Die Haltung russischer Rechtsextremer zum Angriffskrieg gegen die Ukraine

Nazis für Großrussland

Viele russische Rechtsextremisten unterstützen die russische Invasion der Ukraine. Manche jedoch rufen jedoch dazu auf, auf der ukrainischen Seite gegen die russische Armee zu kämpfen.

In seiner am 24. Februar im russischen Fernsehen ausgestrahlten Rede, in der der russische Präsident Wladimir Putin die Invasion der Ukraine rechtfertigte, warnte er vor den »extremen Nationalisten und Neonazis«, die in der Ukraine von den Nato-Staaten gefördert und »offen Anspruch auf verschiedene russische Gebiete stellen« würden. Um die Russen auf der Krim, im ostukrainischen Donbass, aber auch in Russland vor diesen sie bedrohenden »Mördern« zu schützen, sei es nötig, die Ukraine zu »entnazifizieren«. Das ist einer der zentralen Kriegsgründe, die die russische Regierungspropaganda anführt.

Tatsächlich basiert Putins Begründung für den Krieg selbst auf großrussischem Nationalismus, der viele Bewohner der Ukrainer implizit zu Russen erklärt. Es gehe schließlich, sagte Putin in seiner Fernsehansprache, »um Territorien, die historisch unsere gewesen sind, wie ich betonen will«.

Der als Nationalbolschewist bekannte Aleksandr Matjuschin kämpfte schon früher im Donbass »gegen den ukrainischen nazistischen Staat«.

Bereits 2014 rechtfertigte die russische Regierung ihre bewaffnete Intervention in der Ukraine einerseits mit antifaschistischer Rhetorik (die bei einigen Linken in Europa auf offene Ohren stieß), andererseits aber mit Appellen an den russischen Nationalismus. Viele der russischen Freiwilligen oder Söldner, die in der Ostukraine gegen die »Faschisten« kämpften, die der russischen Propaganda zufolge in Kiew die Macht übernommen hatten, waren selbst radikale Nationalisten oder schlicht Neonazis.

Einer von ihnen soll am 5. März in der Ostukraine im Kampf gefallen sein, wie russische Medien berichteten. Wladimir Schoga, der seit 2016 das auf der Seite der prorussischen Separatisten kämpfende Bataillon »Sparta« befehligte, soll bei Kämpfen gegen die ukrainische Armee zwischen Donezk und Mariupol getötet worden sein.

Dabei war die russische Regierung in den Jahren vor Beginn der jetzigen Invasion der Ukraine noch gegen Rechtsextreme eingeschritten. Nach einer Hochphase in den Jahren 2008/2009 befand sich die russische organisierte Naziszene im Niedergang. Ab 2010 wurden die Nazi-Organisationen Slawische Union (SS) unter Dmitrij Djomuschkin und die Bewegung gegen illegale Immigration (DPNI) verboten, Mitglieder von Terrorgruppen wie der Nationalsozialistischen Gesellschaft (NSO) oder der Militanten Organisation russischer Nationalisten (Born) wurden zu langen Haftstrafen verurteilt.

Mittlerweile ist die organisierte Naziszene in Russland längst nicht mehr so stark, wie sie es vor zehn oder 20 Jahren war. 2010 und 2011 nahmen noch 10 000 Rechtsextreme am alljährlichen Russischen Marsch in Moskau teil, 2012 waren es nach Angaben der Or­ganisatoren doppelt so viele, der Polizei zufolge circa 6 000. Die Nationalisten waren damals als politische Kraft so bedeutend, dass der heutzutage in einem russischen Straflager inhaftierte Oppositionelle Aleksej Nawalnyj ihre Nähe suchte und bis 2013 ebenfalls am Russischen Marsch teilnahm. Doch seither sank die Teilnehmerzahl des Marschs stetig, im vergangenen Jahr hat er ­faktisch nicht stattgefunden. Auch die rechte Gewalt ist in Russland stark zurückgegangen. In der ersten Jahreshälfte 2021 hat das Informations- und Ana­lysezentrum Sowa, eine russische NGO, zum ersten Mal seit vielen Jahren in Russland keinen einzigen Mord regis­triert, der durch »ethnische Feindseligkeit oder Hass« motiviert war. Seit der Jahrtausendwende hatte es bislang etwa 500 rassistische Morde in Russland gegeben.

Gleichzeitig jedoch übernahm Putin rechte Ideologiefragmente in die Re­gierungsprogrammatik – Nationalismus, Antifeminismus, Anti-LGBT-Politik, staatliche Aufwertung der orthodoxen Kirche. Auch außenpolitisch knüpfte Russland Kontakt zu rechts­populistischen und rechtsextremen Kräften, von Marine Le Pen in Frankreich über Matteo Salvini in Italien, Viktor Orbán in Ungarn und die AfD in Deutschland. Dieser Versuch, den rechten Nationalismus zu vereinnahmen, war auch eine Reaktion auf die sogenannten Farben­revolutionen in postsowjetischen Ländern. Innenpo­litisch konnte sich Putin mit Konservatismus und Nationalismus eine breite ­gesellschaftliche ­Unterstützererbasis bewahren, vor allem außerhalb der Großstädte.

Die russische Obrigkeit warnt zwar gelegentlich vor Nazismus und gibt stets zu verstehen, einer faschistischen Bedrohung ihrer Macht mit entsprechenden Maßnahmen begegnen zu wollen. Doch gleichzeitig genießen Rechtsextreme und Nationalisten viele Freiheiten, Verbote von Organisationen werden oft einfach durch die Gründung von Nachfolgeorganisationen umgangen. Einem faschistischen Theore­tiker wie Aleksandr Dugin, der eine antiwestliche und imperialistische russische Außenpolitik fordert, kommt eine prominente Rolle in der Öffentlichkeit zu. So ist Dugin etwa Mitglied des ­Isborsk-Klub, eines bekannten nationalistischen Think Tanks, der bekannte Intellektuelle und Politiker zusammenbringt. Dugin war Gründungsmitglied der 2005 verbotenen Nationalbolschewistischen Partei und ist als Ideologe des sogenannten Eurasischen Raums auch bei westeuropäischen Faschisten beliebt. Nationalbolschewistisch Gesinnte kämpften schon seit 2014 im Donbass und unterstützen heutzutage die russische Invasion. 2018 führte der Auftritt des Schriftstellers Sachar Prilepin bei der Frankfurter Buchmesse zu Kritik, der heutige Vorsitzende der Partei »Gerechtes Russland« hatte zuvor zwei Jahre lang im Donbass gegen die ukrainische Armee gekämpft. Prilepin ist ein gutes Beispiel dafür, wie selbst solche Nationalisten, die die Regierung Putin zuvor abgelehnt hatten, sich an deren nationalistischen Kriegsabenteuern be­teiligten.

Schon nach Beginn des Kriegs in der Ukraine 2014 nahmen russische Rechtsextreme jedoch auch andere Positionen ein. Und auch jetzt nach der Invasion herrscht nicht durchweg Einigkeit. Der erwähnte Dmitrij Djomuschkin, dessen rechtsextreme Organisationen in Russland verboten wurden, kritisiert die russische Politik als falsch, diktatorisch und antifreiheitlich. Krieg sei manchmal zur Gewinnung von »Lebensraum« geboten, aber Russland sei groß genug, der derzei­tige Krieg deshalb abzulehnen. Der als Nationalbolschewist bekannte Aleksandr Matjuschin dagegen kämpfte schon früher im Donbass »gegen den ukrainischen nazistischen Staat« und ruft nun Russinnen auf, Material oder Geld zu spenden oder auch als Frei­willige zu kämpfen.

Die russische Nazigruppe Wotanjugend hatte in den vergangenen Jahren an Kampfsportevents und Rechtsrockkonzerten in Kiew teilgenommen. Seit 2014 sympathisiert sie mit der ukrainischen Asow-Miliz und hat sogar Kämpfer in das Bataillon Asow geschickt. Die Miliz ist eine rechtsextreme bewaffnete Gruppe, deren militärisch orga­nisierter Teil seit einigen Jahren in die ukrainische Nationalgarde eingegliedert ist. Auch jetzt ruft die Wotanjugend auf Russisch dazu auf, sich der ukrai­nischen Seite anzuschließen.

Der Isborsk-Klub hingegen unterstützt Putin und macht sich in Veröffentlichungen schon Gedanken, wie es mit der vermeintlichen Entnazifizierung der Ukraine nach dem Krieg weiterzugehen habe: »Führer und Ideologen des NS-Regimes« müssten vor Gericht gestellt, das Personal in allen ­Kultur- und Bildungseinrichtungen, Medien und Schulen müsse ausgetauscht, die schulischen Curricula müssten geändert und Gedenkstätten geschaffen werden, damit jedes Schulkind mit den »Verbrechen des ukrainischen Nationalsozialismus« vertraut gemacht werde.