Die NS-Verbindungen der Tourismuskapitalisten in Tirol

Covid, Liftkaiser und Nazis

In Tirol wird wieder Ski gefahren, die Profiteure sind die gleichen wie immer.

Als im Januar bekannt wurde, dass mehrere Mitarbeiter der Après-Ski-Bar »Kitzloch« im Tiroler Wintertourismusort Ischgl mit dem Coronavirus infiziert waren, wurde die geradezu absurde Privilegierung der Wintertourismusbranche in Österreich erneut deutlich.

Fast exakt zwei Jahre, nachdem von Ischgl und dem »Kitzloch« aus halb Europa verseucht worden war, hielten es die »Liftkaiser«, wie man die erfolgreichen Tourismuskapitalisten in Österreich gerne nennt, nicht für nötig, wenigstens dafür zu sorgen, ei­ne Wiederholung dieser Ungeheuerlichkeit zu verhindern. Und aus ihrer völlig moralfreien Warte aus betrachtet: Warum hätten sie auch sollen? Tiroler Ermittler und Gerichte hatten partout kein Fehlverhalten der Hoteliers und Liftbetreiber im Jahr 2020 feststellen können.

Wer die Macht der »Liftkaiser« verstehen will, vor allem in ihren Hochburgen Vorarlberg und Tirol, muss deren Historie kennen. Ein Beispiel ist Michael Manhart, Boss des Skigebiets Lech am Arlberg, dem größten seiner Art. Manhart gehört wie der Waffenproduzent Gaston Glock oder der Brausefabrikant Dietrich Mateschitz zu den untouchables in Österreich, jenem kleinen und sehr exklusiven Club von Superreichen, die weder Gesetz noch kritischen Journalismus zu fürchten haben. Kurz nach Weihnachten trat Manhart vor die Kameras des ORF und beklagte, er könne nicht genügend Arbeitnehmer finden, denn: »Die Arbeitslosen werden so gut bezahlt, die sehen keine Notwendigkeit zum Arbeiten.« Dabei zog er genüsslich an einem Zigarillo und grinste breit. Das Arbeitslosengeld beträgt in Österreich gerade einmal 55 Prozent des letzten Nettosalärs. Im Schnitt haben Arbeitslose pro Tag 33 Euro zur Verfügung, wovon sie selbstverständlich auch Miete, Nahrung und alle anderen Lebenskosten bezahlen müssen. Die günstigste Tageskarte für das Skigebiet Arlberg kostet exakt das Doppelte.

Wer konnte, verließ Tirol. Am 15. März 1939 ­wurde die Region für, wie es im NS-Jargon hieß, »judenfrei« erklärt.

Manhart ist »Liftkaiser« und Hotelier in dritter Generation. Weil er als solcher im Gegensatz zu den Arbeitslosen sehr viel schuften muss, konnte er in Vorarlberg in den frühen nuller Jahren nebenher auch noch die Funktionen als Landesjägermeister und Mitglied des Umweltrats der Landesregierung ausüben. Das war wohl recht praktisch, denn immerhin gehören zu den Menschen, die in Vorarlberg auf die Pirsch gehen, einige der reichsten Industriellen und Bankiers Österreichs, hohe Beamte und Richter sowie etliche Politiker aller Parteien. Auch sozialdemokratische Minister wurden dort schon gesichtet.

Und wer würde sich besser zum Umweltrat eignen als einer, dem das auflagenstarke Boulevardblatt Kronen Zeitung im Oktober 2021 ein Jubelporträt mit dem Titel »Liftpapst mit Herz für die Natur« widmete? Da mögen die Spielverderber vom World Wildlife Fund (WWF) noch so unken, dass Skifahren ein »Desaster für unser Klima« sei, dass das Anlegen von Skipisten so wirke, »als ob ein ganzer Bergabschnitt in eine Autobahn verwandelt würde« und dass die Schneekanonen »die Alpen austrocknen«. Die Kronen Zeitung weiß es besser und schreibt, der 79jährige ha­be Umweltschutz »schon gelebt, als die heutige Ökologiebewegung noch in den Windeln lag«.

Bei Dynastien wie jener von Manhart kann es nicht schaden, einmal nachzuschauen, was die Begründer der Dynastie so trieben und wie sie überhaupt eine gründen konnten. Manharts Onkel Josef Bildstein wird zum Beispiel bis heute als »Pionier der Skilifte« verehrt. Der Mann war bis 1945 technischer Leiter bei Daimler-Benz in Mannheim. Dass Bildstein von den dort eingesetzten Zwangsarbeitern wusste, ist nicht beweisbar. Nach 1945 erfand er neue Techniken für Skilifte, kaufte Loipen und Hotels und wurde zum gefeierten Vorbild für viele andere, die dank des Wintersports vom Bauern zum mehrfachen Millionär aufstiegen.

Bildsteins Bruder Albert machte Karriere in der NSDAP, als diese in Österreich noch verboten war, und stieg nach dem »Anschluss« unter den Nazis zum Verantwortlichen für den gesamten Bereich des Skilaufs im Sport-Dachverband der Partei, dem Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen (NSRL), auf. Damit war er als »Gaufachwart Skilauf« die oberste Instanz, was den Skisport und den Wintertourismus auf dem Gebiet des damals »Ostmark« genannten Österreich betraf.

Über die NS-Zeit im Gebiet des damals »Reichsgau Vorarlberg-Tirol« genannten Gebiets und was diese vor allem für die jüdische Bevölkerung bedeutete, redet man heutzutage weniger gern als über bahnbrechende Skilifttechnologien. 1934 lebten nach eigenen Angaben bei der damaligen Volkszählung knapp 400 Juden in diesem »Gau«. Während der Reichspogromnacht, der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, wurde der Leiter der Tiroler Kultusgemeinde, der Brückenbauingenieur Richard Berger, erschlagen und seine Leiche in den Inn geworfen. Um den Eindruck zu erwecken, es handele sich um spontane Wutausbrüche der lokalen Bevölkerung und nicht um zentral gesteuerte Pogrome, hatte der Gauleiter von Tirol, Franz Hofer, ein Uniformverbot ausgesprochen. Drei Innsbrucker Juden wurden in dieser Nacht ermordet, ein weiterer erlag fünf Wochen später seinen schweren Kopfverletzungen. Rund 100 wurden teils schwer verletzt, ein altes Ehepaar, das verprügelt und in den Inn geworfen worden war, hatte sich nur knapp vor dem Ertrinken retten können.

Am 10. November höhnten die Innsbrucker Nachrichten: »Wir haben die Hebräer in der Ostmark nach dem Anschluss wahrhaftig mit Glacéhandschuhen behandelt. Es ist ihnen kein Haar gekrümmt worden und dass wir darangingen, mit durchaus legalen Mitteln unsere Geschäftswelt von diesem Parasitentum zu reinigen, ist nun wirklich nur unser gutes Recht der Selbsterhaltung gewesen.«

Wer konnte, verließ Tirol. Am 15. März 1939 wurde die Region für, wie es im NS-Jargon hieß, »judenfrei« erklärt. Und es kam zu erbitterten Kämpfen unter Nazis und Geschäftsleuten um das »arisierte« Vermögen der ermordeten oder vertriebenen Juden, denn dieses erwies sich als wesentlich kleiner, als die anti­semitische Propaganda von den immens reichen Juden hatte glauben lassen. Der Widerstand gegen die Nazis in den folgenden Jahren war dem österreichischen Historiker Horst Schreiber zufolge »eine rare Ausnahme«; von »unerfahrenen Leuten ­getragen«, sei er »verstreut und isoliert« gewesen.

Der Bildstein-Manhart-Clan aber gedieh und machte den Arlberg zu einem mondänen Winterurlaubsgebiet, wo der internationale Jetset inklusive Mitgliedern des britischen Königshauses gerne über ehemalige Almen gen Tal wedelte. Heutzutage ist der Arlberg das größte zusammenhängende Skigebiet Österreichs und beherbergt jährlich über eine Million Gäste. Klimatisierte Gondeln und Sessellifte mit Sitzheizung trans­portieren die zahlungskräftige Kundschaft auf die Berge.

Allein die Seilbahnen erwirtschaften nach Angaben der Branchenzeitschrift Tourist Austria International pro Jahr gut 57 Millionen Euro. Das gesamte Skigebiet gehört drei Familien. Den Manharts, den Hochs und den Pfefferkorns. Daneben gibt es noch eine Handvoll winziger eigenständiger Betriebe, die aber zusammen kaum fünf Prozent des Geschäfts ausmachen.