Ermittlungsinterna der sächsischen »Soko Linx« gelangten an Rechtsextreme

Kommissar Rex gegen Linx

Zwei Jahre nach der Gründung der »Soko Linx« beim sächsischen Landeskriminalamt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen der beteiligten Ermittler. Es geht um die Weitergabe von Interna an Rechtsextreme.

Im laufenden Prozess gegen die Antifaschistin Lina E. am Oberlandesgericht Dresden kam es Ende September zu einem kuriosen Vorfall: Der vorgeladene Beamte der »Sonderkommission Linksextremismus« (»Soko Linx«) des ­Landeskriminalamts (LKA), Patrick H., machte plötzlich von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Das darf bekanntlich ein Zeuge vor Gericht nur, wenn er sich andernfalls selbst belasten müsste. Wie sich herausstellte, laufen derzeit Ermittlungen gegen den LKA-Beamten wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen.

Nach einer Hausdurchsuchung im Leipziger Stadtteil Connewitz im April waren Ermittlungsinterna, unter an­derem Daten eines beschlagnahmten Smartphones, an das rechte Magazin Compact gelangt. Die Lebensgefährtin des von der Durchsuchung Betroffenen Henry A. bekam am folgenden Tag auf ihrer Privatnummer – die sie bei der Durchsuchung den Beamten gegeben hatte – einen anonymen Anruf, der sie auf die Veröffentlichung der privaten Details hinwies. Dass es bei der »Soko Linx« einen Maulwurf gibt, war also bereits bekannt. Durch den fragwürdigen Auftritt vor Gericht zog Patrick H. Aufmerksamkeit auf sich. Journalisten recherchierten und fanden heraus, dass er möglicherweise ein ganz privates Problem mit Henry A. hat: ­Dieser arbeitet in der Leipziger Stadtverwaltung und hatte im Frühjahr ein Neubauprojekt genehmigt, das sich in der privaten Nachbarschaft des LKA-Beamten befindet und gegen das dieser sich in einer Bürgerinitiative engagiert.

Die »Soko Linx« wurde im November 2019 gegründet. Voraus­gegangen waren verschiedene militante Aktionen in Leipzig im Konflikt um Stadtentwicklung und Gentrifizierung.

A. war schon mehrmals Ziel polizeilicher Ermittlungen, zum Beispiel als ­ehrenamtlicher Geschäftsführer des Fußballregionalligisten BSG Chemie Leipzig, in dessen Fanszene die Polizei vor einigen Jahren eine kriminelle ­Vereinigung suchte – vergeblich, das Verfahren wurde eingestellt. Im aktu­ellen Fall soll A. an einem Angriff auf rechte Anhänger eines rivalisierenden Fußballvereins im September 2019 ­beteiligt gewesen sein. Und stets war Patrick H. an den Ermittlungen beteiligt. Mehrere Medien, darunter die Taz und der Spiegel, berichteten über den Fall und die augenscheinlich private Fehde des Beamten. Statt sich angesichts der Vorwürfe zurückzuhalten, scheint die »Soko Linx« Stärke demonstrieren zu wollen. Nur zwei Wochen nach der Berichterstattung kam es Ende Oktober zu einer weiteren Hausdurchsuchung bei Henry A. Offiziell ging es diesmal nicht um politisch motivierte Kriminalität, sondern um Drogen. Die sächsische Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (Linkspartei) sprach in der Taz von einem »Vorwand«. Juliane Nagel, ebenfalls Abgeordnete der Linkspartei im sächsischen Landtag, nannte es eine »versuchte politisch motivierte Zerstörung eines Menschen und seiner ­Familie«.

Die »Soko Linx« wurde im November 2019 gegründet. Vorausgegangen waren verschiedene militante Aktionen in Leipzig im Konflikt um Stadtentwicklung und Gentrifizierung. Für Aufsehen sorgte ein nächtlicher Brandanschlag auf drei Kräne einer Großbaustelle mit einem Schaden von angeblich über zehn Millionen Euro. Kurz darauf wurde eine Mitarbeiterin einer Leipziger ­Immobilienfirma nachts in ihrer Wohnung angegriffen, was auch innerhalb der linken Szene viel Kritik hervorrief. Drei Tage nach dem Überfall verkün­dete der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) die Einrichtung der Sonderkommission: »Wir lassen es nicht zu, dass eine linksextremistische ­Szene den Rechtsstaat und seine Bürger terrorisiert.«

Die Notwendigkeit der »Soko Linx« schien sich kurz darauf zu bestätigen, als die Bild-Zeitung Leipzig zur »Hauptstadt des linksextremen Terrors« erklärte, weil die traditionelle Sil­vester-­Randale am Connewitzer Kreuz zum Jahreswechsel 2019/20 ein wenig eskalierte und bundesweit zu einem Bür­gerkriegs­szenario aufgebauscht wurde. Zwar stellte sich die Schreckensnachricht, ein Polizist habe notoperiert werden müssen, schon bald als Falsch­meldung heraus, die Daseinsberechtigung der »Soko Linx« schien aber nicht mehr bezweifelt werden zu ­können.

Und sie gibt sich alle Mühe, dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt. Wenn irgendwo in Leipzig ein Auto brennt, übernimmt sie mittlerweile fast automatisch die Ermittlungen. Dementsprechend sieht auch ihre Statistik aus: Alleine im ersten Halbjahr 2020 hat die »Soko Linx« 335 Ermittlungsverfahren eröffnet, fast die Hälfte davon ­wegen Sachbeschädigung, mutmaßlich politische Graffiti. Die »Soko Rex«, die sich rechtsextremen Straftaten widmen soll, eröffnete im gleichen Zeitraum gerade mal 20 Verfahren. Und das, obwohl die »politisch motivierte Krimi­nalität« in Sachsen klar von rechts dominiert wird: Für das Jahr 2020 listet das Innenministerium 2 117 Straftaten von rechts gegenüber 1 169 von links.

Die politisch motivierte Schwerpunktsetzung des LKA wurde auch nach der »Querdenken«-Demonstration im November 2020 deutlich. Obwohl dort fast die gesamte neonazistische Szene Sachsens anwesend war und gemeinsam mit den Coronaleugnern für erhebliche Ausschreitungen sorgte, gab es anschließend ausschließlich Fahndungsaufrufe der »Soko Linx« wegen mutmaßlich linker Gewalt am Rande der rechten Riots.

Allerdings zeitigt der große Ermittlungseifer kaum Erfolge. Zwei vermeintliche linke Brandstifter aus Dresden, deren Verhaftung Innenminister Wöller im September 2020 persönlich verkündet hatte, mussten wenige Wochen später aus der Haft entlassen werden. Im Verfahren gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung steht die Ermittlungsgruppe ebenfalls nicht sonderlich gut da: Am Tag vor dem Prozessbeginn landeten auch in diesem Fall Ermittlungsakten bei Compact. Patrick H. verweigert die Aussage, weil gegen ihn selbst ermittelt wird, und jüngst scheiterte der Versuch, Lina E. zusätzlich noch für den Angriff auf die Mitarbeiterin der Immobilienfirma verantwortlich zu machen. Es gebe ­keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung, teilte die Generalstaatsanwaltschaft Dresden Anfang November mit. Wie die von der »Soko Linx« initiierten Verfahren ausgehen, ist aber nebensächlich, denn das hierdurch produzierte Bild der Bedrohung durch linke Gewalt bleibt, und so schafft sich die Sonderkommission ihre Legitimation selbst.