Friedrich Merz wird CDU-Vorsitzender

Wunschgegner der Linksliberalen

Am Samstag soll Friedrich Merz offiziell zum Vorsitzenden der CDU gewählt werden. Er tritt konservativer auf als seine Vorgänger – und ist damit wie gemacht für die Selbstvergewisserung seiner politischen Gegner.
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Wer heute 30 ist, war zwölf Jahre alt, als Friedrich Merz von Angela Merkel ausgebootet wurde. 2004 nahm sie ihm den Vorsitz der Unionsfraktion im Bundestag ab, danach verschwand Merz aus der ersten Reihe der Politik. Seit 2009 saß er nicht einmal mehr im Bundestag. Erst in den vergangenen Jahren probierte er ein politisches Comeback als konservativer Merkel-Kritiker. 2018 und 2020 hatte er bereits versucht, CDU-Parteivorsitzender zu werden, nun hatte er beim dritten Anlauf Erfolg. Dabei gab er sich stets als Außenseiter und raunte auch schon mal, das »Parteiestablishment« wolle seinen Sieg verhindern, obwohl er die Parteibasis eigentlich hinter sich habe (womit er – zugegeben – vermutlich recht hatte).

Um die unzufriedenen Merz-Anhänger zu beruhigen – und weil die Union die Bundestagswahl so krachend verloren hatte –, wurde der CDU-Parteivorsitzende diesmal von den Mitgliedern direkt gewählt, und nicht wie üblich von den Delegierten eines Parteitags. Merz setzte sich bei seinem dritten Anlauf deutlich gegen den Merkel-Vertrauten Helge Braun und den als eher liberal geltenden Norbert Röttgen durch. Die am Samstag stattfindende Bestätigung beim CDU-Parteitag ist nur noch eine Formalität.

In den vergangenen Monaten hat Merz zwar seinen Ton gemäßigt und war auch im Bundestagswahlkampf als treuer Parteisoldat aufgetreten, doch er ist und bleibt Vertreter der Konservativen und Wirtschaftsliberalen, denen Merkel zu moderat war. Vor allem in der Migrationspolitik versuchte er, sich von der Bundeskanzlerin zu distanzieren. Bei seiner ersten Bewerbung für den Parteivorsitz 2018 stellte er de facto das Grundrecht auf Asyl in Frage.

Kommt mit Merz als CDU-Vorsitzendem nun also endgültig die gesellschaftliche Polarisierung, von der man in den vergangenen Jahren in unzähligen Analysen gelesen hat? In den Merkel-Jahren entstand zwar die AfD, aber die konservativen Parteien CDU und CSU waren vor allem im europäischen Vergleich noch relativ zahm geblieben. Seit 2016 haben neben Merz auch die CSU-Politiker Markus Söder und Horst Seehofer immer wieder versucht, als rechte Kritiker Merkels Profil zu gewinnen, doch konnten sie sich damit nicht so recht durchsetzen. Im Allgemeinen wurde der Kulturkampf, wie er sich exemplarisch in den USA, aber auch in anderen europäischen Ländern abspielt, in Deutschland noch eher zurückhaltend betrieben. Das lag an Merkels gemäßigten Auftreten und vielleicht auch an der Großen Koalition, die eine allzu scharfe Polarisierung verhinderte.

Es lag aber auch daran, dass hinter der liberalen Fassade ziemlich viel konservative Substanz in der Union im eher Stillen erhalten blieb. Das Werbeverbot für Abtreibung, die finanzielle Förderung der »traditionellen« Ehe durch das Ehegattensplitting, das restriktive Transsexuellengesetz und die Forderung nach einem Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft: an all dem hielt die Union auch unter Merkel fest. Das gibt den Ampelparteien nun die Möglichkeit, sich als progressive Reformkoalition zu gerieren; mit Merz hat sie dafür einen perfekten Gegner, so als wäre dieser gecastet worden. Merz hat zwar für internationale Finanzkonzerne gearbeitet, von seinem Auftreten und seiner Weltsicht her gleicht er aber eher einem Provinzunternehmer aus seinem sauerländischen Wahlkreis, in dem er auch seinen Wohnsitz hat.

Es steht zu befürchten, dass diese Konstellation die schlechtesten Gewohnheiten der Linksliberalen verstärken wird, nämlich politische Konflikte auf den Unterschied zwischen Milieus zu reduzieren und alle gesellschaftlichen Missstände auf die Rückständigkeit ihrer politischen Gegner zu schieben. Oft wird nicht mehr Gesellschaftskritik geübt, sondern Konservativen-Kritik: an den rückständigen CDU-Wählern, Kleinbürgern und alten, weißen Männern, die für alles verantwortlich gemacht werden, ob es sich nun um Rassismus oder Fleischverzehr handelt. Dabei wird leicht vergessen, dass hinter Kulturkampfthemen auch handfeste gesellschaftliche Verhältnisse stecken – zum Beispiel eine deutsche Fleischindustrie, die osteuropäische Wanderarbeiter ausbeutet, ein Bildungssystem, das die Sprösslinge der biodeutschen Mittelschicht bevorzugt, oder die miesen Konditionen im Niedriglohnsektor, in dem viele Migranten arbeiten – und dass sich an diesen Verhältnissen nichts automatisch ändern wird, nur weil jetzt SPD und Grüne und nicht mehr die CDU/CSU die stärkeren Parteien in der Regierung sind.