Rassisten mit Uniform und Schlauchtuch

Wie eine Sekte

Jüngst im Internet veröffentlichte interne Dokumente und Chatverläufe der US-amerikanischen Nazi-Gruppe Patriot Front bieten Einblick in eine straff geführte, autoritäre Organisation.

Die linke Nachrichtenwebsite Unicorn Riot bewies gutes Timing, als sie 400 Gigabyte vertraulicher Daten der US-amerikanischen Neonazi-Gruppe Patriot Front veröffentlichte. Am 21. Januar nahm die Patriot Front an dem jährlich stattfindenden »March for Life« teil, ­einer Demonstration von Abtreibungsgegnern in Washington, D.C. Ein im Internet veröffentlichtes Video zeigt, wie eine Gegendemonstrantin den Patriot-Front-Mitgliedern – wie immer gekleidet in Uniform samt Gesichtsvermummung – genüsslich mitteilte, dass die internen Chats der Gruppe gerade im Internet veröffentlicht worden seien. Chatverläufe, Privatnachrichten, Fotos und Videos, auf denen die Gesichter der sonst stets uniformiert und ­vermummt auftretenden Mitglieder zu sehen sind – die riesige Datensammlung bietet einen tiefen Einblick in die verschwiegene Organisation.

Jedes neue Mitglied erhält einen Decknamen und muss sich die Uniform sowie ein Schlauchtuch zur Vermummung besorgen.

In den vergangenen vier Jahren ist die Gruppe mit etlichen Vandalismus- und Propagandaaktionen aufgefallen. 2020 gingen 80 Prozent der Fälle rechtsextremer Propaganda, die von der ­Anti-Defamation League (ADL) gezählt wurden, auf das Konto der Patriot Front. Die Gruppe verbreitet Aufkleber und hängt Transparente mit rassistischen Botschaften von Autobahnbrücken. Regelmäßig beschädigt sie aber auch antirassistische oder linke Mauerbilder und Mahnmale. Im vergangenen Jahr besprühten mutmaßlich Mitglieder der Patriot Front unter anderem eine George-Floyd-Statue in New York City mit rassistischen Botschaften und dem Logo der Gruppe.

Die Patriot Front wurde 2017 von dem aus Texas stammenden Thomas Rousseau gegründet. Der damals 19jährige war führendes Mitglied der Neonazi-Gruppe Vanguard America, die den »Unite the Right«-Aufmarsch in Charlottesville 2017 mitorganisiert hatte. James Fields, der damals die Gegendemonstrantin Heather Heyer mit seinem Auto überfuhr und tötete, war mit Vanguard America gemeinsam marschiert. Anschließend gründete Rousseau die Patriot Front, wobei er zunächst die alte Website von Vanguard America weiternutzte; ihm folgten zahlreiche Mitglieder von Vanguard America. Die Gruppe hängt einem ­expliziten völkischen Rassismus an: Wer nicht weißer, europäischer Abstammung ist, sei kein US-Amerikaner. Die weißen US-Amerikaner müssten sich gegen den »drohenden Austausch und Versklavung« wehren, dafür müsse die Demokratie überwunden werden, heißt es in einem Manifest der Gruppe.

Die von Unicorn Riot veröffentlichten internen Daten zeichnen das Bild einer extrem zentralisierten, fast sektenartigen Organisation. Aus den internen Nachrichten lässt sich entnehmen, dass die Gruppe nur knapp 230 Mitglieder hat. Sie stehen unter der strengen Herrschaft des autoritären Anführers Thomas Rousseau. Jedes neue Mitglied erhält einen Decknamen und muss sich die Uniform sowie ein Schlauchtuch zur Vermummung besorgen. Die Uniformen müssen dann mit Annähern versehen werden, die bei der Organisation gekauft werden müssen. Jede Woche müssen sich die Mitglieder persönliche »Aktivismus«-Ziele setzen – wie etwa das Anbringen von Stickern und Plakaten. Auch diese müssen sie von der Patriot Front kaufen. Hat man sie aufgehängt, muss man einen photographischen Beweis hochladen.

Die Führung mischt sich auch ins Privatleben der Mitglieder ein. Zum Beispiel teilte im November ein Mitglied aus Texas mit, im Dezember wegen seiner Arbeit nicht zu einem Aufmarsch in Washington, D.C., kommen zu können – die US-amerikanische Hauptstadt ist 1 900 Kilometer von der ­texanischen Grenze entfernt. Rousseau antwortete, die Abwesenheit werfe »ein schlechtes Licht auf dein Engagement im Allgemeinen«. Er solle lieber seine Stelle aufgeben – und sowieso endlich Gewicht verlieren und seinen Lebensstil ändern.

In einem Fall kopierte ein sogenannter Network Director – ein regionaler Anführer, der nur Rousseau untersteht – aus dem privaten Handy eines Mitglieds den Verlauf eines Chats mit dessen Freundin und leitete ihn an Rousseau weiter. Dieser kommentierte, die Chat-Nachrichten seien »ekelhaft«, weil »die verwendete Sprache juvenil und schnulzig« gewesen sei. Ein anderer Network Director beklagte sich bei Rousseau, ein Untergeordneter sei faul geworden und verbringe seine Zeit lieber mit seiner Freundin als mit Aktivismus. Ein dritter Network Director stellte ein Mitglied vor die Wahl: die Patriot Front oder die Freundin, »die dich kontrolliert, entmännlicht und dich peinlich dastehen lässt«.

Regelmäßig organisiert die Patriot Front genau einstudierte, öffentlich nicht angekündigte Demonstrationen, zuletzt am 6. Dezember in Washington, D.C., in der Nähe des Weißen Hauses. Gegendemonstrantinnen gab es kaum, nur überraschte Touristen. Bei den Demonstrationen der Patriot Front marschieren bis zu 200 maskierte, uniformierte Männer mit Fahnen und Schutzschildern gewappnet hinter ihrem Führer und skandieren von ihm vorgegebene Parolen wie »Reclaim America!« (Amerika zurückerobern) oder »Life, liberty, victory!« (Leben, Freiheit, Sieg). Anschließend hält oft Rousseau – als einziger unmaskiert, mit Cowboyhut und Megaphon – eine weitschweifige Rede. Auch an Antiabtreibungsdemonstrationen nimmt die Gruppe teil; dort jedoch solle man versuchen, bewusst »unaufdringlich, freundlich« aufzutreten, wie Rousseau seine Anhänger in internen Nachrichten anwies.

An der Patriot Front scheiden sich in der extremen Rechten die Geister. Sie ist eng mit der 2020 gegründeten neonazistischen National Justice Party verbunden sowie dem nach Europa ausgewanderten Robert Rundo, dem Mitgründer des südkalifornischen »Rise Above Movement«. Bei diesem handelt es sich um eine rechtsextreme Kampf­sportgruppe, einige ihrer Mitglieder wurden wiederholt wegen Gewalttaten bei politischen Demonstrationen angeklagt, so auch bei der »Unite the Right«-Demonstration. Rundo soll sich derzeit in Serbien aufhalten, wie das investigative Recherchenetzwerk Bellingcat im Dezember berichtete. Seine Medienorganisation namens »Media2Rise« hatte einen Propagandafilm über die Patriot Front veröffentlicht.

Andere begegnen der Patriot Front mit Misstrauen. Die rechtskonservative Website Gateway Pundit etwa argumentierte in einem Beitrag, Polizisten würden oft illegale Handlungen der Patriot Front ignorieren; das beweise, dass die Behörden eine schützende Hand über die Organisation hielten. Manche Rechtsextreme hegen den Verdacht, die Gruppe werde vom FBI gesteuert. Der rechtsextreme Videostreamer Nick Fuentes sagte in einem Video Mitte Januar, dass der Patriot Front »nicht vertraut werden kann«.

Nach der Veröffentlichung der Leaks gab es weitere Kritik aus rechtsex­tremen Kreisen. Chris »The Hammer« Pohlhaus, ein ehemaliger US-Marine und bekannter Nazi-Podcaster, sagte ein paar Tage nach dem Leak: »Ich hoffe, man hört auf, (…) die Patriot Front zu unterstützen.« Und die Website American Futurist verlautbarte unverblümt: »Thomas (Rousseau, Anm. d. Red.) ist ein Missbrauch treibender Sekten­führer.«