Die tunesische Wirtschaftsmetropole Sfax erstickt im Müll

Müllberge in Sfax

In der tunesischen Wirtschaftsmetropole Sfax drohen die dortigen Sektionen des Gewerkschafts- und des Unter­nehmerverbands mit einem Generalstreik.
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Die Lage in Sfax stinkt zum Himmel. Seit gut zwei Monaten eskaliert in der Hafenstadt und Wirtschaftsmetropole, mit 270 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Tunesiens, eine Müllkrise. Anfang der Woche haben die örtlichen Sektionen des mächtigen Gewerkschaftsverbands UGTT und des Unternehmerverbands Utica für den 10. Dezember zu einem lokalen Generalstreik und einem »Tag des Zorns« aufgerufen. »Die Situation artet in ein großes Massaker aus«, sagte der Gewerkschaftssekretär für Sfax, Youssef Adouani, am Montag dem Radiosender Shems FM.

Hunderte Tonnen an Haushaltsmüll und Abfällen aus den Kliniken stapeln sich in den Straßen von Sfax. Ende September war die Mülldeponie von Agareb, die zweitgrößte Tunesiens, in der etwa 80 Prozent der Abfälle der 23 Kommunen der Region Sfax landen, geschlossen worden; 2008 eröffnet, war sie auf lediglich fünf Jahre Betriebsdauer ausgelegt. Mangels Alternative wurde sie kurz darauf für einige Tage wieder geöffnet, was zwischen dem 8. und 11. November zu heftigen Protesten in Agareb führte. Das Umweltministerium hat bislang keine konkrete Lösung des seit Monaten anhaltendenMülldesasters vorgeschlagen.

Das ist nicht die einzige Krise, mit der der autoritär regierende Präsident Kaïs Saïed derzeit konfrontiert ist, aber es ist das erste Mal, dass er von UGTT und Utica offen kritisiert wird. Mittlerweile gerät Tunesien international in diplomatische Isolation. Vorige Woche hat der US-amerikanische Präsident Joe Biden Tunesien von dem von Biden anberaumten Gipfel für Demokratie ausgeschlossen, der am 9. und 10. Dezember stattfinden soll, ebenso wie, abgesehen vom Irak, alle anderen arabischen Staaten, die Türkei, China und Russland. Noch im Februar hatte der britische Economist Tunesien in die Kategorie der »fehlerhaften Demokratien« (flawed ­democracies), nicht in die der autoritären oder hybriden (halb autoritär, halb demokratisch) Regime eingeordnet. Weder die internati­onalen Finanzinstitutionen wie der Internationale Währungsfonds noch die Golfstaaten sind derzeit bereit, dem wirtschaftlich angeschlagenen tunesischen Staat Kredit zu gewähren.

Den Nachtragshaushalt für 2021 verabschiedete Präsident Kaïs Saïed vor einigen Tagen ohne Diskussion per Dekret – seine bevorzugte Vorgehensweise, seit er am 25. Juli das Parlament und die Regierung ausgeschaltet hat und alle Macht in seinen Händen konzentriert. Am Sonntag ernannte er via Dekret, als Kommuniqué veröffentlicht auf der Facebook-Seite des Präsidialamts, vier weitere vergleichsweise junge »normale Bürger« zu Gouverneuren von Sfax, Médenine, Ben Arous und Gafsa. Alle vier hatten 2019 in Saïeds Wahlkampf für die Präsidentschaft als Koordinatoren fungiert. Selbst Abir Moussis Parti destourien libre (PDL), voller Sehnsucht nach der guten alten Zeit unter dem verstorbenen, 2011 gestürzten autokratischen Präsidenten Zine al-Abidine Ben Ali, beschwerte sich in einer Pressemitteilung über eine »Rückkehr zu Nominierungen, die den Prinzipien der Ergebenheit, der Günstlingswirtschaft und der Belohnung für geleistete Dienste folgen«.

Die Zweifel an Kaïs Saïeds autoritärem Kurs und seiner Kompetenz wachsen. Hatten sich im August in Umfragen noch mehr als 90 Prozent für ihn ausgesprochen, sind es nach Angaben der ­Wochenzeitung Jeune Afrique derzeit noch etwa zwei Drittel der Befragten. Romdhane Ben Amor, der Sprecher des Tunesischen ­Forums für ökonomische und soziale Rechte (FTDES), sprach vorige Woche von »mehr als 1 000« sozialen Protesten im November.