Die verschwundene chinesische Tennisspielerin Peng Shuai und Sportboykotte

Spiel, Satz und Sieg für die Diktatoren

Sportboykotte hat es schon lange nicht mehr gegeben. Lediglich die Tennisorganisation der Frauen ist eine Ausnahme.

Zwei große Sportereignisse stehen im Jahr 2022 an. Vom 4. bis zum 20. Februar werden in Peking die Olympischen Winterspiele stattfinden, die Fußballweltmeisterschaft der Männer wird vom 21. November bis 18. Dezember 2022 in Katar ausgetragen – voraussichtlich, denn eine neue, gefährlichere Covid-19-Variante könnte alle Pläne über den Haufen werfen. Das wäre wohl auch die einzige Gefahr, die den beiden Sportevents droht – zu Boykotten aufgrund der miserablen Menschenrechtslage in den beiden ausrichtenden Ländern wird es nicht kommen.

Dass auf den WM-Baustellen in Katar nach konservativen Schätzungen mindestens 50 Bauarbeiter aus anderen Ländern tödlich verunglückten, hatte zwar für eine gewisse Empörung gesorgt, aber für keinerlei Konsequenzen. Der britische Guardian ging in einem Artikel aus diesem Jahr sogar davon aus, dass in den elf Jahren seit Zuteilung der WM insgesamt 6 500 migrantische Arbeiter in Katar gestorben seien, die meisten von ihnen durch miserable und gefährliche Arbeitsbedingungen – al­lerdings dürften nicht alle unmittelbar auf Baustellen gearbeitet haben, die mit der Weltmeisterschaft in Zusammenhang stehen. Der in der ­nepalesischen Hauptstadt Kathmandu ansässige Menschenrechtsanwalt ­Barun Ghimire sagte bereits Anfang 2021, dass viele Menschen aus den ärmsten Ländern der Welt in Katar Arbeit gesucht hätten. Der World Cup sei voll von dem Blut migrantischer Beschäftigter, zu denen auch viele Nepalesen gehörten.

»In vielen Ländern gibt es Probleme, und doch spielen wir in den meisten von ihnen Tennisturniere.« Daniil Medwedjew, Tennisprofi

Auch prominente Sportler haben Bedenken geäußert. Anfang November hatte beispielsweise der Austra­lier Josh Cavallo, der derzeit einzige offen schwule Fußballnationalspieler der Welt, mitgeteilt, dass er Angst habe, in Katar zu spielen. Homo­sexualität ist dort illegal, es drohen Haftstrafen von bis zu drei Jahren. Die Menschenrechtsgruppe ILGA World, der weltweite Dachverband der LGBTI-Organisationen, hatte 2019 ­einen Report über »staatlich geförderte Homophobie« vorgelegt und darin dargelegt, dass die Sharia-Gerichte in Katar »rein theoretisch sogar die Möglichkeit haben, muslimische Männer hinzurichten«, wenn sie Sex mit anderen Männern gehabt hätten.

Auch schwule Fußballfans hatten immer wieder Bedenken geäußert, ihre Teams in Katar anzufeuern. Der Waliser James Brinning sagte beispielsweise im Oktober CNN, ihn rege allein der Gedanke an die WM auf. Das walisische Team liegt in der Qualifikation derzeit auf dem zweiten Platz und hätte damit die Möglichkeit, sich in den Playoffs erstmals für die WM zu qualifizieren. Brinning ist schwul und sagte, er würde sich in Katar »nicht sicher fühlen«. Dabei würde er doch im Qualifikationsfall so gern dabei sein, um den größten Moment in der walisischen Fußballgeschichte mitzuerleben.

Josh Cavallo erhielt immerhin fast umgehend eine offizielle Antwort auf seine Bedenken. Nasser al-Khater, der Leiter des katarischen Organi­sationskomitees, beteuerte Ende November, dass alle zur WM willkommen seien, und bot dem Spieler an, »vor dem Turnier das Land zu be­suchen und sich dort umzusehen«.

Die Winterspiele in Peking werden dagegen weit weniger kritisiert. Allerdings plant die US-Regierung unter Präsident Joe Biden neuesten Meldungen zufolge, die Spiele zu boykottieren – zumindest diplomatisch. Die US-Sportler und -Sportlerinnen sollen schon teilnehmen, Medaillen gewinnen und auf den Siegertreppchen ergriffen der Nationalhymne lauschen. Nur Politiker und andere Regierungsoffizielle sollen zur Olympiade nicht nach China reisen. Dass solche Miniboykotte durchaus ernst genommen werden, zeigt sich daran, dass China bereits reagierte, bevor Biden sich offiziell geäußert hatte, und mit »festen Gegenmaßnahmen« drohte, denn ein diplomatischer Boykott sei eine »offene ­politische Provokation«.

Auch bei einem weiteren Sportboykott geht es um China. Steve Simon, der CEO der Women’s Tennis Association, hat aufgrund des Falls der chinesischen Profispielerin Peng Shuai sämtliche von der WTA sanktionierten Turniere in China und Hongkong ausgesetzt. Der Tennisstar hatte am 2. November dem ehemaligen Ersten Vizeministerpräsidenten Chinas, Zhang Gaoli, auf der Social-Media-Plattform Weibo vorgeworfen, sie vor drei Jahren sexuell missbraucht zu haben. Ganze 20 Minuten stand das Posting im Netz, bevor es gelöscht wurde.

Aber nicht nur das Posting verschwand, sondern auch Peng Shuai selbst. Die WTA versuchte erfolglos, sie zu kontaktieren, und teilte am 14. November mit, dass man darüber nachdenke, keine Turniere mehr in China auszutragen. Der chinesische Tennisverband verlautbarte daraufhin, dass es Peng Shuai gutgehe und sie in Sicherheit sei. Am 17. November veröffentlichten chinesische Staatsmedien eine E-Mail, die angeblich von Peng Shuai stammte und in der die Vorwürfe gegen Zhang als unwahr bezeichnet wurden – die BBC meldete jedoch umgehend, dass Experten bezweifeln, dass die Mail tatsächlich von der Spielerin stamme.

Dann schaltete sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) ein. Dessen Präsident Thomas Bach führte am 21. November eine halbstündige Videokonferenz mit der Tennisspielerin. Das Fazit der IOC war Erleichterung, es gehe ihr gut; Bach lud Peng Shuai zu einem Abendessen ein. ­Human Rights Watch nannte das Telefonat eine »völlig neue Form der Kollaboration«, Bach wurde von unterschiedlichen Seiten Naivität oder Böswilligkeit vorgeworfen. Auch der EU war das Videotelefonat nicht ­genug; sie forderte am 30. November »nachprüfbare Beweise«, während Steve Simon am 1. Dezember den Boykott aussprach.

Doch der WTA-Boykott bedeutet nicht, dass keine internationalen Tennisturniere mehr in China stattfänden. Der Tennisverband der ­Männer (ATP) findet einen Boykott nicht notwendig. »Wir wissen, dass der Sport einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben kann«, sagte der ATP-Vorsitzende Andrea Gaudenzi. Er sei »generell der Meinung, dass wir mit einer globalen Präsenz die besten Chancen haben, Chancen zu schaffen und etwas zu bewirken«. Die Reaktion des Weltranglisten-Zweiten, Daniil Medwedjew, liest sich wie ein Schulterzucken: »In ­vielen Ländern gibt es Probleme, und doch spielen wir in den meisten von ihnen Tennisturniere.«