06.01.2022
Tilman Tarachs Buch »Teuflische Allmacht« über die Kontinuität ­christlichen Judenhasses

Adaptionen des Alten

Tilman Tarach zeigt in seinem Buch »Teuflische Allmacht« die ­Kontinuität des christlichen Antisemitismus auf, der in Versatz­stücken auch noch im modernen Antisemitismus und ­Antizionismus nachhallt.

Von Heinrich Himmler stammt der Satz: »Ich dulde keinen Mann in der SS, der nicht an Gott glaubt.« Auch indoktrinierte der »Reichsführer SS« die Mitglieder seiner unmittelbar mit dem Genozid an den Juden betrauten Mordkommandos mit der christlichen Legende von jüdischen Ritualmorden.

In seinem Buch »Teuflische Allmacht. Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus« arbeitet Tilman Tarach die christlichen Motive moderner Judenfeindlichkeit heraus und widerspricht der Auffassung, dass es sich beim modernen Antisemitismus um eine säkulare Ideologie handele, die grundsätzlich vom vormodernen christlichen Judenhass zu unterschieden sei. Dabei beleuchtet er neben religiösen Vorstellungen des Nationalsozialismus auch den Fortbestand christlich-­antijüdischer Ideen im zeitgenössischen Antizionismus sowie in den Weltanschauungen rechtspopulistischer und verschwörungstheoretischer Bewegungen. Auch bei den sich oft als proisraelisch gerierenden Evangelikalen erkennt der Autor aus dem Mittelalter entlehnte christlich-judenfeindliche Motive.

Auch wenn es die Nazis waren, die den systematischen und präzedenzlosen Massenmord an Juden betrieben, habe der antijüdische Vernichtungswahn vormoderne christliche Wurzeln.

Tarachs Schlussfolgerung: Bei der konzeptuellen Abgrenzung der christlichen Judenfeindlichkeit vom modernen Antisemitismus handle es sich um eine historisch nicht haltbare »Entlastungsstrategie einer christlich sozialisierten Gesellschaft«, »die es nicht wahrhaben möchte, dass der mörderische Antisemitismus nicht lediglich ein kurzfristiger ›Zwischenfall‹, sondern ein beständiger Begleiter ›unserer‹ Geschichte war«. Gleichzeitig widerspricht der Autor der Auffassung, dass es sich beim Antisemitismus um eine auf das Judentum bezogene Abwandlung von Rassismus handele. Während Rassismus Menschen als minderwertig degradiere, sehe der Antisemit im Judentum eine bösartige, aber gleichzeitig überlegene Macht. Tarach zitiert Adolf Eichmann, der Juden als geistig überlegene Feinde bezeichnete, und Adolf Hitler, der Juden eine »höhere Intelligenz« als dem Rest der Bevölkerung attestierte.

Auch wenn es die Nazis waren, die den systematischen und präzedenz­losen Massenmord an Juden betrieben, habe der antijüdische Vernichtungswahn vormoderne christliche Wurzeln. Bereits im Jahre 388 forderte der Mailänder Bischof Ambrosius in einem Brief an den römischen Kaiser Theodosius die »Ausrottung« der Juden. Dieser Eliminierungswille basiert Tarach zufolge auf der christlichen Wahrnehmung von Juden als Ketzern, die sich im Neuen Testament zur Idee vom Judentum als Sinnbild des Bösen schlechthin verdichtete. Ausdruck findet dies unter anderem in der Legende vom jüdischen Gottesmord und der Imagination von Juden als Inkarnation Satans. »Ihr habt den Teufel zum Vater«, soll Jesus, dem Johannesevangelium zufolge, zu den Juden gesagt haben. Diese und ähnliche Formu­lierungen wurden im Nationalsozialismus immer wieder aufgegriffen. So forderte das antisemitische Hetzblatt Der Stürmer im Jahr 1941 die »Ausrottung« der Juden, »dessen Vater der Teufel ist«.

»Der christliche Glaube und insbesondere die Idee einer jüdischen Schuld am Tode Jesu«, so Tarach, »spielten im Denken Adolf Hitlers eine durchaus erhebliche Rolle, die allzu gerne ignoriert wird; auch würden wir es uns zu einfach machen, in seinen häufigen Rekursen auf christ­liche Motive nur ein opportunistisches ›Instrumentalisieren des Christentums‹ zu sehen.« Umgekehrt habe »das Judenbild der Christen (…) schon früh Elemente eines auf ›Blut‹ und ›Rasse‹ bezogenen Antisemitismus« enthalten. Damit sei der Rassen­antisemitismus, also die Verfolgung von Juden nicht aufgrund ihres Glaubens, sondern aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, kein Alleinstellungsmerkmal der modernen Judenfeindlichkeit. Tarach verweist in diesem Zusammenhang auf das spanische »Blutreinheitsgesetz« aus dem 15. Jahrhundert, das Menschen nicht aufgrund ihres Glaubensbekenntnisses, sondern aufgrund ihrer jüdischen Abstammung Rechte und Ämter verwehrte.

Auch der arabische und der israelbezogene Antisemitismus seien oft von christlichen Motiven durchsetzt. Dies zeige sich zum Beispiel anhand von antisemitischen Zuschriften an die israelische Botschaft in Berlin, die von der Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel und dem Historiker Jehuda Reinharz analysiert wurden. In einem dieser Hassbriefe heißt es: »Israel hat kein Existenzrecht dort. Nur weil irgendwelche Christus-Mörder dort vor zweitausend Jahren ihr Unwesen trieben, heißt das noch lange nicht, dass daraus für heute ein Recht abzuleiten wäre.«

Im Oktober 2019 verherrlichte die palästinensische Tageszeitung al-Hayat al-Jadida den christlich-arabischen Terroristen Samer Arbid, der im August 2019 eine israelische Schülerin ermordet hatte, in einer Zeichnung, die ihn als Jesus am Kreuz zeigt. Der US-amerikanisch-palästinensische Literaturwissenschaftler Edward Said habe einmal gesagt, dass die Palästinenser durch Israel ein »endloses Golgatha« erführen. Tarach sieht darin eine Projektion des christlich-antisemitischen Mythos vom jüdischen Jesusmord auf den Staat Israel: »Die Vorstellung, der Staat ­Israel oder seine Armee würden die Kreuzigung Jesu heute an den Paläs­tinensern wiederholen, gehört vor allem im arabischen Raum zum Standardrepertoire der antizionistischen Hetze.«

Das Buch setzt sich aber auch mit dem Judenbild im Islam auseinander und erklärt die Anschlussfähigkeit des christlichen Antijudaismus. Ebenfalls kritisiert wird in dem Buch, dass der christlich-fundamentalis­tische Hintergrund von antisemitischen Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretikern wie dem Sänger Xavier Naidoo oder dem ehemaligen AfD-Politiker Wolfgang Gedeon oft verleugnet werde.

Tarach gelingt es, die Kontinuität christlicher Judenfeindlichkeit anhand von konkreten Beispielen greifbar zu machen. Sein Buch setzt sich Kapitel für Kapitel mit konkreten christlich-antijüdischen Motiven auseinander, wie der Vorstellung vom jüdischen Gottesmord, der Ritualmordlegende oder der Brunnen­vergiftung, und zeigt, wie diese in unterschiedlichen historisch-kul­turellen Kontexten immer wieder adaptiert wurden. Dabei stützen sich die Ausführungen des Autors auf eine fundierte Rezeption der relevanten wissenschaftlichen Literatur. Maßgebliche Autoren wie Léon Poliakov oder Raul Hilberg werden immer wieder zitiert. Damit erinnert Tarach an wichtige, aber in der gegenwärtigen Debatte leider oft übergangene Erkenntnisse der Antisemitismusforschung.

Tilman Tarach: Teuflische Allmacht. Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Anti­zionismus. Edition Telok, Berlin/Freiburg 2022, 224 Seiten, 14,80 Euro