Südkoreas designierter Präsident ist der antifeministische Wirtschaftsliberale Yoon Suk-yeol

Auf Moon folgt Yoon

Die Präsidentschaftswahl in Südkorea am 9. März hat der konservative Oppositionskandidat Yoon Suk-yeol gewonnen. Der Antifeminist steht für wirtschaftlichen Liberalismus, eine stärkere Anbindung an die USA und eine freundlichere Politik gegenüber Japan.

Der Straßenwahlkampf für die Präsidentschaftswahl in Südkorea am 9. März fiel insgesamt zurückhaltend aus, was an den rasant steigenden Covid-19-Fallzahlen lag. Wahlkampfteams der konservativen Partei Gungminui-him (Macht der Staatsbürger) in roten Jacken und die der sozialliberalen Deobureo-minju-dang (Gemeinsame Demokratische Partei, auch Minju-Partei) in blauen ­Jacken waren aber gelegentlich an Kreuzungen und in Metroeingängen zu ­sehen, wo sie Reden hielten oder Tanzchoreographien zu koreanischen Schlagern aufführten. Im Internet begegnete einem die mit künstlicher ­Intelligenz programmierte Deepfake-Version des konservativen Präsidentschaftskandidaten Yoon Suk-yeol, die man dann beispielsweise zu seiner präferierten K-Pop-Band befragen konnte.

Der noch amtierende Präsident Moon Jae-in von der Minju-Partei durfte nach seiner fünfjährigen Amtszeit nicht erneut antreten. Um seine Nachfolge lieferten sich sein Parteikollege Lee Jae-myung und Yoon ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das Letzterer mit 48,56 Prozent der Stimmen knapp für sich entscheiden konnte. Lee kam auf 47,83 Prozent. 2,37 Prozent der Stimmen ent­fielen auf die bereits 2017 angetretene Kandidatin Sim Sang-jung von der sozialdemokratischen Gerechtigkeitspartei. Der wirtschaftsliberale Kandidat Ahn Cheol-soo hatte eine Woche vor der Wahl seine Kandidatur aufgegeben und Yoon unterstützt. Wegen des vorherrschenden Zweiparteiensystems war erwartbar, dass nur Yoon oder Lee gewinnen könnte, doch zwischen den beiden blieb es bis zum Schluss knapp.

Yoon hatte gefordert, die gesetzliche Begrenzung der Arbeitszeit auf 52 Stunden pro Woche zugunsten größerer Flexibilität bei den Höchst­arbeitszeiten pro Tag aufzuweichen.

Beiden Kandidaten hatten die Koreanerinnen und Koreaner Spitznamen verpasst. Yoon ist der »Fahranfänger«, da er als politisch unerfahren gilt. Hinsichtlich der Politik gegenüber China, zu dem Südkorea enge wirtschaftliche ­Beziehungen unterhält, beschuldigte er die Regierung des scheidenden Präsidenten Moon, »chinesischen wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen auf Kosten ihrer eigenen Sicherheitsinteressen erlegen zu sein«, und forderte, die Außenpolitik Südkoreas enger an Japan und den USA auszurichten. Auch gegen Nordkorea will er einen härteren Kurs einschlagen. Yoon wird vorgeworfen, als Generalstaatsanwalt vor den Parlamentswahlen 2020 politisch motivierte Verfahren gegen Politiker der Minju-Partei angestrengt zu haben. Er erklärte, Feminismus könne zur Gefahr für die Beziehungen zwischen Frauen und Männern werden. Außerdem will er das Gleichstellungsministerium abschaffen, da es sich zu sehr auf die Rechte der Frauen konzentriere und nicht mehr notwendig sei.

Lees Spitzname ist »Trunkenheitsfahrer«, da er sich wegen Trunkenheit im Straßenverkehr strafbar gemacht hat. Als früherer Bürgermeister Seongnams steht er zudem unter dem Verdacht, in einen Korruptionsskandal um ein privates Bauentwicklungsprojekt mit öffentlicher Beteiligung verwickelt zu sein.

Lee litt unter der mangelnden Zustimmung für Präsident Moon, die in Umfragen zuletzt bei nur 29 Prozent lag. Obwohl Moons Regierung gegen Korruption vorgehen wollte, verwickelte sie sich in mehrere Korruptionsskandale. Die pazifistischen Ziele der Minju-Partei, die auch eine Reduzierung US-amerikanischer Truppen in Südkorea beinhalteten, erhielten angesichts der russischen Invasion in der Ukraine und der weltweiten Aufrüstungstendenz zuletzt weniger Zuspruch.

Die Sozialdemokratin Sim setzt sich seit Jahrzehnten für die Rechte von ­Arbeiterinnen und Arbeitern ein und wurde von der koreanischen Gewerkschaftsunion KCTU unterstützt. 1985 war sie von dem Militärregime der Fünften Republik auf eine Meistgesuchtenliste gesetzt worden, nachdem sie mit anderen Arbeiterinnen und ­Arbeitern Streiks organisiert hatte. Sie war die einzige Präsidentschaftskan­didatin, die weitreichende feministische Positionen vertrat und die vollständige Gleichberechtigung von Homosexuellen forderte. Zudem war es ihr erklärtes Ziel, gegen die Macht der sogenannten Jaebeols, der koreanischen Industriekonglomerate wie Hyundai, Samsung und LG, vorzugehen, die beträchtlichen politischen Einfluss haben.

Neben der permanent relevanten Frage der Sicherheit auf der koreanischen Halbinsel waren bei der Wahl vor allem soziale Themen entscheidend. Yoon hatte gefordert, die gesetzliche Begrenzung der Arbeitszeit auf 52 Stunden pro Woche zugunsten größerer Flexibilität bei den Höchstarbeitszeiten pro Tag aufzuweichen. Gleichzeitig sprach er sich unter Verweis auf Milton Friedman für eine Deregulierung von Qualitätsstandards bei Lebensmitteln aus. »Arme Menschen sollten Lebensmittel auswählen dürfen, die unter bestimmten Qualitätsstandards liegen, um günstiger essen zu können«, so Yoon. Solche extrem wirtschaftsliberalen Positionen finden teilweise Anklang in der leistungsorientierten koreanischen Gesellschaft, in der viele die regierende Minju-Partei vor allem wegen möglicher Steuererhöhungen fürchten.

Auch wenn Südkorea bisher dank rigoroser Schutzmaßnahmen mit relativ geringen Fallzahlen durch die Covid-19-Pandemie gekommen ist, hat sich der Druck auf dem Arbeitsmarkt erhöht. Die Arbeitslosigkeit stieg im vergangenen Jahr vorübergehend auf über fünf Prozent, was für koreanische Verhältnisse viel ist. Einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2018 zufolge sind nur etwa die Hälfte der Beschäftigten gegen Arbeitslosigkeit versichert, was vor allem daran liegt, dass mindestens jeder vierte Arbeitsplatz in einer Form der Selbständigkeit ohne Einbindung in soziale Sicherheitssysteme ausgeübt wird. Zugleich steigen die Wohnkosten in der Metropolregion rund um die Hauptstadt Seoul, in der fast die Hälfte der Bevölkerung lebt, rasant.

Obwohl die wirtschaftliche Ungleichheit in Südkorea geringer ist als zum Beispiel in Deutschland, treten Klassenunterschiede deutlich zutage. Angesichts einer Höchstarbeitszeit von 52 Stunden in der Woche und nur 15 gesetzlichen Urlaubstagen im Jahr bezeichnen sich koreanische Arbeiterinnen und Arbeiter in Anlehnung an ein bis ins 20. Jahrhundert währendes System von Sklaverei häufig als nobi. Der in seiner Partei relativ weit links stehende Lee versuchte dem im Wahlkampf mit teils populistischen Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen und einem Grundrecht auf Wohnen zu begegnen.

In nicht allzu ferner Zukunft dürfte jedoch ein anderes Problem beherrschend werden: Mit einer Geburtenrate von 0,81 Kindern pro Frau hat Südkorea die niedrigste Geburtenrate weltweit, die Bevölkerung schrumpft. Während Yoon dafür die feministische Bewegung verantwortlich macht, sind die Gründe wohl eher in fehlenden Möglichkeiten für Eltern, insbesondere Mütter, Arbeit und Kindererziehung zu vereinbaren, sowie der konkurrenz­orientierten Leistungsgesellschaft zu suchen. Viele junge Menschen möchten keine Kinder bekommen, die sie dem aussetzen müssten, insbesondere nicht, wenn sie befürchten, sich deren private Zusatzbildung nicht leisten zu können. Ohne kommerzielle Nachhilfe haben Schülerinnen und Schüler in Südkorea kaum Chancen, eine Abschlussnote zu erreichen, die für den Eintritt in die anerkannten Universitäten gut genug ist. Auf diese Probleme hatte weder Yoon noch Lee eine vielversprechende Antwort. Der demographische Trend wird sich vermutlich auf ab­sehbare Zeit fortsetzen und die Altersarmut zunehmen.