Ein Projekt erinnert an verfolgte jüdische Spieler

Auf der Suche nach vergessenen Fußballern

Am Holocaust-Gedenktag stellte das Deutsche Fußballmuseum ein Lexikon über jüdische Fußballer ins Netz.

Niemand weiß, wie viele jüdische Fußballspieler es in Deutschland in der Zeit vor dem Nationalsozialismus gab. »Die Nationalsozialisten«, sagt der Direktor des Deutschen Fußballmuseums Manuel Neukirchner, »löschten nicht nur Leben aus, sondern auch Erinnerungen.« Die Konterfeis sportlich erfolgreicher ­Juden wurden aus Sammelalben entfernt, ihre Namen von Gedenkplatten gekratzt, ihre Gesichter aus Vereinsfotos herausretuschiert und ihre Erfolge aus Rekordlisten gestrichen. Mit dem digitalen Projekt »Niemals vergessen! Das Online-­Lexikon verfolgter jüdischer Fuß­baller« mache man auf das Schicksal verfemter und ermordeter jüdischer Sportpioniere aufmerksam, die dem Fußball in Deutschland einst wichtige Impulse gaben, betont Neukirchner. »Zudem ist es unser Anliegen, ein permanentes Zeichen gegen jede antisemitische und rassistische Tendenz im heutigen Fußball zu setzen.«

Das Lexikon verfolgter jüdischer Fußballer ist ein Open-Source-Projekt, bei dem jeder mitmachen und selbst Texte hochladen kann, die Mitarbeiter des Fußballmuseums dann nach Sichtung freischalten.

Mit der Veröffentlichung des Lexikons am 27. Januar, dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, ist die Arbeit daran, jüdischen Kickern wieder Namen und Geschichte zu geben, nicht abgeschlossen. Vielmehr soll sie der Beginn einer intensiveren Suche nach vergessenen Spielern sein. Das ­Fußballmuseum bittet Vereine, aber auch Fans, die Arbeit fortzuführen. Das Lexikon ist ein Open-Source-Projekt, bei dem jeder mitmachen und selbst Texte hochladen kann, die Mitarbeiter des Museums dann nach Sichtung freischalten.

Die bislang veröffentlichten biographischen Notizen sind also erst der Anfang. Sie entstanden in Zusammenarbeit mit Vereinen, Fangruppen, Archiven und Fußballmuseen. Hertha BSC Berlin, Schalke 04 und Lokomotive Leipzig waren ebenso daran beteiligt wie das Museum des FC Bayern München und das Fanprojekt der Stuttgarter Kickers.

Das Deutsche Fußballmuseum löse mit der Veröffentlichung ein Versprechen ein, das es beim Festakt zum 100. Geburtstag der Maccabi World Union im vergangenen Sommer gegeben habe, heißt es auf der Web­site des Museums. Der jüdische Sportverband Makkabi Deutschland ist auch Kooperationspartner und Unterstützer des Projekts.

Die ganz großen Namen sind bereits im Lexikon vertreten. Da ist zum Beispiel Kurt Landauer, der 1901 als 17jähriger Mitglied des FC Bayern München wurde, ein Jahr nach Vereinsgründung. Schnell übernahm der Spieler Funktionen im Verein und wurde 1913 und erneut nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er als Soldat teilnahm, Präsident des Clubs. Kurz nachdem die Nazis an die Macht kamen, legte er sein Amt nieder. Nach der Reichspogromnacht 1938 wurde er für vier Wochen im Konzentrationslager Dachau interniert, dann gelang ihm die Flucht in die Schweiz. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er 1948 erneut zum Präsidenten gewählt.

Wiederentdeckt wurde Landauer vor knapp 20 Jahren von der Ultra-Gruppe Schickeria, die dafür gesorgt hat, dass sich auch der Verein wieder für das Gedenken seines einstigen Präsidenten engagiert. Die Ultras veranstalten jährlich das Kurt-Landauer-Turnier und legten mit einer Spende von 10 000 Euro auch die Grundlage für die Kurt-Landauer-Stiftung.

Ebenfalls im Online-Lexikon vertreten ist Julius Hirsch, der in Auschwitz ermordete ehemalige Nationalspieler, dessen genaues Todesdatum bis heute nicht bekannt ist. Hirsch wollte nicht glauben, was er 1933 in der Zeitung las: Auch sein Verein, der Karlsruher FV, hatte sich bereit erklärt, jüdische Sportler zu entfernen. Damals war er noch Jugendtrainer beim FV. Zwischen 1909 und 1925 hatte er für den Verein gespielt, nur unterbrochen von sechs Jahren, in denen er für die Spielvereinigung Fürth antrat. Zumindest auf dem ­Papier, denn zwischen 1913 und 1919 war er die meiste Zeit im Krieg. Von 1911 bis 1913 war er Spieler der Nationalmannschaft und hatte in dieser Zeit vier Tore erzielt – alle in einem einzigen Spiel gegen die Niederlande. Nach seinem Rauswurf beim Karlsruher FV war Hirsch noch beim Turnclub 03 Karlsruhe aktiv, einem jüdischen Sportverein, der nach der Reichspogromnacht verboten wurde. Der Berliner TuS Makkabi hat sein Sportgelände nach Hirsch benannt.

Gottfried Fuchs hält einen bis heute gültigen Rekord, der gut ein Rekord für die Ewigkeit sein könnte: Im Spiel gegen Russland schoss er bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm zehn der Tore zum 16:0 der deutschen Nationalmannschaft. Er war der erste jüdische Fußballer im Nationalteam. Bis 1920 war Fuchs als Spieler für den Düsseldorfer SC 99, den Karlsruher FV und Wacker Halle tätig. In der Nazizeit verließ Fuchs Deutschland und kehrte nicht zurück, er zog erst in die Schweiz, dann nach Frankreich und lebte später in Kanada. 1979 starb er Montreal.

Die meisten jüdischen Spieler sind jedoch in der Öffentlichkeit fast vergessen. Das Lexikon erinnert beispielsweise an Fritz Cohen. Er spielte in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der ersten Mannschaft des SV Meppen. Sein Schicksal ist unbekannt. Oder sein Bruder Hans, der 1939 in die USA fliehen konnte, wo sich seine Spur verliert. Simon Leiserowitsch von Tennis ­Borussia Berlin, in der Stadt einst liebevoll »Sim Sim Simsalabim« ­ge­rufen, floh 1933 ins Mandatsgebiet Palästina und starb 1962 in Tel Aviv.

Karl Levi gehörte zu den 21 jungen Männern, die 1889 die Stuttgarter ­Kickers gründeten. Er spielte bis 1901 auf der halbrechten Position bei den Kickers. Als Leichtathlet wurde er mit der Vier-mal-100-Meter-Staffel Süddeutscher Meister. Was aus ihm wurde, ist nicht bekannt. Anton Reitlinger spielte in den unteren Mannschaften des FC Bayern München und wurde am 2. Februar 1945 im KZ Dachau ermordet.

Schaut man sich die im Lexikon aufgeführten Spieler an, sieht man, dass die Vereine, in denen sich auch Fans dafür engagieren, die Geschichte aufzuklären, die Lebens­wege besonders vieler jüdischer Fußballer nachzeichnen lassen. Und das, obwohl ­viele dieser Männer nicht zu den Stars ihrer Zeit gehörten.

In den achtziger Jahren waren es Laien und ambitionierte Historiker, welche in vielen Städten die Lokalgeschichte des Nationalsozialismus untersuchten, was bis zu dieser Zeit ein blinder Fleck der Geschichtsschreibung war. Diese Arbeiten trugen erheblich dazu bei, die NS-Geschichte greifbar zu machen. Täter wurden benannt, Opfer vor dem ­Vergessen bewahrt und der Aufstieg der NSDAP, der sich über Jahre hinweg vollzog, beschrieben.

Etwas Ähnliches könnte nun, wenn es gut läuft, in der Sportgeschichte geschehen. So manche jüdische Spieler, deren Lebenswege zu entdecken sind, waren früher einmal Lieblinge der damaligen Fans, gehörten Mannschaften an, deren erfolgreiche Zeit oft viele Jahrzehnte zurückliegt.

Was Bayern Münchens Ultra-Gruppe Schickeria mit der Wiederentdeckung Kurt Landauers geschafft hat, können Fans nun in vielen Vereinen machen. Denn auch in den Amateurclubs, die es nie oder nicht dauerhaft nach oben geschafft haben, gilt es, Menschen dem Vergessen zu entreißen.

Das Projekt »Niemals vergessen! Das Online-Lexikon verfolgter jüdischer Fußballer« des Deutschen Fußballmuseums findet sich unter: www.fussballmuseum.de/juedische-fussballer/lexikon