Die Musikerin Mitski hat keine Lust auf Social Media

Kein Nobody

Die Popmusikerin Mitski ist überaus erfolgreich, vor allem auf der Plattform Tiktok werden ihre Songs häufig zur Untermalung von Videos benutzt. Die Musikerin aber, die gerade ihr neues Album »Laurel Hell« veröffentlicht hat, hat selbst keine Lust auf Social Media.

Die dauerhafte Nutzung von sozialen Medien schadet der psychischen ­Gesundheit. Was mittlerweile immer mehr Studien wissenschaftlich belegen, weiß Mitski Miyawaki schon lange. Die US-amerikanische Singer-Songwriterin benutzt kein Instagram, kein Facebook, kein Tiktok. Es inte­ressiere sie schlichtweg nicht, was über sie im Internet geredet werde – so zumindest sagte sie es kürzlich in einem Interview.

Dadurch dürfte ihr hoffentlich auch die jüngste Kontroverse über ihre Person entgangen sein. Zuletzt wurde auf Twitter heftigst darüber debattiert, ob Mitski Zionistin sei. Grund dafür war die Ankündigung, dass sie mit Harry Styles auf Tournee gehe, dem schon seit längerem vorgeworfen wird, prozionistisch zu sein. Zudem folgt sie dem Twitter-Profil der Musikjournalistin Eve Barlow, die sich in ihrer Twitter-Biographie als Zionist bezeichnet. Für viele Fans Grund genug, um Mitski die Anhängerschaft zu kündigen.

Der neue, optimistischere Sound kontrastiert mit Mitskis bisherigem Schaffen.

Bis 2019 nutzte die Sängerin Twitter, dann kündigte sie an, eine Auszeit nicht nur von der Musik, sondern auch von der digitalen Kommuni­kation zu nehmen – ihren Twitter-Account verwaltet seither ihr Management. In ihrer Abwesenheit wurde die US-Amerikanerin zu einem Netz­phänomen. Ihre Fans, außerordentlich aktiv in den Internetforen Reddit und Discord, teilen täglich neue ­Memes über die Sängerin. Auf Tiktok wurde ihr Song »Nobody« zum Renner: Unterlegt mit dem Lied ließen sich Abertausende Nutzerinnen und Nutzer im vergangenen Sommer dabei filmen, wie sie vor ihren Pro­blemen weglaufen. Über 90 000 Tiktok-Videos mit dem Stück im Hintergrund wurden hochgeladen.

Zwischen der Veröffentlichung des Titels und seiner Verwandlung zum Meme lagen ganze drei Jahre. »Nobody« erschien auf Mitskis zuletzt ver­öffentlichten Album »Be the Cowboy« aus dem Jahr 2018. Der Internet­erfolg hat sie an die Spitze des Indie-Pop katapultiert: Manche ihrer Songs wurden bei Spotify weit über 150 Millionen Mal aufgerufen, ihre internationalen Touren waren ­Monate im Voraus ausverkauft. Zum bislang letzten Mal auf der Bühne stand Mitski im September 2019 im Central Park in New York City. Ausschlaggebend für die folgende Pause waren gesundheitliche Probleme, die sich während des stressigen Tour-Alltags auftürmten. In einem kürzlich erschienenen Interview mit dem Crack Magazine beschrieb Mitski, wie sie die Zeit vor ihrer Karrierepause erlebt hatte: »Ich habe quasi für mehrere Jahre dissoziiert. Ich kann mich an die meisten meiner Tour­neen nicht erinnern, bis auf die Auftritte. Meine Haare wurden grau, ich hatte viele gesundheitliche Pro­bleme, die nicht diagnostiziert wurden, weil ich niemals zum Arzt ging.«

Diese kräftezehrenden Erfahrungen hat Mitski auf ihrem neuen Album »Laurel Hell« verarbeitet, das vergangene Woche erschienen ist. Sehr eindrucksvoll gelang das schon auf der ersten Single-Auskopplung des Albums, »Working for the Knife«, die im Oktober vergangenen Jahres erschien. Der Song war der erste, den Mitski nach ihrem bislang letzten Konzert schrieb. »I start the day high and it ends so low / ’Cause I’m working for the knife«, schmettert sie da. Das Messer ist dabei vermutlich als Metapher für die US-amerikanische hustle culture zu verstehen, bei der die Arbeit die zentrale Rolle im Leben einnimmt. Die Erlebnisse der 1990 geborenen Mitski im Musik-Business stehen dabei symbolisch für die Erfahrungen vieler anderer Millennials, die bis zum Burn-out schuften. Schon auf ihren vergan­genen Alben beschrieb sie ihre komplexe Beziehung zur Musik mit metaphorischen Texten, bei »Working for the Knife« gelingt ihr das jedoch eindringlicher als zuvor.

Trotz des ernsten Hintergrunds kommt »Laurel Hell« deutlich pop­piger und elektronischer als die Vorgänger daher. Das mag daran liegen, dass sich Mitski von Abba inspirieren ließ, wie ihr langjähriger musikalischen Partner und Produzenten Patrick Hyland dem Crack Magazine sagte. Mitski kennt Hyland bereits seit ihrem Studium an einem Musikkonservatorium. Wie auf den Vorgängeralben produziert das Duo seinen ganz eigenen Popentwurf. Das Album ist das Werk zweier Musiknerds, Mitskis Kompositionen sind opulent, oftmals sogar kathartisch.

So klingt auch der Opener »Valentine, Texas«, der an frühere Balladen Mitskis erinnert. Über einem treibend-minimalistischen Klangteppich fordert sie ihr love interest auf: »Let’s step carefully into the dark«. Anschließend lösen sich die pulsierenden Synthesizer in ein beinahe hymnisches Orgel-Arrangement auf. In »Heat Lightning« hingegen singt Mitski im Stil des crooning über schlaflose Nächte. Dabei erinnert die psychedelisch anmutende Melodie zunächst an »Venus in Furs« von The Velvet Underground, später an Songs von Prince.

Der Song des Albums mit dem größten Tiktok-Potential ist »Stay Soft«, ein erstklassiger Popsong, der mit treibenden Bässen und verspielten Synthies aufwartet. Dabei unterfüttert Mitski den ernsten Text mit einer heiteren Melodie. Ähnlich schwungvoll ist »Should’ve Been Me«, auch wenn hier eine gescheiterte ­Beziehung inklusive Fremdgehen thematisiert wird. »I haven’t given you what you need / You wanted me but couldn’t reach me«, singt Mitski, dazu ertönt eine beschwingte Basslinie, die tatsächlich Erinnerungen an Abbas »Arrival«-Ära weckt. Beim »That’s Our Lamp«, dem letzten Song des Albums, schaut Mitski in das Zimmerfenster eines ehemaligen Lovers und schwelgt dabei in Erinnerungen. Auch wenn das Sujet ­genauso gut für eine Ballade getaugt hätte, entschied sich Mitski für eine lockere Uptempo-Nummer, die das Album beinahe im Stil eines Chanson ausklingen lässt.

Der neue, optimistischere Sound kontrastiert mit Mitskis bisherigem Schaffen. Im Interview mit dem Crack Magazine kündigte sie scherzhaft an, dass ihre von Fans vielbeschworene »sad girl«-Ära der Vergangenheit angehöre. Auch das wurde heftigst diskutiert. Zwar hatte Mitski auch bislang nicht ausschließlich traurige Musik gemacht, viele Fans aber sahen in Mitskis Liedern ihren je eigenen Herzschmerz ausgedrückt. Im Vergleich zu ihren vorherigen Alben, auf denen sie häufig in melancholisch-dramatischen Songs uner­widerte Liebe oder unterdrückte Gefühle thematisierte, klingt »Laurel Hell« tatsächlich um einiges fröhlicher. Das liegt aber viel mehr am Sound als an den Texten, die ihre gewohnte Intensität beibehalten haben. Während die Künstlerin das Vorgängeralbum »Be the Cowboy« im Interview als »Hilfeschrei« bezeichnete, wirkt »Laurel Hell« eher wie eine Art Selbsttherapie.

Mit »Laurel Hell« etabliert sich Mitski als Anti-Popstar. Während sich viele ihrer Kolleginnen bei einem solchen Erfolg auf Tiktok wohl die Finger geleckt und Songs eigens für die Plattform komponiert hätten, widersetzt sich die Künstlerin den ­hohen Erwartungen und macht stattdessen ihr eigenes Ding. »Laurel Hell« ist ein wunderbar unkonventionelles Popalbum. Auch wenn sich die Songs an den großen Gesten der siebziger und auch achtziger Jahre orientieren, erweitert Mitski ihren eigenen, präzedenzlosen Sound. Bleibt nur zu hoffen, dass die Musikerin ihre neugewonnene Freude am Musikmachen trotz des bald erneut beginnenden Veröffentlichungs- und Tourneewahnsinns nicht verliert.

Mitski: Laurel Hell (Dead Oceans)