Langsam wächst der Protest gegen die »Querdenker«

Zögerliche Gegenwehr

Seit Ende vergangenen Jahres demonstrieren die »Querdenker« und Impfgegner wieder häufiger. Inzwischen wächst auch der Gegenprotest, das Mobilisierungspotential linker und bürgerlich-zivilgesellschaftlicher Gruppen wird allerdings selten ausgeschöpft.

Manchmal kann nur ein Tag einen großen Unterschied machen, etwa wenn sich die rechtliche Lage über Nacht ändert. Am 13. Januar, als wieder einmal Coronaleugner und Impfgegner durch Dresden zogen, stellten sich Studierende der Medizinischen Fakultät der TU Dresden vor das Universitätsklinikum, um dieses symbolisch zu beschützen. »Impfe statt Hetze« und »Maske auf, Nazis raus« stand auf ihren Schildern. Die sächsische Polizei, die in den vergangenen Monaten bei den Versammlungen der »Querdenker« gezeigt hatte, dass sie durchaus deeskalierend vorgehen kann, erinnerte sich ­ihres üblichen Umgangs mit Demons­trierenden. Polizisten kesselten die Studierenden ein und eröffneten Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und die sächsische Coronaverordnung. Dieser zufolge durften sich seit November nur maximal zehn Personen zum Protest zusammenfinden, erst ab dem 14. Januar wurde diese Zahl auf 200 erhöht – also am Tag nach dem Protest der Medizinstudierenden. Der Vorfall löste bundesweit Empörung aus. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) dankte den Studierenden sogar auf Twitter. Eine Woche später teilte die Polizei mit, den Vorfall neu zu bewerten und dies auch dem für die Verfahren zuständigen Ordnungsamt mitzuteilen.

Besonders in Ostdeutschland knüpfen die Bündnisse an Strukturen an, die im Kampf gegen den klassischen Rechtsextremismus entstanden sind.

Die Episode erhöhte bundesweit die Aufmerksamkeit für den wachsenden Gegenprotest gegen die »Querdenken«-Bewegung. Diese konnte seit dem Frühjahr 2020 meistens auf die Straße gehen, ohne mit ernsthafter Opposition rechnen zu müssen. Doch seit Ende vergangenen Jahres ändert sich das. Mittlerweile gibt es regelmäßig Gegenkundgebungen zu Veranstaltungen der »Querdenker«. Am Montag vergangener Woche demonstrierten dem Bundesinnenministerium zufolge in ganz Deutschland 350 000 Menschen gegen Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung und eine Impfpflicht; ihnen gegenüber standen 15 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Gegenkundgebungen – im Vergleich ist das nicht viel, aber es ist mehr als früher.

Dafür gibt es zwei Gründe. Zum ­einen hat sich spätestens seit dem Herbst 2021 die »Querdenken«-­Bewegung deutlich vergrößert und die Gewaltbereitschaft ihrer Anhänger ist gewachsen. So nahm die Anzahl von Anschlägen auf Testzentren, Bedrohungen von Ärzten und Auseinandersetzungen mit der Polizei spürbar zu. Zu Beginn der Pandemie wurden die Proteste oft als skurrile Reaktionen auf Covid-19 angesehen, inzwischen werden sie immer öfter als ernsthafte politische Gefahr betrachtet. Zum anderen geben Linke und Befürworter der demokratischen ­Zivilgesellschaft nach und nach ihre Zurückhaltung gegen öffentliche Versammlungen auf. Bisher überwog bei vielen die Sorge, sich in großen Menschenmengen möglicherweise anzustecken oder das Virus zu verbreiten. Doch das ändert sich inzwischen, zum einen wegen der hohen Impfquote in dieser Gruppe, zum anderen, weil sich gezeigt hat, dass bei Versammlungen unter freiem Himmel das Ansteckungsrisiko gering ist.

Die Formen und Akteure des Protestes gegen die »Querdenken«-Bewegung sind vielfältig, doch lassen sich grob zwei Strömungen identifizieren. Die eine ist bürgerlich-zivilgesellschaftlich. Hier finden sich Leute aus Parteien, Verbänden und Kirchen, oft auch Medizinstudierende und im Gesundheitswesen Beschäftigte. Inhaltlich richten sie sich gegen den Rechtsextremismus der »Querdenken«-Bewegung und fordern die Entlastung der Beschäftigten im Gesundheitswesen sowie gesellschaftliche Solidarität. Unter Letzterem versteht diese Strömung vor allem Schutzmaßnahmen wie Maskentragen und das Impfen. Hinzu kommt der ­Appell, wissenschaftliche Erkenntnisse anzuerkennen. Aktionsformen sind hier vor allem Unterschriftensammlungen und offene Briefe, Lichterketten und öffentliche Gedenkveranstaltungen für Opfer der Pandemie.

Die zweite Strömung wird eher von linken, antifaschistischen Akteuren getragen. Deren Ziel ist es, die Coronaleugner offensiv zu kritisieren und, wenn es die lokalen Kräfteverhältnisse zulassen, Aufzüge der »Querdenker« zu blockieren oder zu stören. Zusätzlich erhebt man oft auch den Anspruch, eine dezidiert linke Kritik am staatlichen Umgang mit der Pandemie zu formulieren.

Beide Strömungen sind nicht klar voneinander getrennt. Häufig agieren sie in Bündnissen zusammen. Organisationen wie die »Omas gegen rechts« oder die Jugendorganisationen der Linkspartei und der Grünen haben oft eine Brückenfunktion. Typisch hierfür dürfte das Bündnis »Jena solidarisch« sein, das sich selbst als »Bündnis für Solidarität statt Verschwörungsideologien« bezeichnet. Gegründet haben es Anfang des Jahres die linke Junge Gemeinde Stadtmitte, die Grüne Jugend Jena, die Gruppe »Solidarität statt Querdenken« und Einzelpersonen, zudem unterstützen es der Ortsteilrat und die Ortsteilbürgermeisterin von Jena-Zentrum. Ähnliche Bündnisse gibt es mittlerweile zum Beispiel in Potsdam und Augsburg. Insbesondere in Ostdeutschland knüpfen die Bündnisse an Strukturen an, die in den vergangenen 20 Jahren im Kampf gegen den klassischen Rechtsextremismus entstanden sind.

Bundesweit finden immer mehr Proteste gegen die »Querdenker« statt, oft jedoch aus einer Minderheitsposition heraus. An den Gegenprotesten nehmen meistens weit weniger Menschen teil als an den Aufzügen der »Querdenker«. Während diese eine dynamische Bewegung darstellen, in der sich viele Menschen neu politisieren, gelingt es den Bündnissen auf der Gegenseite selten, auch nur das Mobilisierungspotential ihrer Mitgliedsorganisationen auszuschöpfen, geschweige denn darüber ­hinaus Menschen anzuziehen. Vor allem politische Gruppen, die nicht aus der radikalen Linken kommen, weisen zwar zu Recht darauf hin, dass die Mehrheit der Gesellschaft geimpft sei und die Pandemie ernst nehme, doch ist ein daran anknüpfender Protest gegen »Querdenker« auf der Straße oft nicht zu sehen.