An der Außen- und Bergbaupolitik der bolivianischen Regierung gibt es viel Kritik

Toxisch wie Quecksilber

Die Haltung der bolivianischen Regierung im Ukraine-Krieg sorgt für Kritik. Umweltschützer sorgen sich zudem um den von Bergbau bedrohten Nationalpark Madidi und Menschenrechtler um die Unabhängigkeit der Justiz im Prozess gegen die ehemalige Interimspräsidentin Jeanine Áñez.

Die Kritik von Tamara Taraciuk, der Lateinamerika-Direktorin von Human Rights Watch, war deutlich. »Bolivien, Kuba und Venezuela haben sich entschieden wegzuschauen, während Zivilisten in der Ukraine willkürlichen Angriffen ausgesetzt sind«, kommentierte sie die Enthaltung der drei Länder bei der Abstimmung zur Resolution im UN-Menschenrechtsrat. Die Verurteilung des russischen Angriffskriegs wurde mit 32 Stimmen, 13 Enthaltungen und zwei Gegenstimmen angenommen und beinhaltet die Gründung einer Kommission, die Kriegsverbrechen in der Ukraine untersuchen soll. Boliviens UN-Botschafter Diego Pary verteidigte die Haltung Boliviens gegenüber der regierungsnahen Tageszeitung La Razón als »konsequent«: »Der einzige Weg aus dem kriegerischen Konflikt ist der friedliche Weg durch Verhandlungen und internationale Vermittlung.« Von Beginn an habe Bolivien alle Invasionen verurteilt und das Grundproblem sei »das Expansionsinteresse der Nato«, so Pary. Mit dieser Aussage folgte er weitgehend der russischen Position, Pary bekräftigte jedoch, dass man sich auf keine Seite stellen wolle und neutral bleibe.

»Rund um den Nationalpark Madidi und mittlerweile auch in dessen Randgebieten hat sich der Goldabbau breitgemacht.« Marco Gandarillas, NGO Bank Information Center

Der ehemalige Präsident Carlos Mesa (2003–2005), der bei den Präsidentschaftswahlen 2020 dem jetzigen Präsidenten Luis Arce vom Movimiento al Socialismo (Bewegung zum Sozialismus, MAS) unterlag, kritisierte die Haltung der Regierung Arce auf Twitter als »empörend«: »Der MAS verletzt die nationale Verfassung, die Werte der demokratischen Welt und verrät die Entscheidung der Bolivianer für den Frieden und die Souveränität der Nationen.« Derartige Kritik ist von der politischen Opposition des Landes immer wieder zu hören, auch von Samuel Doria Medina, dem Vorsitzenden der oppositionellen linksliberalen Front der Nationalen Einheit. Er weist auf die Konflikte innerhalb des MAS hin, in dem sich das Lager der ­Regierung Arce und das der Anhänger des ehemaligen Präsidenten Evo Morales gegenüberstehen. Der MAS habe keine einvernehmliche Position zur Ukraine. »Bolivien hinterlässt einen schlechten Eindruck. Es ist an der Zeit, die Invasion entschieden und mit einer Stimme zu verurteilen«, so der Politiker und Unternehmer Medina.

Die Front der Nationalen Einheit wirft der Regierung vor, mehr für die eigene Klientel zu sorgen als für das Land. Dafür gebe es mehrere Beispiele, so der Soziologe Marco Gandarillas. Der Analyst arbeitet für das Bank Information Center, einer menschenrechtsorientierten NGO mit Sitz in Washington, D.C., und verweist auf die Konflikte um den Nationalpark Madidi. Der rund 200 Kilometer nordwestlich von La Paz gelegene Nationalpark ist bekannt für seine Artenvielfalt und erstreckt sich auf einer Fläche von fast 19 000 Quadratkilometern; der tiefste Punkt liegt 180 Meter über dem Meeresspiegel, der höchste 5 760 Meter – weltweit einzigartig. »Doch rund um den Park und mittlerweile auch in dessen Randgebieten hat sich der Goldabbau breitgemacht«, so Gandarillas. Bilder von Parkwächtern, die untätig mit­ansehen müssen, wie schweres Gerät in den Park transportiert wird, kursieren in den sozialen Netzen. Bulldozer, die Bäume umlegten, sorgten für Proteste von Umweltschützern wie Alex Villca, dem Sprecher der Nationalen Koordination zur Verteidigung indigener Territorien (Contiocap). Die Proteste seien erfolglos gewesen, denn die Bergbauunternehmen seien nicht illegal eingedrungen, so Gandarillas. »Es wurden Konzessionen von den Behörden vergeben, da viele Unternehmen exzellente politische Kontakte haben«, meint er. In Bolivien nichts Neues, zu den Anhängern des MAS gehören auch etliche Bergbaugenossenschaften, die Edelmetalle fördern; darunter Silber wie in Potosí, wo seit über 500 Jahren rund um den Berg Cerro Rico gefördert wird, aber vermehrt auch Gold, vor allem in den Amazonasregionen des Landes.

Das hat immense negative Folgen, denn das Gold wird mit Hilfe von hochtoxischem Quecksilber vom Gestein getrennt. Quecksilber verdunstet schon bei Raumtemperatur, mit dem Regen gelangt das Schwermetall in Flüsse und Böden, die kontaminiert werden. Indigene Bevölkerungsgruppen, die in der Region leben, klagen über Gesundheitsprobleme und die Verseuchung des Wassers. Das belegt auch eine Studie des Dokumentations- und Informationszentrums Bolivien (Cedib) aus Cochabamba, in der moniert wird, dass der Kauf und Verkauf von Quecksilber in Bolivien nicht reguliert werde. Demnach wurden zwischen 2015 und 2019 nicht weniger als 990 Tonnen nach Bolivien importiert. Das Land ist weltweit der zweitwichtigste Importeur des giftigen Schwermetalls, worauf auch der UN-Berichterstatter für toxische Sub­stanzen und Menschenrechte, Marcos Orellana, im Dezember 2021 aufmerksam machte. Orellana warnte vor den katastrophalen Folgen des Quecksilbereinsatzes für indigene Bevölkerungsgruppen. Er kritisierte die hohen Quecksilberimporte und wies darauf hin, dass das Land als Ausgangspunkt für den Schmuggel des flüssigen Schwermetalls in der Region fungiere. Dabei ist Bolivien 2015 dem völkerrechtlichen Minamata-Übereinkommen von 2013 beigetreten, das die Emissionen und Freisetzungen von Quecksilber eindämmen soll.

Gefruchtet hatte die Kritik an dieser Art Bergbau nicht, obwohl auch in der peruanischen Amazonasregion von Madre de Dios Quecksilber bereits in der Nahrungskette gefunden wurde und Fisch dort nicht mehr konsumierbar ist. Das könnte sich nun am und im Nationalpark Madidi wiederholen, wo Schwimmbagger in großer Zahl auf den Flüssen unterwegs sind und goldhaltige Sedimente vom Grund saugen. »Der Staat, der die Einhaltung der Gesetze kontrollieren soll, unterläuft sie. Er verstößt gegen öffentliche Interessen, wozu der Naturschutz gehört«, kritisiert Gandarillas.

Dass Gesetze nicht eingehalten und öffentliche Interessen nicht beachtet werden, trifft auch auf den Prozess gegen Jeanine Áñez zu, die nach dem Mi­litärputsch gegen Evo Morales 2019 an die Macht kam. Mitte Februar sollte der als golpe II (Putsch II) bezeichnete Prozess gegen die ehemalige Übergangspräsidentin Áñez stattfinden, wurde jedoch erneut vertagt. Seit März 2021 sitzt die Politikerin in Untersuchungshaft. Ermittlungen laufen in sieben Fällen gegen Áñez, in deren Amtszeit Militär und Polizei scharf auf Demonstrierende schossen; 37 Tote waren die Folge. Die Justiz soll nun klären, ob sie sich im November 2019 widerrechtlich zur Interimspräsidentin ernannt hatte. Das könnte eine zwölfjäh­rige Haft nach sich ziehen. Doch wegen Verfahrensfehlern, darunter eine vorgesehene virtuelle Verhandlung statt der vorgeschriebenen in Präsenz, wurde der Prozess erneut verschoben. Human Rights Watch kritisiert, dass der Prozess und die Anklage schlecht mit Beweisen abgesichert seien. Unstrittig bleibt dabei, dass Áñez in Ihrer Amtszeit für schwere Menschenrechtsverletzungen zumindest mitverantwortlich war. Aber die Justiz folge politischen Interessen, sei instrumentalisiert, so die Kritik der Organisation – also ein Beispiel für die fehlende Unabhängigkeit der Justiz in Bolivien.