Ein Gespräch mit Annette Grotkasten, der Sängerin von Bärchen und die Milchbubis

»Vielleicht sind ›echte Punks‹ ein Phänomen, das es so gar nicht gegeben hat«

»Endlich komplett betrunken« heißt die Compilation, die alle Songs der 1979 gegründeten Punkband Bärchen und die Milchbubis versammelt. Gründungsmitglied Annette Grotkasten erzählt über die Punkszene in Hannover, das Älterwerden und den Erfolg ihrer Band in der ehemaligen DDR.
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Als ihr Bärchen und die Milchbubis gegründet habt, wart ihr zwischen 17 und 20 Jahren alt und habt in den Songs sehr stark dieses Jungsein betont, das nicht älter werden Wollen: »Jung kaputt spart Altersheime« oder »Ich will nicht älter werden«. Warum war das damals für euch so ein zentrales Thema und wie siehst du das rückblickend?

Damals war das für mich wichtig, weil ich mir nicht vorstellen konnte, älter zu werden, diesen Lebensstil lange durchzuhalten. Und angesichts der Lage der Welt war ich der Meinung, dass der Planet sowieso nicht mehr lange durchhält, dass es eine Atomkatastrophe oder irgendeine andere Katastrophe gibt, so dass wir gar nicht alt werden können. Das war ja die allgemeine Stimmung. »Die Young, Stay Pretty« war ein Hit von Blondie, »Tanz auf dem Vulkan« hieß es in einem Song von Hans-A-Plast. Ich habe wirklich nicht daran geglaubt, besonders alt zu werden, und habe es dann auch so gesagt: Ich will gar nicht alt werden.

»Für mich sind Punks immer korrekte Leute gewesen, freundlich und zugewandt. Und keine sexistischen Arschlöcher.«

Als wir jetzt überlegt haben, welche Stücke wir wieder live spielen, ist mir das Thema Alter auch aufgefallen. Diese apokalyptische Stimmung trifft ja auch das Heute ganz gut, wenn man zum Beispiel die Klimakrise anschaut. Das Gefühl von damals war vielleicht gar nicht so falsch, es hat nur etwas länger gedauert.

Vor Punk bist du in der Anti-Atomkraft-Bewegung aktiv gewesen. Wie haben sich diese beiden Welten, politischer Aktivismus und Punk, zueinander verhalten?

Das war gar nicht weit voneinander entfernt, weil die Punkszene und eigentlich alle, die jung und irgendwie ein bisschen wilder waren, sich in den Jugendzentren getroffen haben, in Hannover hauptsächlich im unabhängigen Jugendzentrum Kornstraße. Da waren die Punks, aber vorher waren da auch die Treffen der Anti-Atomkraft-Bewegung, der ganzen Bürgerinitiativen, der Organisation für die Großdemos. Da gab es eine Gruppe, die sich die Atommusikanten genannt hat, bei denen habe mich einfach immer daneben gestellt und mitgesungen. Ich habe wahnsinnig gerne gesungen und bin immer mit auf die Demos gegangen, auf alle Demos, die es gab. Zu den Anti-Atomkraft-Demos, aber natürlich auch zu den Frauendemos.

Frauen scheinen in Hannover eine sehr aktive Rolle in der Punkszene gespielt zu haben. Womit hängt das zusammen?

! Im Punk gab es einen Raum für Frauen, weil man nicht alles können musste. In Hannover waren viele Frauen in der Szene aktiv, und gleichzeitig gab es eine Lust, Themen musikalisch anders zu verpacken. Hans-A-Plast, eine zentrale Band in Hannover, waren eine Studi-Punkband, die hatten einfach ein anderes Bewusstsein, sich den Themen zu nähern.

1979 habt ihr dann Bärchen und die Milchbubis gegründet; ich habe eine Interpretation des Bandnamen gelesen, der ihn als Reaktion auf das Mackertum der Punkszene deutete. War er so gemeint?

Das ist eine Interpretation, die ganz gut klingt. Wir hätten natürlich viel lieber einen richtigen Punknamen gehabt, standen aber unter dem Einfluss von Hans-A-Plast. Ich habe mit den Frauen von Hans-A-Plast zusammengewohnt und die haben sich das für uns ausgedacht. Da gab es auch keine Widerrede. »Das ist doch ein lustiger Name, so heißt ihr jetzt.« Und auch bei den ersten Aufnahmen wurde keine Widerrede geduldet. »Ihr geht jetzt ins Studio. Ihr tretet jetzt mit uns auf.« Wir konnten wirklich gerade erst vier Stücke, da haben die uns schon mitgeschleppt zu ihrem Auftritt, als Pausenfüller.

Ich finde den Bandnamen trotzdem sehr passend für eure Musik, weil ihr nicht die typische Deutschpunkband gewesen seid, aber eben auch nicht Teil der Neuen Deutschen Welle, dafür waren eure Texte und die Musik zu melancholisch.

Wir haben noch sehr punkig angefangen, und das sind eigentlich auch die Sachen, die wir jetzt live spielen, die uns am meisten Spaß bringen. Und da sind wir wieder bei dem, was ich am Anfang meinte, dass das heute einfach wieder super passt. Die Stimmung ist so ähnlich und wir haben total Lust auf diese alte Energie – Rumgegröle und scheiß drauf, wir wollen Spaß haben und laut sein!

Seid ihr denn damals von der Punkszene angenommen worden? Euer Album ist ja etwas langsamer und melancholischer als die klassischen Deutschpunk-Platten.

Ich glaube, so eine reine Punkszene gab es gar nicht in Hannover. Wir haben in der Kornstraße gespielt und da sind wir genauso aufgetreten wie andere, härtere Punkbands, aber da wurde auch »Andy Nogger« von Kraan (eine deutsche Jazzrockband; Anm. d. Red.) gespielt. Das war eigentlich nie getrennt voneinander. Ich weiß nicht, ob das jetzt die richtigen Punks waren, es waren einfach immer junge, lustige Leute. Es gab auch manchmal richtig harte Punks mit Iro, die uns aber total liebten und gefragt haben: »Widmest du mir den Song?« Und dann knieten sie heulend vor der Bühne. Vielleicht sind »echte Punks« ein Phänomen, das es so gar nicht gegeben hat.

Welche Rolle hat Punk in deinem Leben gespielt?

Punk war für mich immer ein Bezugspunkt. Ich mochte die Musik, mochte die Energie. Ich habe eigentlich immer nach irgendwas gesucht, wo ich wieder andocken konnte. Ich hatte später einen Metalchor, dann einen Punkchor und jetzt spiele ich wieder selber. Zwischendurch war es auch mal völlig ohne Bedeutung, außer dass ich ab und zu Konzerten gegangen bin. Ich habe zwei Kinder großgezogen, ich habe Vollzeit gearbeitet und da war auch nicht mehr so viel Zeit für so was.

Irgendwann kommt eben doch dieses Älterwerden.

Ja, genau. Es gab diese Phase, Kinder großzuziehen, zu arbeiten. Und jetzt arbeite ich nicht mehr, ich bin in Rente, heute ist wieder Zeit für so was. Natürlich hat Punk immer irgendwie am Rande mitgespielt; meine Kinder waren zum Beispiel in einem selbstverwalteten Kinderladen, der von Punks gemacht wurde. Ich habe immer nach dieser Haltung gesucht, die ich mit Punk verbinde. Für mich ist das eine total emanzipatorische Welt, vielleicht auch weil das in der Kornstraße immer so angelegt war. Punks sind meistens total nette Leute; immer, wenn ich mich mit jemandem besonders gut verstanden habe, stellte sich raus, dass der früher mal in einer Punkband gespielt hat. Für mich sind Punks immer korrekte Leute gewesen, freundlich und zugewandt. Und keine sexistischen Arschlöcher.

Vorhin hast du deinen damaligen Lebensstil erwähnt, der für dich mit Punk verbunden war und bei dem du nicht sicher warst, wie lange du das durchhältst. Was hast du damit gemeint?

Sehr, sehr viel Alkohol. Aber auch kein Geld zu haben und irgendwelche obskuren Jobs zu machen, um Geld zu verdienen. Und eine Einsamkeit und Verlorenheit trotz Freunden oder Band oder Mitbewohnern. Ich habe mich sehr einsam und verloren gefühlt, sonst hätte ich auch nicht so viel saufen müssen. Oder vielleicht hab ich mich verloren gefühlt, weil ich so viel gesoffen hab (lacht).

Stand denn für euch als Band mal im Raum, von der Musik zu leben? Ihr habt es ja sogar bis zu einer Story in der »Bravo« geschafft.

Es sah mal ganz kurz so aus, als könnte es funktionieren, aber gleichzeitig haben wir gemerkt, dass wir nicht dafür gemacht sind. Wir haben mal das Angebot bekommen, im Vorprogramm von Siouxsie and the Banshees zu spielen. Wir waren große Fans von Siouxsie und haben das mit Hollow Skai von unserem Label No Fun Records besprochen, der gesagt hat: Das steht ihr nicht durch – und das Gefühl hatten wir auch. Ich bin keine Persönlichkeit, die es braucht, auf der Bühne zu stehen, ich bin da schnell unsicher. Und wenn dann alle auf Siouxsie warten und wir hauen unsere kleinen Lieder zusammen, das wäre nichts für uns gewesen. Abgesehen davon hätten wir dafür bezahlen müssen. Ich bin keine Nena und wir wären auch niemals so groß geworden.

Trotz eines kleinen Hits in Österreich und der »Bravo«-Story habt ihr euch dann während der Aufnahmen zum zweiten Album aufgelöst. Hast du weiter Musik gemacht?

Ich habe dann erst mal versucht, mein Leben auf die Reihe zu kriegen. Ich bin nach Hamburg gezogen und bin durch Zufall zu einem Job als Assistentin für Künstler gekommen. Und auf einmal kam alles ins Laufen, und zwar auch weil ich mal in einer Punkband war und dadurch credit hatte und sympathisch war. Weil Diedrich Diederichsen mich mochte.

Für Bärchen und die Milchbubis ging es auch nach der Auflösung noch weiter, denn irgendwie ist eure Musik in der DDR in Umlauf gekommen und hat dort Karriere gemacht.

Ich bin verheiratet mit dem Sänger von Der moderne Man, die haben vor zwei, drei Jahren ein Konzert gegeben, und da kam ein ganzer Bus Fans aus Halle und Halberstadt, unter anderem auch Geralf Pochop, der das Buch »Untergrund war Strategie« (über Punk in der DDR, Anm. d. Red.) geschrieben hat. Der hat erzählt, dass in seinem Umfeld alle große Bärchen-Fans waren und Songs wie »Schweinekram« brüllend komisch fanden, kopierte Kassetten getauscht haben und alles von Anfang bis Ende mitsingen konnten.

Eure Songs waren ja auch gut übertragbar auf die DDR, weil sie nicht wie andere Deutschpunkbands das politische System der BRD angeprangert haben, sondern eher ­einen persönlichen Zugang zur Welt hatten.

Es gibt ja auch ein verbindendes Element in den Texten: die Lust auf Sex. Ich war überrascht, wie zentral das in den Texten war.

Ihr tretet jetzt wieder auf, ebenso Bands wie Östro 430 oder Annette Benjamin von Hans-A-Plast. Woher kommt diese Renaissance des Punk aus den frühen Achtzigern?

Ich glaube, es hat damit zu tun, dass die Stimmung so ähnlich ist. Es ist alles so schwer, so bleiern, alles ist so zerrüttet, und das ist so ähnlich wie Ende der Siebziger. Damals war die Anti-Atomkraft-Bewegung kriminalisiert und zerschlagen, es gab den Deutschen Herbst, ein Misstrauen gegenüber Polizei, gegenüber Politik. Und dadurch eine Verunsicherung: Wo stehe ich, wie geht mein Leben weiter? Klima und Klimakatastrophe waren in den Siebzigern auch schon Themen, man hat sich mit dem Waldsterben beschäftigt, mit der Ölkrise. Und jetzt sind diese Themen alle wieder da.

Bärchen und die Milchbubis: Endlich komplett betrunken (Tapete Records)