Immer wieder Eisern Union
Auf der Hin- und Rückfahrt zum und vom Fußballspiel zwischen dem 1. FC Magdeburg und dem 1. FC Union Berlin am 13. August 1977 in Magdeburg demolierten Union-Hooligans zwei Reisezugwagen der Deutschen Reichsbahn »erheblich«, wobei ein Sachschaden in Höhe von 14 000 Mark entstand. Beide Wagen mussten vorübergehend aus dem Verkehr gezogen werden.
Im Zusammenhang mit dem DDR-Oberligaspiel zwischen dem 1. FC Union und dem Halleschen FC Chemie am 15. Oktober 1977 in Berlin zogen Hooligans aus Halle im Zug der Reichsbahn D 156 nach Berlin die Notbremse, wodurch der Zug sich 62 Minuten verspätete. In Berlin kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den Hooligans des 1. FC Union. Insgesamt wurden 58 Hooligans durch die Deutsche Volkspolizei (DVP) »zugeführt«, wie es im Polizeijargon hieß, davon wohnten 24 Personen in Berlin, 26 im Bezirk Potsdam sowie fünf in Halle und drei in Frankfurt/Oder. Gegen zwei Hooligans aus Berlin (einen 15- und einen 18jährigen) wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil sie während des Spiels Lieder mit faschistischem Inhalt gegrölt hatten. Nach der Melodie des Schlagers »Schmidtchen Schleicher« sangen sie »Oh, Adolf Hitler mit den elastischen Beinen« und ähnliche Abwandlungen bekannter Lieder. Auf den Schiedsrichter bezogen wurden antisemitische Hetzparolen, wie »Judenbalg« und »Der schwarze Mann, das Judenschwein, wird wieder fröhlich sein« gegrölt.
Am 8. April 1989 grölten im Bereich der Berliner Jannowitzbrücke Hooligans des 1. FC Union »Deutschland den Deutschen«, »Ausländer raus« und »Ausländer vertreiben – Nazis bleiben«.
Ebenso wie Übergriffe von Neonazis oder Skinheads wurden auch die von Hooligans unter dem juristischen Allerweltsparagraphen »Rowdytum« (Paragraph 215 Absatz 1 StGB der DDR) subsumiert sowie als »dekadent-negative«, »feindlich-negative« oder als »politisch-negative Elemente« rubriziert. Anfang der achtziger Jahre schätzte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR den Fanblock des 1. FC Union Berlin, als mehrheitlich von »Asozialen und Chaoten« unterwandert ein.
Auf dem S-Bahnhof Berlin-Köpenick kam es am 20. August 1980 nach einem Match in der zweitklassigen DDR-Liga zwischen dem 1. FC Union und Chemie Schönebeck zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Als vom Personal des Bahnhofes ein Jugendlicher im Dienstraum festgesetzt worden war, versuchten andere Jugendliche, ihn zu befreien. Transportpolizisten, kurz Trapo, so lautete die DDR-Bezeichnung für die Bahnpolizei, griffen ein und führten insgesamt 28 Jugendliche dem Revier der Volkspolizei zu. Unter den »Zugeführten« waren auch drei Kinder (zwölf und 13 Jahre alt), elf 14jährige, neun 15jährige und zwei 16jährige. Wegen ihres Alters und untergeordneter Tatbeteiligung wurde auf die Einleitung strafrechtlicher Maßnahmen verzichtet. Nach Beendigung der Schulferien sollte jedoch eine schulische »erzieherische Auswertung« veranlasst werden. Gegen zwei weitere Personen wurde durch die Abteilung Kriminalpolizei der DVP-Inspektion Lichtenberg ein Ermittlungsverfahren wegen »Rowdytum« eingeleitet. Gegen sie sollte vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Lichtenberg ein beschleunigtes Verfahren angesetzt werden, mit dem Ziel, dass sie zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden.
Am 24. März 1985 trat der 1. FC Union Berlin zum Zweitligaspiel bei Dynamo Fürstenwalde an, wozu circa 1 000 Anhänger aus Berlin angereist waren. Auf dem Rückweg vom Stadion zum Bahnhof kam es zu gewalttätigen Angriffen von Berliner Hooligans auf Angehörige der DVP. Ein Oberleutnant der DVP wurde durch die Fensterscheibe eines Blumengeschäfts gestoßen, ein weiterer Volkspolizist im Gesicht verletzt. Beide Opfer konnten keine Angaben zu den Angreifern machen. Die Hooligans wurden zur Täterermittlung auf dem Bahnhofsgelände eingekesselt, dabei griffen sie einen Trapo an. Während der Abreise sangen die Hooligans faschistische Lieder und grölten »Heil Sieg«, »Groß Berlin« und »Deutsches Reich«.
In Luckenwalde (Bezirk Potsdam) beleidigten am 22. November 1985 bei einer Tanzveranstaltung in der Gaststätte »Siedlerheim« mehrere Einheimische drei sowjetische Zivilangestellte und einen Leutnant der Sowjetarmee (in Zivilkleidung). Am Ende der Veranstaltung wurden zwei sowjetische Bürger beim Verlassen des Gasthauses tätlich angegriffen. Anschließend verließen auch die beiden anderen sowjetischen Bürger das Lokal. Mehrere Deutsche griffen sie daraufhin an, einer der beiden Männer wurde niedergeschlagen und getreten.
Gegen acht Beschuldigte wurden Ermittlungsverfahren wegen »Rowdytum« und »Beleidigung wegen Zugehörigkeit zu einer anderen Nation oder Rasse« (Paragraph 140 StGB) eingeleitet. Alle Täter zählten zu den Hooligans des 1. FC Union Berlin. Am 18. Dezember 1985 fand vor dem Kreisgericht Luckenwalde der Prozess statt, bei dem »eine politische Motivation« der Täter jedoch nicht nachgewiesen werden konnte. Der »Initiator« der Auseinandersetzungen erhielt eine Jugendhaftstrafe von zwei Monaten. Die anderen Angeklagten wurden zu Bewährungsstrafen zwischen anderthalb und zwei Jahren verurteilt. Gegen die Leiterin der Gaststätte wurde ein Ordnungsstrafverfahren »wegen Nichtwahrnehmung beziehungsweise Vernachlässigung ihrer Pflichten« angestrengt.
Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend (FDJ), dem Ministerium des Innern, der Generaldirektion Jugendtourist (vergleichbar mit dem bundesdeutschen Jugendherbergswerk), der FDJ-Bezirksleitungen Berlin und Leipzig sowie dem Leiter des Jugendklubs des 1. FC Union Berlin suchte 1988 nach Lösungen zur Eindämmung der ausufernden Gewalttaten. Für die Fahrt zu einem Spiel in Leipzig organisierte die Gruppe einen Sonderzug ohne Alkoholausschank. Und so reisten 210 Berliner Fußballfans, inklusive FDJ-Ordnungsgruppenmitglieder, nach Leipzig. Neben dem Besuch der Sportveranstaltung war, als pädagogische Maßnahme, ein Besuch des Sportmuseums vorgesehen. Vor einer Büste zur Erinnerung an Werner Seelenbinder – der antifaschistische Sportler war 1944 im Zuchthaus Brandenburg-Görden ermordet worden – zeigte ein Hooligan den Hitlergruß. Daraufhin entwickelte sich eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen ihm und zwei anderen Hooligans einerseits und der mitgereisten FDJ-Ordnungsgruppe andererseits. Mitglieder der Ordnungsgruppe wurden beschimpft und bespuckt. Im Stadion selbst befanden sich etwa 100 Berliner Jugendliche, die separat angereist waren. Unter ihnen waren ungefähr zehn Skinheads, die sich besonders auffällig und aggressiv verhielten.
Am 8. April 1989 grölten in Berlin im Bereich der Jannowitzbrücke Hooligans des 1. FC Union »Deutschland den Deutschen«, »Ausländer raus« und »Ausländer vertreiben – Nazis bleiben«. Die DVP-Inspektion Berlin-Mitte leitete gegen sieben Personen Ermittlungsverfahren wegen »Rowdytum« und »öffentlicher Herabwürdigung« ein; Haftanträge wurden abgelehnt.
Diese Beispiele zeigen, welche destruktiven Emotionen im Umfeld von Fußballveranstaltungen in der DDR mobilisiert und ausgelebt werden konnten. Sie boten den öffentlichen Raum, um individuell und kollektiv rassistische und antisemitische Aggressionen propagandistisch und gewalttätig auszuleben. Skinheads und andere gewaltorientierte Jugendliche bildeten mit den aktionistischen Hooligans den Kern der rassistischen Szene in der DDR. Für die SED-Führung war spätestens ab den achtziger Jahren diese Szene kaum mehr zu beherrschen, was auch daran sichtbar wurde, dass in der Saison 1984/85 bei Spielen der Oberliga, der höchsten Spielklasse der DDR, bis zu 5 000 Volkspolizisten und Angehörige des MfS eingesetzt wurden. In der Spielzeit 1983/84 gab es bei 30 Prozent aller Spiele in der Oberliga sogenannte Störungen, 1985/86 waren es schon 43 Prozent. In der Saison 1987/88 wurden über 1 000 Ausschreitungen mit Hooligan-Beteiligungen registriert.