Auf ihrem kürzlich erschienenen Album treiben es Black Dice wieder bunt

Abgefuckte Partymusik

Das neue Album der US-amerikanischen Experimentalband Black Dice sollte Noise-Nerds ebenso gefallen wie Clubgängern.

Um von dem neuen, angenehm übergeschnappten Album »Mod Prog Sic« von der US-Band Black Dice zu erzählen, muss man ein Vierteljahrhundert zurückgehen. Genauer gesagt ins Jahr 1997 nach Providence, wo sich an der Rhode Island School Of Design rund um Noise-Bands wie Lightning Bolt und Arab On Radar, das Label Load Records und den Club Fort Thunder eine ganz neue Form der Krachkultur entwickelte: Trashig und transgressiv, fuzzig und fiebrig, wuchtig und grindig (hier in der US-amerikanischen Bedeutung und Aussprache, nicht der deutschen) klingt der Sound dieser neuen Bands. Die Wurzeln im Punk und Hardcore sind ihnen dabei stets anzuhören.

Den Underground im New York der frühen nuller Jahre prägten Black Dice entscheidend mit, gemeinsam mit Animal Collective und Gang Gang Dance bildeten sie eine Szene, die Punk und No Wave zusammenbrachte.

Hier formierten sich Ende der Neunziger auch Black Dice, eine Band, deren Gründer die Brüder Eric und Bjorn Copeland sind. Sie spielten zunächst in klassischer Rockbesetzung Noisecore/Screamo (erst als Quartett, kurz darauf dann als Trio); einige Livevideos von damals zeigen, wie sie Gitarre und Schlagzeug malträtieren. Ein gutes Bild der Frühphase kann man sich auch machen, wenn man die 2019 erschienene Kompi­lation »Natty Light« (JABS Records) hört. Den weiteren Weg von Black Dice wird diese Grundierung im Noiserock zwar prägen, doch ihren signature sound werden sie erst in New York finden, wo die Copeland-Brüder Ende der Neunziger hinzogen und mit Aaron Warren die Triobesetzung bildeten, die bis heute Bestand hat.

Ihr unglaublich gut gealtertes Debütalbum »Beaches & Canyons«, das 2002 auf James Murphys erst kurz zuvor gegründetem DFA-Label erschien, sowie die darauf folgende EP »Miles Of Smiles« (2004) zeigen bereits eine Entwicklung in eine andere Richtung: Gitarreneskapaden sind nur noch hintergründig zu hören, dafür integriert das Trio Drones, Ambientflächen, Synthesizergeplucker und verschachtelte Beats in sein Klangbild. Den Underground im New York der frühen nuller Jahre prägten Black Dice entscheidend mit, gemeinsam mit Animal Collective und Gang Gang Dance bildeten sie eine Szene, die Punk und No Wave zusammenbrachte, aber auch dem Dancefloor nicht abgeneigt war. Während aber die anderen beiden Bands immer mehr Richtung Pop strebten, hielten Black Dice ihrem abgefuckten, sperrigeren Sound weiter die Treue.

Seit 2012 das Album »Mr. Impossible« erschienen war, hörte man wenig von der Band. In dieser Zeit machte Eric Copeland solo weiter, arbeitete aber auch mit Avey Tare von Animal Collective zusammen, während Bjorn Copeland nach Los An­geles zog und sich mehr auf die Bildende Kunst verlegte. Anfang Oktober veröffentlichten Black Dice ihr siebtes Album »Mod Prog Sic, und zwar auf Jonathan Galkins (Ex-DFA) neuem Label Fourfour Records.

Schon der Vorabtrack »White Sugar« klang viel versprechend: Ein kräftiger, tanzbarer Beat kommt da mit verspulten und verfrickelten Synthesizer-Loops zusammen, das Beste aus den Providence-Welten der Neunziger und dem New-York-Kosmos der Nuller vereint sich hier in einem Song. Der Track klingt ge­rade noch kaputt genug, um Noise-Nerds zu gefallen, und schon eingängig genug, um auch Clubgängern Vergnügen zu bereiten.

Das gesamte Album steht dem in nichts nach. Das Klangbild auf »Mod Prog Sic« wird bestimmt durch Synthesizer-Sounds, die oft verzerrt und geloopt werden, auch die E-Gitarrenparts (Bjorn Copeland) sind extrem verfremdet. Überwiegend ist die Musik instrumental, manchmal werden jedoch Stimmen moduliert und gesampelt. Black Dice nutzen Verzögerungs- und Verzerrungseffekte; dabei scheinen sie meist mit analogen Synthesizern und weniger mit Software zu arbeiten.

Zwischen reinen elektroakustischen Klangexperimenten finden sich dabei auch vergleichsweise eingängige Stücke wie das einleitende »Bad Bet«, das bereits genannte »White Sugar« oder »Big Chip«, das mit einem Beat zwischen HipHop und Dub beginnt und wie ein verfremdeter und dekonstruierter Popsong klingt. Oft zieht sich ein gleichbleibender Beat durch die Tracks (»Tuned Out«, »Jocko«) – auch das sorgt dafür, dass die Musik in gewissem Maße zugänglich bleibt. Zwischendurch grooven sie sich dabei richtig ein und landen – wie in »Swinging« – irgendwo zwischen Kraut und House. Insgesamt: Komplexe, aber nicht überkomplexe Musik.

Einige Referenzen aus der Pop- und Musikgeschichte fallen einem natürlich schon ein, zuvorderst vielleicht Suicide und Cabaret Voltaire, auch wegen der Art und Weise, wie diese beiden Bands Synthesizer eingesetzt haben. Bei Black Dice kann man sogar noch weiter zurückgehen bis zu Karlheinz Stockhausen und zur Musique concrète, will man alle Einflüsse benennen. Auch die Polyrhythmik vieler afrikanischer Musikstile kommt einem in den Sinn, ebenso so manche jüngere Veröffentlichung des ugandischen Labels ­Nyege Nyege. Man hört »Mod Prog Sic« also an, dass auch die experimentelle elektronische Szene der vergangenen Jahre nicht spurlos an Black Dice vorübergegangen ist.

Grelle Ästhetik prägt die Videoclips von Black Dice. Häufig werden Bilder über- und ineinandergeschnitten, ein- und ausgefadet, es flimmert ordentlich. Musikvideos für das ADHS-Zeitalter. Der Clip zu »White Sugar«, den der US-Künstler Aaron Anderson produziert hat, ist ein gutes Beispiel dafür; man würde ihn mit seinen vielen Fein- und Einzelheiten wahrscheinlich lieber auf einer großen Leinwand in einer ­Galerie als zwischendurch auf You­tube sehen. Interessant ist, dass es durchaus Schnittmengen mit der Krypto-und Cyberästhetik derzeit erfolgreicher Acts wie Holly Herndon oder Amnesia Scanner gibt, aber Black Dice fast zu jedem Zeitpunkt weniger glatt, weniger artifiziell und »analoger« anmuten.

Durch die USA tourt das Trio im Oktober und November nach der Coronapause schon wieder, man kann nur hoffen, dass bald auch eine Europa-Tour möglich sein wird – denn ganz wesentlich ist Black Dice eine Band, die man live und in Aktion ­erleben will. Bjorn Copeland hat ihre Musik in einem Interview mit The Fader mal als »Partymusik« bezeichnet, ein Sound zum Feiern und Freidrehen: »Fucked up music that was really loud and energetic and had some sort of spectacle to it«. In der Tat ist das Wilde, Chaotische, Überbordende in der Musik von Black Dice bis heute erhalten geblieben, so viel hat sie mit dem Sound früher Tage gemein.

Black Dice: Mod Prog Sic (FourFour ­Records)