Antisemitismus in der Fanszene des 1. FC Union Berlin

Und niemals vergessen

Bis heute gilt der 1. FC Union Berlin als eine Art FC Sankt Pauli der DDR. Die antisemitischen Vorfälle, zu denen es beim Spiel gegen Maccabi Haifa FC kam, waren allerdings kein Einzelfall.

Es war das erste Pflichtspiel einer israelischen Mannschaft im einstigen Großbauprojekt der Nationalsozialisten, dem Berliner Olympiastadion. Sportlich ging es bei der Partie 1. FC Union Berlin gegen Maccabi Haifa FC am 30. September um den Einzug in die nächste Runde der erstmalig ausgetragenen Uefa Europa Conference League – überschattet wurde das Spiel jedoch von antisemitischen Übergriffen. Bereits während des sportlichen Aufeinandertreffens berichteten Anhänger der Gästemannschaft auf Twitter von Beleidigungen. »Im gemischten Block wurden wir von Union-Fans bedroht, mit Bier beworfen.« Sie seien »als ›scheiß Juden‹ beleidigt« worden und ein Fan soll versucht haben, eine israelische Fahne anzuzünden. Dies sei durch Zivilpolizisten verhindert worden.

Die Trennung der jeweiligen Fanlager, auf die Sicherheitskräfte normalerweise penibel achten, funktioniert bei internationalen Spielen, die nicht als Hochrisikospiele eingestuft werden, eher selten. Maccabi-Fans ohne Wohnanschrift in Israel kamen nur über verschlungene Wege an Karten für den Gästeblock. Deshalb griffen viele Gästefans auf Tickets zurück, die im freien Verkauf zu erwerben waren. Das führte schon bei der Anreise zu Problemen, da beide Fanlager im öffentlichen Nahverkehr aufeinandertrafen. Sprüche gegen Juden und die Formulierung »scheiß Juden« sollen laut RBB schon in der S-Bahn zum Olympiastadion zuhören gewesen sein.

Bei den Aufmärschen der sogenannten »Berliner Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes – Bärgida« liefen der Berliner Tagespresse zufolge regelmäßig Fans von Hertha BSC und dem 1. FC Union mit.

Während des Spiels zeigte ein Union-Fan im Stadion den Hitlergruß in Richtung des Auswärtsblocks, berichtet das Netzwerk Fare, außerdem kam es mindestens zu einem körperlichen Angriff sowie zu unzähligen antisemitischen Beleidigungen. Die Deutsche Welle zitierte einen Fan, der von Beschimpfungen wie »Scheiß Juden, wir machen euch wieder platt« oder »F*** euer Israel« berichtete. Nach dem dritten Tor des Bundesligisten sollen dann auch Bierbecher und andere Gegenstände in Richtung des Gästeblocks geflogen sein, woraufhin viele Zuschauer diesen Block verließen. Zuvor, so berichtet es das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, waren Anhänger von Maccabi aus Sicherheitsgründen aus dem gemischten in den Gästeblock gewechselt.

Die Vereinsführung des 1. FC Union Berlin verurteilte die antisemitischen Vorfälle umgehend und erklärte: »Antisemitismus ist leider in unserer Gesellschaft nach wie vor vorhanden, deshalb zeigt er sich auch im Stadion.« Der Sportverein wolle Diskriminierung in seinen Reihen nicht dulden und versprach, »unermüdlich dagegen anzugehen«. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorfälle drückte die Vereinsführung nach Angaben der Sprecherin Petra Mattuscheck den Verantwortlichen von Maccabi Haifa ihr Bedauern aus und versprach eine schnelle Aufklärung. Der erste Verdächtige sei schon identifiziert, ein Ausschlussverfahren gegen ihn sei eingeleitet worden, alle dem Verein vorliegenden Informationen seien zudem an das Landeskriminalamt übermittelt worden.

Derzeit ermitteln die Sicherheitsbehörden wegen dreier strafrechtlich relevanter Sachverhalte: dem Inbrandsetzen einer ausländischen Fahne und zweier Fälle von Volksverhetzung. Denn außer dem während des Spiels mutmaßlich gezeigten Hitlergrußes soll ein weiterer Mann nach dem Schlusspfiff mehrfach »Sieg Heil« gerufen haben.

In den Internetforen der »Eisernen« werden die Ereignisse recht unterschiedlich diskutiert. Vor allem die Presseberichterstattung stößt vielen bitter auf. Der Tenor ist dabei eindeutig: Die große Mehrheit der Fans, die sich »ja sogar freundlich-harmonisch verhalten« haben soll, müsse nun leiden »wegen zwei, drei Typen, die idiotischen Scheiß von sich geben«.

Diese ablehnende und beleidigte Reaktion auf kritische Presseberichte entspricht einer von vielen Fans des Ostberliner Vereins seit Jahrzehnten gepflegten Attitüde. Zu DDR-Zeiten 40 Jahre lang belogen und betrogen, habe sich die Ungerechtigkeit nach der Wende nahtlos fortgesetzt. Der Lizenzentzug durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) 1993 gilt noch immer als die größte Benachteiligung, die der Verein je über sich ergehen lassen musste.

Damals erfuhr der im Aufstiegsrennen sportlich geschlagene Westberliner Fußballverein Tennis Borussia Berlin (TeBe) von einer gefälschten Bankbürgschaft der Ostberliner und zeigte Union daraufhin beim DFB an. Der entzog dem Verein die Lizenz. Als Nachrücker stieg stattdessen TeBe in die Zweite Liga auf.

»So einen gigantischen Betrug gab es nicht einmal früher«, empörte sich ein Vorstandsmitglied des 1. FC Union über die Entscheidung des DFB. Dass es strafbar ist, eine Bankbürgschaft zu fälschen, wurde dagegen heruntergespielt. Verein und Fans stilisierten sich zum Opfer einer westlichen Intrige: Das Diktat der Stasi sei durch das Diktat des Geldes ersetzt worden. Der Spiegel stellte damals fest, dass »das in 40 DDR-Jahren mühsam erworbene Rebellenimage« nun »mühelos die drei Buchstaben SED durch DFB« ersetzt habe.

Nur selten wird heutzutage erwähnt, dass es im Rahmen der Auseinandersetzung mit Tennis Borussia mehrfach zu antisemitischen Äußerungen kam. Der Westberliner Verein und sein Präsident Horst Nußbaum, auch bekannt als Jack White, galten fälschlicherweise als jüdisch. »Noch zur Aufstiegsrunde 1992/1993 sangen sehr viele Unioner das Hans-Rosenthal-Lied, in dem der Tod des ehemaligen Tennis-Borussia-Präsidenten und Holocaust-Überlebenden gefeiert wurde«, berichtet Frank Willmann im Freitag. (Der deutsch-jüdische Entertainer Hans Rosenthal war 1987 gestorben, Anm. d. Red.)

Gern vergessen wird auch, dass Union seit Jahrzehnten ein veritables Problem mit Neonazis in seiner Anhängerschaft hat. Beim Landespokalspiel in der Saison 1992/1993 gegen Türkiyemspor Berlin beleidigten Union-Fans die Gäste-Fans rassistisch. Ein Mob aus organisierten Neonazis und Fans der Köpenicker intonierte Sprechchöre wie »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« und »Türkensau«. Die aus dem Berliner Umland stammende Ul­tragruppierung »Crimark« fand sich 2012 im brandenburgischen Verfassungsschutzbericht wieder, weil sie vom Inlandsgeheimdienst als rechtsextrem eingestuft wurde. Die Mitglieder sollen unter anderem für antisemitische Schmierereien gegen den Sportverein Babelsberg (SVB) wie »Juden SVB« verantwortlich gewesen sein.

2019 beleidigte ein Fan des 1. FC Union Berlin auf Twitter den israelischen Spieler Almog Cohen als »Judenvieh« und beendete seine Hasstirade mit der Formulierung »ab in die Kammer mit dir«. Die Gründungsveranstaltung der Hooligans gegen Salafisten (Hogesa) in Berlin wurde auf einem Social-Media-Account eines Fans von Union Berlin angekündigt. Bei den Aufmärschen der sogenannten »Berliner Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes – Bärgida« liefen laut Berliner Tagespresse regelmäßig »Fans von Hertha BSC und dem 1. FC Union« mit.

Dennoch behauptete die Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage im Sommer 2018, dass die »Fanszenen der drei großen Berliner Fußballvereine Hertha BSC, 1. FC Union Berlin und BFC Dynamo (…) sich im Stadion sowie im Umfeld von Sportveranstaltungen unpolitisch« zeigten. Erkenntnisse über Fangruppierungen, die ausschließlich aus Rechtsextremen bestehen oder durch diese gesteuert werden, lägen dem Senat nicht vor. Und »Einzelpersonen innerhalb der Fanszenen, welche über rechtes Gedankengut verfügen, tragen dieses bei Sportveranstaltungen grundsätzlich nicht nach außen«.