Small Talk mit Anika Börjesson über Frauenhäuser und schutzsuchende Frauen in der Pandemie

»Wir sind gerade wieder überbelegt«

Der 25. November fungiert alljährlich als »Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen«, feministische Gruppen und mittlerweile auch staatliche Institutionen organisieren Veranstaltungen, um unter anderem die Gewalt in Partnerschaften zu thematisieren. Dem Bundeskriminalamt zufolge sind 2020 rund 119 000 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern bedroht, ihrer Freiheit beraubt, gestalkt, zur Prostitution gezwungen, verletzt, sexuell genötigt, vergewaltigt oder ermordet worden. Die »Jungle World« sprach mit Anika Börjesson, Sozialpädagogin in einem Frauenhaus des Vereins »Frauen helfen Frauen Hamburg«, über die Situation schutzsuchender Frauen in der Covid-19-Pandemie.
Small Talk Von

Welche Bedeutung hat der »Internationale Tag ­gegen Gewalt an Frauen« für Sie?

Der Tag ist immer noch sehr nötig. Wir sind gerade wieder überbelegt. Dabei sind wir das größte Haus in Hamburg, haben 61 feste Plätze und dazu sieben Räume für die Notaufnahme. Mit diesen unterstützen wir die zentrale rund um die Uhr geöffnete Notanlaufstelle für Hamburg, wohin alle Frauen und ihre Kinder zunächst kommen und von wo sie dann auf die festen Frauenhäuser verteilt werden. In Hamburg gibt es fünf autonome Frauenhäuser und eines von der Diakonie, insgesamt stehen rund 240 Plätze zur Verfügung. Aber trotzdem müssen wir immer wieder Frauen nach Schleswig-Holstein oder Niedersachsen ­schicken.

Wie hat sich die Lage in den vergangenen Jahren verändert?

Die Gewalt an sich ist nicht weniger geworden. Was uns aber auffällt, ist, dass die Frauen es immer häufiger mit Multiproblemlagen zu tun haben. Wir müssen nicht nur die Frauen stabilisieren und stärken, Anträge schreiben und eine Wohnung finden, sondern wir haben es mit vielen anderen Schwierigkeiten zu tun, bis hin zu Abschiebungen, die im Raum stehen. Andererseits ist es gut, dass unsere Öffentlichkeitsarbeit funktioniert: Die Frauen wissen, dass es uns gibt – auch in den Flüchtlingsunterkünften.

Erhalten Frauen aus dem länd­lichen Raum auch einen Platz bei Ihnen?

Wir sind immer gut ausgelastet, aber uns erreichen viele Anrufe von Frauenhäusern aus den umliegenden Bundesländern, die gerne Hilfe von uns hätten. Hamburg ist als Großstadt anonymer, und wir ver­suchen, Plätze anzubieten. Aber meistens ist es umgekehrt und wir brauchen die Hilfe von Frauenhäusern in anderen Bundesländern, weil wir selbst voll belegt sind. Das ist für Frauen, die aus Hamburg kommen, häufig sehr schwierig. Die Bus- und Bahnanbindung ist oft nicht einfach, und es ist für sie teuer, nach Hamburg zu fahren. Umgekehrt gibt es aber auch Frauen, die gerne auf’s Land möchten, weil sie sich dort sicherer fühlen und dann weit weg vom Gewalttäter sind.

Wie wirkt sich die Covid-19-Pandemie auf Ihre ­Arbeit aus?

Im Lockdown im Frühjahr 2020 hatten wir eine ungewöhnlich geringe Auslastung in allen Hamburger Häusern. Wir gehen davon aus, dass die Frauen in dieser Zeit keine Möglichkeit hatten, das Haus zu ver­lassen. Sie waren eingesperrt, auch die Schulen hatten geschlossen. Wir hatten einen panischen Anruf von einer Frau, die mit ihren Kindern bei der kurzen Gelegenheit, Hausaufgabenpakete von den Schulen für das Homeschooling abzuholen, die Wohnung verlassen konnte. Insgesamt hat sich die pädagogische Arbeit mit den Kindern sehr verändert. Früher hatten wir feste Angebote, haben Ausflüge gemacht. Jetzt mussten einige Kinder schon in Quarantäne und die Mütter sind ängstlich geworden. Die Kinder sind leider sehr viel auf ihren Zimmern und wir bekommen weniger mit.