmoral, der Rolle der Frau in der Kirche oder dem Priesteramt, wurden am Wochenende diskutiert, mit Änderungen versehen und beschlossen. Eine finale Beschlussfassung soll im kommenden Jahr folgen. Dann brauchen die Papiere allerdings eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Teilnehmer und der anwesenden Bischöfe. Das könnte schwierig werden, denn die Teilnehmer eint kaum mehr, als dass sie sich als katholisch verstehen. Aber darüber, was tatsächlich katholisch ist, gehen die Meinungen meilenweit auseinander.

Und so wirkte die Vollversammlung teilweise, als ob ein Thüringer AfD-Verband mit der Grünen Jugend ein gemeinsames Programm formulieren wollte. Teilgenommen haben illustre Gestalten wie Dorothea Schmidt von der konservativen Initiative »Maria 1.0«, die sich gegen einen kirchlichen Reformprozess einsetzt. Für Schmidt ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau »Gleichmacherei«, gar ein »Gedanke der marxistisch-leninistischen Ideo­logie«. Sie und ihresgleichen stehen zur hierarchischen Kirche und wollen nicht, dass Frauen geweiht werden können oder dass Homosexuellen mehr Raum in der Kirche zugestanden wird.

Ihnen gegenüber stehen allerdings viele Mitglieder aus katholischen Jugend- und Frauenorganisationen, die genau das fordern. Und so gab es beim Synodalen Weg auch leidenschaftliche Redebeiträge für die volle innerkirchliche Gleichberechtigung von LGBT-Personen. Im entsprechenden Papier zu »Beziehungen« kam das allerdings nicht zum Ausdruck. Dort wurde lediglich davon gesprochen, dass auch gleichgeschlechtliche Paare gesegnet werden können, heiraten sollen sie nicht dürfen. Ein großer Aufreger war das in der Vollversammlung aber nicht. Dabei wäre schon die Segnung homosexueller Paare ein großer Kulturwandel in der Kirche.

Für einen großen Aufreger sorgte dagegen der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer. Nachdem Vertreter des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz berichtet hatten, wie es um die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt steht, und Forderungen an den Synodalen Weg gestellt hatten, erklärte er, dass die Betroffenen ihre Rolle nicht für Kirchenpolitik nutzen sollten. »Ich lehne eine Emotionalisierung und das unfehlbare Lehramt der Betroffenen ab«, erklärte Voderholzer. Dafür erntete er viel Widerspruch. ­Ge­rade die Redewendung vom unfehlbaren Lehramt der Betroffenen wurde von vielen Mitgliedern der Vollversammlung als böswillige Zuspitzung angesehen. Unfehlbar ist für Katholiken – in theologischen Fragen zumindest – nur der Papst, wenn er eine offizielle Lehrmeinung verkündet.

Noch einen Schritt weiter als der ­Regensburger Bischof ging Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller, der zwischen 2012 und 2017 Präfekt der Glaubenskongregation war. Er bezeichnete die Vollversammlung des Synodalen Wegs als »Schauspiel vor einer kirchenfremden Öffentlichkeit«, bei dem es um Macht und nicht um »die Wahrheit des Evangeliums« gehe. Auch das Ende der Vollversammlung gibt Anlass für ein bitteres Fazit. Samstagmittag wurde sie vorzeitig abgebrochen, weil schon zu viele Teilnehmer, unter ihnen mehrere Bischöfe, abgereist waren.

Wie es weitergeht in der katholischen Kirche, ist unklar. Es gibt bei den Gläubigen eine starke Strömung, die für Reformen ist. Ebenso stark sind allerdings die Beharrungskräfte in der Kirchenhierarchie. Und dann ist da auch noch Rom. Papst Franziskus äußert sich zwar oftmals fortschrittlich, wenn es um innerkirchliche Reformen geht, bleibt er allerdings zahm. So ist es kaum vorstellbar, dass er die teilweise ambi­tionierten Vorstellungen des Synodalen Wegs akzeptieren wird. Und wenn der Papst Nein sagt, wird sich in der deutschen katholischen Kirche nicht viel verändern. Den reformorientierten Katholiken bleibt dann nur noch der ­Austritt. Eine Option, die manchem Kirchenfürsten gefallen dürfte. Gemeindemitglieder aus Düsseldorf-Gerresheim berichteten, dass Kardinal Woelki ihnen gesagt habe, dass sie ja gehen könnten, wenn ihnen die Kirche nicht gefällt, wie sie ist.