Repression gegen kubanische Dissidenten

Klima der Einschüchterung

In Kuba stehen Dutzende Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ­regierungskritischen Proteste vom 11. Juli 2021 vor Gericht. Die ­geforderten Haftstrafen sind enorm hoch.

Rund um das Bezirksgericht von Diez de Octubre in Havanna war am Montag vergangener Woche keine Verbindung zum Internet möglich. Die Behörden hatten den Zugang blockiert, die Polizei sicherte das Gebäude ab und nahm Demonstrierende im nahegelegenen Park Juan Delgado fest. Diese hatten »sofortige Freilassung« und »Freispruch« für die Angeklagten gefordert. Am 31. Januar hat in dem Bezirksbericht der Prozess gegen 33 Personen, dar­unter sechs Minderjährige, wegen »Aufruhrs« begonnen. Sie werden als die »Protestierenden von Toyo« bezeichnet, »Toyo« heißt die Bäckerei im Bezirk Diez de Octubre, vor der es am 11. Juli 2021 zu Zusammenstößen zwischen Regierungsanhängern und Dis­sidenten gekommen war. An diesem Tag hatten Tausende Menschen in Kuba für mehr politische und ökonomische Freiheit demonstriert, der NGO Cubalex zufolge wurden in der Folge 1 377 Menschen festgenommen.

In den Prozessen würden inter­nationale Mindest­anforderungen verletzt sowie Grundrechte wie die freie Meinungsäußerung und das Versammlungsrecht negiert, so Juan Pappier von Human Rights Watch.

Unter den damals Festgenommen befanden sich mehrere bekannte Dissidentinnen wie die Kunsthistorikerin Carolina Barrero und Daniela Rojo, die ehemalige Moderatorin der oppositionellen Facebook-Gruppe »Archipiélago«. Für Rojo fordert die Staatsanwaltschaft fünf Jahre Haft. »In meinem Fall sind es fünf Jahre, weil ich friedlich am 11. Juli demonstriert habe«, so Rojo auf ihrer Facebook-Seite. Dabei erkennt Kubas Verfassung das Demonstrationsrecht und das Recht auf freie Meinungsäußerung als Grundrechte an.

Die ersten Prozesse gegen Demonstrierende vom 11. Juli gab es bereits im vergangenen Jahr. »Aufruhr« ist eines der Delikte, die ihnen oft zur Last gelegt werden, bis zu 30 Jahre Haft fordert die Staatsanwaltschaft dafür; so etwa in Holguín, wo seit Mitte Januar 21 Angeklagte vor Gericht stehen, darunter vier Minderjährige. Weitere Prozesse finden derzeit auch in Santa Clara und der Provinz Mayabeque statt. Insgesamt sind laut kubanischer Generalstaatsanwaltschaft gegen 790 Personen Verfahren eingeleitet worden. Die Prozesse in Holguín, Havanna, Santa Clara und Mayabeque, bei denen unter anderem 14 Jugendliche unter 18 Jahren vor Gericht stehen, sollen der kubanischen Justiz zufolge international gültigen Maßstäben genügen.

Doch genau das bestreiten kubanische Organisationen wie Justicia 11J, eine Hilfsorganisation für die Familien der Inhaftierten, die versucht, die Prozesse zu beobachten und zu begleiten. Justicia 11J arbeitet wiederum eng mit Cubalex zusammen, einer juristischen Beratungsorganisation, die von den USA aus tätig ist und in Kuba gegründet worden war. Die NGO, die auch US-Regierungsgelder erhält und engen Kontakt zu den Angehörigen der Inhaftierten auf Kuba hält, legte nach dem 11. Juli Listen der Verhafteten an, die sich mittlerweile als korrekt erwiesen haben.

Am 25. Januar veröffentlichten kubanische Justizstellen, nachdem nationale und internationale Menschenrechts­organisationen dies monatelang gefordert hatten, erstmals konkrete Zahlen. Demnach sind 710 Personen angeklagt, 55 davon sind zwischen 16 und 18 Jahre alt. 69 Prozent der Angeklagten seien in Untersuchungshaft, 172 Angeklagte bereits verurteilt. Weitere 27 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Proteste seien jünger als 16 Jahre und daher gemäß kubanischem Recht nicht mit Haftstrafen belegbar. Von ihnen seien zehn in Erziehungsinternate gekommen, 17 erhielten Individualunterricht.

Justicia 11J kritisiert, dass die Prozesse bisher allesamt nicht öffentlich stattgefunden hätten, obwohl die kubanischen Gesetze das eigentlich vorsehen. Obendrein wurde in den offiziellen Medien bis Ende Januar nicht über die Prozesse berichtet. Hinzu kommen Vorwürfe, dass Beweise fabriziert worden und die geforderten Haftstrafen unverhältnismäßig hoch seien.

Bereits im Oktober 2021 monierte Human Rights Watch (HRW) in einem Bericht willkürliche Verhaftungen, unzumutbare Haftbedingungen sowie Scheinprozesse. Am 27. Januar äußerte sich Juan Pappier, Senior Americas Researcher bei HRW, erneut deutlich: »Nur wenige Male in der jüngeren Geschichte Lateinamerikas waren wir Zeugen einer derart massiven und systematischen Kriminalisierung friedlicher Proteste, wie sie derzeit in Kuba vonstatten geht.« In den Prozessen würden internationale Mindestanforderungen verletzt sowie Grundrechte wie die freie Meinungsäußerung und das Versammlungsrecht negiert. Zudem fehle den Gerichten die Unabhängigkeit, kritisierte Pappier. All das schaffe ein Klima der Einschüchterung.

Die kubanische Regierung bestreitet dies kategorisch. In Kuba sind Jugendliche ab 16 Jahren bedingt strafmündig; voll strafmündig sind sie erst ab 18, in einigen Fällen ab 21 Jahren. Die Tatsache, dass 15jährige festgenommen und über Monate inhaftiert wurden, kritisiert Laritza Diversent, die Direktorin von Cubalex: »Das widerspricht den UN-Standards.« Diese Praxis hat im November auch zu einer offiziellen Anfrage von Unicef geführt, ob Kinder inhaftiert seien. Diversent weist zudem darauf hin, dass die Behörden die Gesetze selektiv anwenden und Straf­taten von Uniformierten bei den Protesten nicht geahndet würden. So zum Beispiel die Tötung von Diubis Laurencio Tejeda, dem Polizisten nach Angaben der NGO Observatorio Cubano de Derechos Humanos (Kubanische ­Menschenrechtsbeobachtungsstelle, OCDH) am 12. Juli 2021 in den Rücken geschossen hätten. Sein Tod sei nicht untersucht worden, moniert HRW. Amnesty International hatte sechs bekannte Oppositionelle, die am 11. Juli 2021 festgenommen worden waren, 2021 als »Gewissensgefangene« eingeordnet, darunter José Daniel Ferrer García, den Sprecher der oppositionellen Gruppe Patriotische Union Kubas, und Luis Manuel Otero Alcántara, den Koordinator der Künstlerbewegung San Isidro. Letzterer befindet sich seit Mitte Januar erneut im Hungerstreik, um seine Freilassung oder zumindest eine offizielle Anklageerhebung zu erzwingen.
Für den 11. Februar haben die Gerichte in Holguín, Havanna, Santa Clara und Mayabeque ihre Urteile angekündigt. Salomé García von Justicia 11J erwartet drakonische Strafen.