Rezension zu »Die Rache ist mein« von Marie NDiaye

Lügen wie gedruckt

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Maître Susane ist Rechtsanwältin in Bordeaux, sie hat erst seit kurzem eine eigene Kanzlei und die Mandanten rennen ihr nicht gerade die Tür ein. Ihren Vornamen erfährt man nicht, nur, dass er mit »H« beginnt. Eines Tages sucht ein gewisser Gilles Principaux die Anwältin auf, der sie bittet, die Verteidigung seiner Frau zu übernehmen. Maître Susane ist überrascht, dass ausgerechnet sie den spektakulären Fall übernehmen soll. Schließlich gilt Madame Principaux zu diesem Zeitpunkt als die prominenteste Mörderin Frankreichs; sie hat ihre drei kleinen Kinder in der Badewanne ertränkt und dann offenbar in aller Gelassenheit auf das Eintreffen der Polizei gewartet. Warum nimmt sich der Gatte für die Ver­teidigung seiner – wie er behauptet – über alles geliebten Frau keinen Staranwalt?

Und warum kommt Gilles Principaux der Anwältin so bekannt vor, obwohl er behauptet, sie nie zuvor gesehen zu haben? Könnte er der damals 15jährige Sohn reicher Eltern gewesen sein, in deren Haus in einem ­Villenviertel von Bordeaux ihre Mutter einst als Büglerin tätig war? Als Kind durfte Maître Susane ihre Mutter begleiten, der Sohn des Hauses nahm sich ihrer an, in seinem Zimmer geschah dann etwas, das ihr Leben für immer verändert hat. Ihre Mutter kann oder will sich nicht an damals erinnern. Und die Anwältin hat eigentlich keine Zeit, um ihre Erinnerungen zu sezieren, sie muss sich um ihre neue Mandantin kümmern. Die will aber gar nicht verteidigt werden, sondern lieber ihr Leben im Knast verbringen als zu ihrem treusorgenden Gatten zurückzukehren, der sich als wahres Monster entpuppt. Aber ist er das? Schließlich lügen hier alle wie gedruckt – nicht zuletzt die Anwältin selbst.

Mit dem Roman »Die Rache ist mein« ist der französischen Autorin Marie NDiaye ein wirklich atemberaubendes Buch geglückt, das einen bis zum (natürlich) überraschenden Ende in seinen Bann schlägt und die Phantasie aufs Gruseligste anregt.

Marie NDiaye: Die Rache ist mein. Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. Suhrkamp, Berlin 2022, 236 Seiten, 22 Euro