Der Sohn eines ehemaligen Diktators kandidiert bei der Präsidentschaftswahl auf den Philippinen

In der Hand der Präsidentenclans

Auf den Philippinen hat der Sohn des ehemaligen Diktators Ferdinand Marcos bei den für Mai geplanten Wahlen gute Chancen auf das Präsidentenamt. Unterstützt wird er vom scheidenden autoritären Präsidenten Rodrigo Duterte.

Ein scheidender autoritärer Staatschef, der sich auf einen Senatorenposten ­rettet; der Sohn eines ehemaligen Diktators im höchsten Staatsamt; dazu die Tochter des bisherigen Präsidenten als seine Stellvertreterin: Das könnte den Philippinen nach den für Mai geplanten Präsidentschaftswahlen drohen. Denn kein Geringerer als Ferdinand Marcos junior schickt sich an, neuer Präsident zu werden – der Filius von Ferdinand Marcos, der 1965 zwar demokratisch zum zehnten Präsidenten gewählt worden war, nach der Verhängung des Kriegsrechts wegen eines Anschlags auf den Verteidigungsminister 1972 jedoch diktatorisch regierte und 1986 durch einen breiten Aufstand, die sogenannte EDSA-Revolution (benannt nach der Epifanio de los Santos Avenue in Manila), gestürzt wurde.

Vor Weihnachten führte Marcos junior in der Umfrage von Pulse Asia mit 53 Prozent der Stimmen – mit 33 Prozentpunkten Vorsprung vor seiner wichtigsten Rivalin, der derzeitigen Vizepräsidentin Leni Robredo, die auf 20 Prozent der Stimmen kam. Ein Abstand, der in den verbleibenden Monaten kaum einholbar scheint. Ähnlich sehen die Zahlen für Sara Duterte-Carpio aus, die im Tandem mit Marcos junior Vizepräsidentin werden möchte; dieses Amt wird auf den Philippinen zugleich mit, aber separat von dem des Präsidenten durch Direktwahl vergeben. Duterte-Carpio erhielt in der Umfrage 45 Prozent der Stimmen. Sie ist die Tochter des amtierenden autoritären Präsidenten Rodrigo Duterte. Diesem erlaubt die Verfassung keine zweite Amtszeit, doch entgegen früheren Beteuerungen will er seine poli­tische Laufbahn nun doch nicht beenden, sondern sich einen Sitz im einflussreichen Oberhaus des Zweikammerparlaments sichern.

Zunächst hatte Duterte versucht, seine Tochter Sara Duterte-Carpio als Nachfolgerin zu installieren.

Es ist im Februar genau 36 Jahre her, dass Hunderttausende Menschen – damals mit Unterstützung der Armeeführung und Teilen des katholischen Klerus – sich erfolgreich gegen Diktator Marcos erhoben. Oppositionelle wurden ermordet, darunter Marcos’ prominentester Gegenspieler Benigno Aquino junior; Zehntausende warf das Regime ins Gefängnis, während es ­zugleich mit größter Härte gegen die maoistische und die islamistisch-separatistische Guerillabewegung vorging. Als Marcos, seine Frau Imelda und seine Kinder mit Hilfe der einstigen Kolonialmacht USA eiligst ins Exil auf Hawaii flüchteten, verschwanden mit ihnen immense Reichtümer – um schätzungsweise fünf bis zehn Milliarden US-Dollar soll die kleptokratische Diktatorenfamilie die Staatskasse erleichtert haben. Marcos starb 1989 auf Hawaii. Seine Witwe bewahrte seinen Leichnam einbalsamiert in einem gekühlten Glassarg auf.

Sein 64jähriger Sohn Marcos junior, in den Philippinen besser bekannt ­unter seinem Spitznamen Bongbong, hat bereits eine beachtliche politische Karriere hinter sich. Er war mehrfach Gouverneur seiner Herkunftsprovinz Ilocos Norte, Abgeordneter sowie bis 2016 Senator. Fast wäre er bei den Wahlen 2016 Vizepräsident geworden – nur hauchdünn war am Ende der Vorsprung der Liberalen Robredo. Sein Versuch, das Wahlergebnis anzufechten, blieb erfolglos.

Präsident Duterte unterstützt die Kandidatur von Marcos junior. Zunächst hatte er versucht, seine Tochter Sara Duterte-Carpio als Nachfolgerin zu ­installieren. Solange diese Idee ernsthaft die Runde machte, führte sie in den Umfragen. Sie selbst, die nach dem Wahlsieg ihres Vaters dessen vormaliges Amt als Bürgermeister der Großstadt Davao übernommen hatte, beteuerte aber noch Anfang November, die Wiederwahl als Bürgermeisterin anzustreben. Erst am 13. November, zwei Tage vor Ablauf der Frist, reichte sie ihre Kandidatur für die Vizepräsidentschaft ein. Die Entscheidung, sich mit der Rolle als Nummer zwei zu begnügen, sorgte beim Vater für Verstimmung.

Es war Duterte, der bald nach seinem Amtsantritt 2016 ein Tabu brach, indem er gestattete, die zuvor in einem Familienmausoleum aufbewahrte Leiche von Ferdinand Marcos auf dem nationalen Ehrenfriedhof zu bestatten. Seither sind die Anhängerinnen und Anhänger des früheren Diktators stärker denn je, sie jubeln Bongbong und dessen Mutter Imelda (inzwischen 92) bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu.

Der Allianz von Duterte und Marcos junior gehören auch die vom ehemaligen Präsidenten Joseph Estrada (1998 bis 2001) geführte Partei PMP sowie Lakas-CMD, die Partei von Estradas Nachfolgerin Gloria Macapagal-Arroyo (2001 bis 2010) an, zu deren Führung inzwischen auch Sara Duterte-Carpio gehört. Macapagal-Arroyo ist Duterte zu Dank verpflichtet, weil er sie 2018 zur Vorsitzenden des Repräsentantenhauses machte – das vierthöchste Amt auf den Philippinen.

Mit Popularitätswerten um die 80 Prozent kurz nach seinem Wahlsieg hatte Duterte seine Amtszeit begonnen. Er ist der erste Präsident, der von der zweiten, südlichen Hauptinsel Mindanao stammt. Mit seiner hemdsärmeligen Art war er der personifizierte Gegenentwurf zur traditionellen Politikerkaste, die meist aus einflussreichen Hauptstadtzirkeln stammt. Sein blutiger Antidrogenkrieg mit weit über 6 000 Toten hat den harten Kern seiner Anhängerschaft keineswegs ­verschreckt. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof mag ihm dafür ein Prozess drohen – auf den Philippinen gibt es jedoch genügend Menschen, die ihm weiter zujubeln.

Die Regierung Duterte rühmt sich, mehr als eine Million Familien aus der Armut geholt zu haben, was zu den ­anhaltend hohen Popularitätswerten beiträgt. Tatsächlich fiel die offizielle Armutsquote, die zum Jahresende 2015, ein halbes Jahr vor Beginn von Dutertes Amtszeit, bei 23,5 Prozent lag, binnen dreier Jahre auf 16,7 Prozent. Das sei aber nur die halbe Wahrheit, konstatierte bereits im vorigen Juli das Online-Nachrichtenportal Rappler. Unter Duterte sei der Anteil der Bevölkerung, der sich selbst als arm einstuft, von 44 auf 49 Prozent gestiegen. Die Zahl jener, die über Hunger klagen, sei vom Tiefstwert 9,3 Prozent 2019 im ersten Pandemiejahr sogar temporär auf alarmierende 30,7 Prozent (September 2020) gestiegen. Die nationale Statistikbehörde PSA teilte Mitte Dezember mit, dass im ersten Halbjahr 2021 insgesamt 10,94 Millionen Menschen auf den ­Philippinen nicht genug zu essen gehabt hätten. Das entspricht etwa einem Zehntel der Bevölkerung.

Droht unter Marcos junior eine neue Diktatur? Zumindest hat Duterte seiner sechsjährigen Amtszeit Institutionen der philippinischen Demokratie schwer beschädigt. Der Friedensnobelpreis 2021 für Maria Ressa, die Chefredakteurin von Rappler, würdigte unlängst eine der wenigen verbliebenen Führungsfiguren eines unabhängigen Journalismus auf den Philippinen, die sich nicht einschüchtern lassen. 2018 ließ Duterte die damalige Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs, Maria Lourdes Sereno, die seinen »Antidrogenkrieg« kritisiert hatte, durch einen internen Putsch in der Spitze des Justiz­apparats absetzen. Die Senatorin Leila de Lima, früher Vorsitzende der nationalen Menschenrechtskommission, die Dutertes repressive Politik ebenfalls kritisiert hatte, landete als seine einstmals wichtigste Gegenspielerin 2017 im Gefängnis. Amnesty International und andere Organisationen fordern ihre Freilassung.

Eine Führungsperson der liberalen Opposition konnte Duterte nicht ganz kaltstellen: die Vizepräsidentin Leni Robredo. Allerdings hat Duterte sie aus seinem Kabinett ausgeschlossen, er enthält ihr ein ihr zustehende Ministeramt und damit realen Einfluss vor. Sie wiederum spart nicht mit Kritik und kandidiert nun für die Präsidentschaft, wenn auch wohl chancenlos. Am 9. Mai sollen zugleich mit den Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftswahlen auch das Parlament sowie regionale und lokale politische Repräsentantinnen und Repräsentanten neu gewählt werden.