Rechtsextreme Verdachtsfälle in der Bundeswehr

Ein Einzelfall jagt den nächsten

In den vergangenen Wochen sind weitere Fälle von rechtsextremen Bundeswehrsoldaten und Reservisten bekannt geworden.

Deutsche Soldaten in brauner Uniform, die mit Fackeln in der Hand vor dem Reichstagsgebäude aufziehen – in der vergangenen Woche hatte der »Große Zapfenstreich« zum Abschluss des Afghanistan-Einsatzes einige Diskussionen ausgelöst. Das Verteidigungsministerium teilte daraufhin mit, »Vergleiche mit dem dunkelsten Kapitel Deutschlands enttäuschen uns«. Dabei bedarf es nicht einmal martialischer Militärparaden, um solche Vergleiche zu veranlassen – es reicht, sich in Erin­nerung zu rufen, wie oft ehemalige und derzeitige Mitglieder der Bundeswehr wegen rechtsextremer Gesinnung auffallen.

Der letzte »Einzelfall« war der des ehemaligen Fallschirmjägers Jens G. Dieser war unter seinesgleichen offenbar äußerst gut vernetzt – das heißt, sowohl mit anderen Reservisten der Bundeswehr als auch mit völkischen Rechtsextremen. G. war Stellvertretender Kreisvorsitzender der Reservistenkreisgruppe Hannover und Mitorganisator eines beliebten Militärfahrzeugtreffs. Recherchen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel zufolge hat der Oberstleutnant der Reserve außerdem eine Wehrsportgruppe mit anderen rechtsextremen Reservisten gegründet, mit dem mutmaßlichen Ziel, Migranten zu töten. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittelt gegen neun Beschuldigte. Zudem soll G. Kontakt zu einem mutmaßlich rechtsextremen Referenten im Bundesverteidigungsministerium unterhalten haben.

2020 und 2021 sind zahlreiche Fälle bekannt geworden, in denen Soldaten oder ehemalige Soldaten sich anscheinend gezielt auf bewaffnete Terrorakte vorbereiten.

Wie das Informationsportal Blick nach rechts berichtete, war G. Teil des inzwischen formal aufgelösten völkischen Vereins Deutsch-Wandervogel (DWV), der besonders in Niedersach­sen aktiv war. Der DWV zählte zu den radikalsten völkischen Vereinigungen, auch Antisemitismus war hier seit jeher zentral. Ein Mitglied des DWV soll 1967 gemeinsam mit dem ägyptischen Heer gegen Israel in den Krieg gezogen sein.

Jens G. ist nur der letzte einer nicht abreißenden Reihe rechtsextremer Verdachtsfälle in der Bundeswehr. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) zählte 2016 227 Fälle, 2019 schon 363. Im Berichtszeitraum 2020 waren es 477. Am meisten Aufsehen erregte in den vergangenen Jahren wohl das sogenannte Hannibal-Netzwerk, das 2015 von dem Bundeswehrsoldaten André S. gegründet worden war. Dort haben sich Polizisten, Soldaten und Reservisten organisiert, um sich auf den erwarteten Zusammenbruch der Gesellschaft am »Tag X« vorzubereiten. Auch der mutmaßliche Rechtsterrorist Franco A. gehört zu diesem Netzwerk. Er hatte offenbar geplant, als Geflüchteter verkleidet Terroranschläge zu begehen, um bürgerkriegsähnliche Zustände zu provozieren.

Auch in den Jahren 2020 und 2021 sind zahlreiche Fälle bekannt geworden, in denen Soldaten oder ehemalige Soldaten nicht bloß betrunken völkische Lieder grölten, sondern sich anscheinend gezielt auf bewaffnete Terrorakte vorbereiten. Im Juli 2020 haben Ermittler bei einem 50jährigen Bundeswehrreservisten in Niedersachsen Panzer- und Handgranaten sowie eine Liste mit den Adressen von 17 deutschen Spitzenpolitikern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gefunden. Einen Monat später wurden gegen einen anderen Soldaten Ermittlungen wegen Terrorverdachts aufgenommen. Der Unteroffizier soll Kontakte in die rechte Kampfsportszene unterhalten haben. Am 3. Oktober 2020 nahmen drei Reservisten der Bundeswehr aus Bielefeld an einer Demonstration der neonazistischen Kleinstpartei »Der III. Weg« in Berlin teil, wie das Recherchekollektiv OWL berichtete. Im März 2021 fand man bei einer Hausdurchsuchung bei einem Soldaten in Hessen Waffen, Munition und das rechtsextreme Manifest »Wie man die Macht in Deutschland übernehmen könnte«.

In dieser Zeit begannen außerdem Soldaten und Reservisten aus ganz Deutschland, sich via Telegram zu organisieren, um die »Querdenken«-Demonstrationen zu begleiten. Anfang Oktober entdeckte die Polizei im nordrhein-westfälischen Aldenhoven ein Waffenlager bei einem 32jährigen Soldaten. Kurz darauf wurden gegen Mitglieder der zweiten Kompanie des Wachbataillons Ermittlungen aufgenommen. Das Wachbataillon ist bei öffentlichen Zeremonien, zum Beispiel Staatsbesuchen, im Einsatz, kommt also prominenten Ehrengästen sehr nahe. Mindestens sechs Soldaten der Einheit sollen eine rechtsextreme Gruppe gegründet haben, die sich selbst als »Wolfsrudel« bezeichnete.

Besonders die organisierte Reservistenszene bietet offenbar eine Heimat für rechtsextreme ehemalige Soldaten. Der Bielefelder Reservist Michael Reinert, der 2020 mit »Der III. Weg« marschiert ist, war laut dem Recherchekollektiv OWL Obergefreiter der Reserve und Vorsitzender einer Bielefelder ­Reservistenkameradschaft. Auch Jens G. war in das Sozialleben der Reservisten bestens eingebunden.
Wer sich bei der Polizei oder dem Militär bewirbt, soll eigentlich überprüft werden. Bundespolizei, Bundesverfassungsschutz, Bundeskriminalamt und auch die Bundeswehr nehmen als Teil des Bewerbungsverfahrens Ab­fragen beim Verfassungsschutz vor. Für die Landespolizeien tun das nur Bayern, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Doch eine wiederholte Überprüfung während der Berufslaufbahn gibt es für Polizisten allein in Hamburg, bei der Bundeswehr überhaupt nicht.

Im Fall des mutmaßlichen Wehrsportgruppenleiters Jens G. wäre sie wohl sinnvoll gewesen. Blick nach rechts zufolge war G. dem niedersächsischen Verfassungsschutz bekannt. Der Inlandsgeheimdienst soll ihn unter der Personennummer 61 764 380 geführt haben.