In Burkina Faso haben ­Putschisten den Präsidenten gestürzt

Alleingelassen an der Front

In Burkina Faso stürzten Offiziere, die sich im Kampf gegen die Jihadisten unzureichend unterstützt sahen, den Präsidenten Roch Marc Christian Kaboré.

Der jugendlich wirkende Leutnant Sidsoré Kader Ouedraogo trat mit 14 Offizieren am Montag voriger Woche im Staatsfernsehen Burkina Fasos auf. Ihre Botschaft hatte es in sich: Sie verkündeten die Absetzung des 2015 gewählten und Ende 2020 wiedergewählten Präsidenten Roch Marc Christian Kaboré und die Bildung einer Militärregierung. Diese »Patriotische Bewegung für die Bewahrung und Wiederherstellung« (MPSR) soll das Land während einer Übergangsperiode führen. Deren Dauer wurde zunächst nicht präzisiert, soll aber eine »vernünftige Länge« nicht überschreiten. Ouedraogo ist der Sprecher des MPSR, doch dessen Anführer und damit Interimspräsident des Landes ist der 41jährige Oberst­leutnant Paul-Henri Sandaogo Damiba.

Zunächst hatte der MPSR neben der Auflösung des Parlaments und der Beendigung des Mandats von Präsident Kaboré und seines Premierministers Lassina Zerbo auch eine »Aussetzung« der Verfassung geplant. Doch am Montag verkündete der MPSR um 13 Uhr im staatlichen Fernsehen, die verfassungsmäßigen Rechte seien »in Kraft«, und proklamierte eine »Grundsatz­akte« (acte fondamental, die mit einem Grundrechtskatalog aus 23 Artikeln ­beginnt, der unter anderem die Unverletzlichkeit der Person, Presse- und ­Gewerkschaftsfreiheit sowie kostenlose Bildung garantiert. In den weiteren Ar­tikeln wird der MPSR als Regierungsorgan für eine Übergangszeit definiert.

Der nun entmachtete burkinische Präsident Kaboré verfügte über wenig militärische Erfahrung und nahm Ernennungen bei der Armee nach politischer Opportunität vor.

Der Putsch ist nicht unpopulär. Die Westafrika-Spezialistin der französischen Tageszeitung Libération, Maria Malagardis, schrieb vorige Woche gar, in der Region könne nach den Ereignissen in Mali seit August 2020 und in Guinea seit September 2021 vom neuen Konzept eines coup d’état populaire, ­eines populären Staatsstreichs, gesprochen werden. Tatsächlich fanden keine Demonstrationen gegen den Machtwechsel statt. Vielmehr kamen am Dienstag voriger Woche gut 1 000 Menschen in der Hauptstadt Ouagadougou zu einer Freudenkundgebung zusammen. Am Freitag mobilisierte ein Netzwerk aus rund 1 000 Bürgerinitiativen, Vereinen und NGOs zu Veranstaltungen, bei denen der Machtwechsel im Prinzip unterstützt, aber auch über das weitere Vorgehen diskutiert wurde.

In Burkina Faso, wo in den 61 Jahren seit der Unabhängigkeit 48 Jahre lang aus dem Militär hervorgegangene Staatschefs regierten, ist die Bevölkerung die Auseinandersetzung mit Putschisten gewohnt. Ende Oktober 2014 stürzten Massenproteste Präsident Blaise Compaoré, der 27 Jahre lang autokratisch regiert hatte. Er war im Oktober 1987 an der Ermordung seines Amtsvorgängers Thomas Sankara beteiligt, der 1983 selbst durch einen Putsch an die Macht gekommen war. Sankaras Politik hatte der lokalen Produktion und Importunabhängigkeit gegolten; Korruptionsbekämpfung, eine auch gegen Widerstände durchgesetzte Politik zu Gleichberechtigung der Frauen und Blockfreiheit waren weitere Ziele. Der Prozess zur Aufklärung der Hintergründe seiner Ermordung findet derzeit in Ouagadougou statt, vorige Woche wurde er allerdings »bis zur Wiederherstellung der Verfassung« ausgesetzt.

Im September 2015, ein knappes Jahr nach dem Sturz Compaorés, hatte dessen vormalige Präsidentengarde (Régiment de sécurité présidentielle, RSP) unter General Gilbert Diendéré zu putschen versucht. Dagegen ging die Bevölkerung massenhaft auf die Straße, der Staatsstreich brach zusammen und Diendéré wurde inhaftiert. Nach dem jüngsten Putsch hieß es zunächst, die neue Militärregierung habe Diendéré freigelassen. Darauf folgte jedoch ein energisches Dementi in einem Kommuniqué der Militärjustiz.

Damiba, der seine militärische Ausbildung 1992 begonnen und eine Militärakademie in Paris absolviert hatte, gehörte selbst dem RSP an. 2011 kam es zu Kämpfen zwischen meuternden Einheiten, die eine bessere Besoldung auch der unteren Ränge forderten, und dem privilegierten RSP. Da Damibas Wohnsitz dabei unter Raketenbeschuss geriet, quittierte er den Dienst beim RSP und wurde fortan gegen die sich seit 2014 häufenden Attacken jihadistischer Kampfverbände auch an der Front eingesetzt. 2015 nahm er nicht am Putschversuch des RSP teil. Seine Po­pularität bei den unteren Rängen verdankt Damiba auch seiner Teilnahme am Kampf gegen die Jihadisten.

Die Armee des Landes ist zerrissen. Kinder aus armen Familien gelangen oft durch den Militärdienst zu einem Einkommen – darin lag einer der Ursachen der Bewegung Sankaras. Kaboré misstraute dem elitären RSP als Prätorianergarde seines Vorgängers Compaoré, deswegen ließ er dessen Angehörige über die operativen Einheiten, oft an der Front gegen die Jihadisten, verteilen. Kaboré bevorzugte die Gendarmerie, eine Art Militärpolizei, aus der er auch seine eigene Präsidentengarde rekrutierte. Die einzigen Kämpfe am 23. und 24. Januar im Zusammenhang mit dem jüngsten Putsch fanden in der Um­gebung der Residenz des Präsidenten statt, wo Angehö­rige der Gendarmerie einen Ausfallangriff versuchten. Zwei Gendarmen wurden dabei verletzt.

Der allgemeine Unmut im Militär wie auch in der Zivilbevölkerung wuchs in dem Maße, wie die Soldaten sich im Kampf gegen die Jihadisten ­alleingelassen sahen. Kaboré verfügte über wenig militärische Erfahrung und nahm Ernennungen bei der Armee nach politischer Opportunität vor. ­Unter ihm wurde das Militärbudget verfünffacht, doch das Geld floss vor allem hochrangigen Offizieren zu. Waffenankäufe und Militärlieferungen übernahmen Kaboré und seiner Familie nahestehende Unternehmen, die in die eigene Tasche wirtschafteten. Burkina Faso erwarb fünf Kampfhubschrauber, alle erwiesen sich als flugunfähig. Anderthalb Millionen Menschen wurden seit 2014 aus den Kampfgebieten vertrieben und flohen in die Städte oder den Süden des Landes, eine halbe Million Kinder können wegen der Kämpfe mit Jihadisten nicht ihre Schulen besuche. 2 000 Menschen, darunter rund 500 Angehörige von Armee und Gendarmerie, wurden von den ­Jihadisten getötet.

Den Ausschlag für die Entscheidung zum Putsch gab offenbar der Angriff auf die Ortschaft Inata im Norden des Landes. Gendarmen bewachten dort ein Bergwerk, am 14. November töteten Jihadisten 49 von ihnen sowie vier Zi­vilisten. Schnell machte die Nachricht die Runde, dass die Gendarmen seit zwei Wochen keine Nahrungsrationen erhalten hatten.

Bereits seit September habe die ehemalige Kolonialmacht Frankreich mit einem Putsch in Burkina Faso gerechnet, die dort stationierte französische Truppe »Task Force Sabre« sei in Alarmzustand versetzt worden, berichtete ­vorige Woche der Informationsdienst Africa Intelligence. Präsident Emma­nuel Macron und Außenminister Jean-Yves Le Drian verurteilten den Putsch. Macron zeigte sich um den Verbleib seines Amtskollegen Kaboré besorgt, die­ser steht derzeit unter Hausarrest. Africa Intelligence zufolge stand er zuvor in telefonischem Kontakt mit den senegalesischen und ivorischen Präsidenten Macky Sall und Alassane Ouattara, die die wirtschaftlich stärksten französischsprachigen Staaten in Westafrika regieren.

Die Westafrikanische Wirtschafts­gemeinschaft (Ecowas), deren politische Anführer meist eng mit Frankreich zusammenarbeiten, schloss Burkina Faso wegen des Putschs am Dienstag voriger Woche, wie zuvor Mali und Guinea, vorläufig aus. Anders als im Fall Malis, gegen das am 9. Januar Sanktionen ­verhängt wurden, gab es allerdings zunächst keine weiteren Strafmaßnahmen. Über solche will die Ecowas am Donnerstag dieser Woche entscheiden.

Immer mehr Menschen in der Region betrachten allerdings solche Sanktionen als illegitim, zumal den Präsidenten, die in der Ecowas den Ton angeben wie Ouattara, der 2020 die Verfassung ­ändern ließ, um sich eine weitere Amtszeit zu ermöglichen, ein taktisches Verhältnis zur Demokratie vorgeworfen wird.

In Ouagadougou fanden am vorvergangenen Samstag zwei Demonstrationen statt, die wegen »Gefährdung der Sicherheit« verboten worden waren. Beide wurden mit Knüppeln und Tränengas auseinandergetrieben. Die eine hatte die Solidarität mit den im Norden Burkina Fasos verheizten Soldaten zum Gegenstand, die andere Solidarität mit der Bevölkerung Malis gegen die Sanktionen der Ecowas. Zu den Organisatoren der Demonstrationen zählte die Vereinigung Balai citoyen (Bürgerbesen), der Name spielt auf das »Wegfegen« Com­paorés im Jahr 2014 an. Sie verurteilte den Putsch nicht, forderte die Mi­litärregierung allerdings dazu auf, »der Bevölkerung Gehör zu schenken«.

Nach den Machtübernahmen des Militärs in Mali im August 2020 und erneut im Mai 2021 sowie in Guinea im September könnten sich nun regionalpolitisch die Gewichte verschieben. Guinea etwa ließ seine Grenzen zu Mali, unter Bruch der Sanktionsbestimmungen der Ecowas, offen. In Mali erwägt man nun, statt über die Häfen in Abidjan (Côte d’Ivoire) und Dakar (Senegal) künftig den Außenhandel über Conakry im ärmeren Guinea abzuwickeln. In Mali fanden Kundgebungen gegen die Sanktionen statt. Unterdessen verschärft sich der Konflikt mit Frankreich. Am Montag wurde der französische Botschafter, Joël Meyer, wegen »feindseliger und empörender« Äußerungen des Außenministers Le Drian aus Mali ausgewiesen. Drian hatte sich in einem Interview gegen den Einsatz von Söldnern der russischen Gruppe Wagner in Mali ausgesprochen, die sich »der Ressourcen des Landes im Tausch gegen den Schutz der Junta« bedienten. Die malische Militärregierung dementiert deren Präsenz im Land.