Die geplante Aufrüstung der Bundeswehr

Nicht 1914, aber auch nicht 1972

Was ist von der deutschen Aufrüstung zu halten?
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Rechtsextremismus und mangelhafte Ausrüstung – das sind die klassischen Themen beim jährlichen Bericht der Wehrbeauftragten des Bundestags. Als Eva Högl (SPD) vergangene Woche ihren Bericht vorstellte, klangen beide Aspekte noch ein wenig dramatischer als sonst. Die Anzahl der rechtsextremen Verdachtsfälle in der Bundeswehr hat einen neuen Höchstwert erreicht. Und auch die Ausrüstungsmängel hatten Högls Bericht zufolge enorme Ausmaße angenommen – sogar Winterjacken und warme Unterwäsche müsse man den Soldaten nach Litauen erst nachschicken.

In den vergangenen Jahren ist der Wehretat auf 50 Milliarden Euro angeschwollen. Dass auch solche riesigen Summen nicht ausreichten, um die Armee richtig auszurüsten, hört man schon seit Jahren regelmäßig. Seit dem russischen Angriffskrieg wurden diese Klagen noch vehementer – wohl damit der Ukraine-Krieg bloß nicht spurlos am deutschen Rüstungsetat vorbeigeht. Sogar der Inspekteur des Heeres sagte öffentlich, die Bundeswehr stehe »blank« da.

Nun soll der Rüstungsetat in den kommenden Jahren bei 50,1 Milliarden stabilisiert werden und zusätzlich gibt es 100 Milliarden Sondervermögen, die wohl vor allem in die Anschaffung von Rüstungsgütern fließen. Das freut nicht nur die Aktionäre der deutschen Rüstungsfirmen, deren Kurse in die Höhe schossen. Unter dem Titel »Was man nicht kaufen kann« erinnerte ein Leitartikel in der FAZ wenige Tage nach Scholz’ Rede zur »Zeitenwende« daran, dass zur wahren Wehrhaftigkeit mehr als nur Geld gehöre. Die Politik müsse auch aufhören, »den deutschen Streitkräften jedwede Tradition auszutreiben, deren Wurzeln vor der Gründung der Bundeswehr liegen«, und »die eigenen Soldaten unter Extremismusverdacht zu stellen«.

Dieser konservative Traditionssound war von der Ampelkoalition nicht zu hören, dort wird eher die Solidarität mit der Ukraine beschworen. Besonders viel Sinn ergibt das nicht. Die deutsche Aufrüstung ist zwar eine Reaktion auf den russischen Überfall, sie dient aber nicht der Ukraine, sondern Deutschland und dessen Status als informelle Führungsmacht in Europa. Die Panzer, Fregatten und Kampfflugzeuge, die Deutschland mit dem neuen Geld kaufen will, werden oft erst in vielen Jahren einsatzbereit sein. SPD und Grüne wurden in der Presse weithin dafür gelobt, mit der beschlossenen Aufrüstung über ihren Schatten gesprungen zu sein. Wirklich überraschend wäre es aber gewesen, hätte eine deutsche Bundesregierung in einer solchen Krise nicht zuerst an deutsche ­Nationalinteressen gedacht und die 100 Milliarden etwa darin investiert, ein Energieembargo gegen Russland durchzustehen.

Allerdings ist es auch Quatsch, wenn einige linke Publikationen wie Jacobin nun die Kriegskredite zu Beginn des Ersten Weltkriegs bemühen, um vor einem neuen deutschen Militarismus unter Mithilfe der SPD zu warnen. Viel naheliegender wäre der Vergleich zu Willy Brandts »Ostpolitik«, als die BRD weit hochgerüsteter war als heutzutage. Die Analogie zu 1914 ist wohl eher der Versuch, nach den Ereignissen der vergangenen Wochen wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen: Der Feind steht im eigenen Land, die Nato-Aufrüstung ist das eigentliche Problem – man kennt es.

Solche Warnungen vor der deutschen Militärmacht häufen sich, seit Deutschland 2015 begann, seinen Wehretat wieder sukzessive zu erhöhen. Analytisch führte das eher in die Irre. Nicht weil die Bundeswehr unterstützenswert wäre, sondern weil eine solche Kritik verfehlt, was die deutsche Außenpolitik in der Vergangenheit eigentlich so scheußlich machte. Es war ja gerade nicht militärische Kraftmeierei, sondern eine eiskalte Germany-first-Friedenspolitik, mit der Deutschland bisher seine Nationalinteressen durchgesetzt hat. Mit dem Nato-Schutz der USA im Rücken hat die BRD gegen den Willen osteuropäischer Staaten Nord Stream 2 durchgedrückt, seine Fühler in den Iran ausgestreckt und in China den größten PKW-Markt der Welt erschlossen. Eine starke Armee war dafür nicht nur unnötig, sondern wäre vielleicht sogar störend gewesen. Deutschland verstand sich als wiedergutgewordene Friedensmacht und konnte gerade deshalb mit gutem Gewissen und viel Selbstgerechtigkeit die Rolle als führende Wirtschaftsmacht Europas einnehmen. Das – und nicht der altbackene Offizierston des FAZ-Leitartikels – machte die deutsche Außenpolitik im 21. Jahrhundert so hässlich.

Aber womöglich ändert sich das jetzt. Denn auch die Analogie zur deutschen Aufrüstung während des Kalten Kriegs funktioniert nicht so ganz. Deutschland war damals noch geteilt und von den Alliierten eingehegt. Mittlerweile ist die BRD das bevölkerungsreichste Land Westeuropas – und vielleicht bald eine führende Militärmacht in einer EU, die sich zumindest darauf einstellt, irgendwann strategisch »autonom« von den USA zu werden.