Internetkonzerne wollen im sogenannten Metaverse neue Social-Media-­Plattformen etablieren

Konkurrenzkampf ums Metaverse

Meta Platforms, ehemals bekannt als Facebook, investiert Milliarden in den Bau virtueller 3D-Welten. Um den Aufbau der nächsten erfolgreichen Social-Media-Plattform ist ein heftiger Wettbewerb entbrannt.
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Wer nicht alles ins Metaverse will! Sogar eine Universität für Kader der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in Peking soll bald über ein Programm verfügen, in dem in einer künstlichen Realität »Parteiarbeit auf eine flexible und starke Weise« trainiert werden könne. Das meldete die Virtual-Reality-Firma Mengke VR chinesischen Medien zufolge. Parteikader sollen zukünftig mit Avataren an virtuellen Veranstaltungen nach Art von Parteikonferenzen teilnehmen und in 3D in der virtuellen Welt mit anderen Kadern interagieren können.

Eine derart genaue Vorstellung davon, wozu das sogenannte Metaverse zu nutzen sei, haben bisher nur wenige. Von virtuellen 3D-Welten ist die Rede, in denen die Nutzenden sich per Avatar tummeln und allerlei virtuelle Güter konsumieren können. Das klingt bekannt: Second Life, eine Online-Plattform aus dem Jahr 2003, feiert im kommenden Jahr ihr 20jähriges Bestehen und ist heutzutage eher virtuelle Nische als virtuelle Welt.

Für die Medienindustrie ist das Metaverse die Weiterentwicklung der seit Jahrzehnten praktizierten Vermarktung von Filmen durch Auskoppelungen und Merchandise.

Erfunden hat den Begriff Metaverse ein Science-Fiction-Autor: Neal Stephenson beschrieb in seinem Roman »Snow Crash« 1992 eine virtuelle Welt, in der Menschen interagieren. Auch wenn Stephensons Vision sich in Details von anderen literarischen Entwürfen virtueller Welten unterscheidet, handelt es sich um nichts anderes als den Cyberspace, wie ihn zehn Jahre zuvor ein anderer Science-Fiction-Autor – William Gibson – erdacht hatte. Doch Cyberspace klingt nach neun­ziger Jahren, nach schlechter Computergraphik, Filmen wie »Der Rasen­mähermann« und Organisationen wie dem Nationalem Cyber-Abwehrzen­trum beim BKA. Metaverse wirkt dagegen noch unverbraucht.

Facebook, oder, wie der Konzern seit Oktober vergangenen Jahres heißt, Meta Platforms, versucht, die Marktführung bei der Entwicklung virtueller 3D-Welten zu übernehmen. Meta betreibt Horizon Worlds, eine sogenannte social virtual world. Um diese zu betreten, braucht man eine Datenbrille wie Oculus Rift oder Oculus Quest sowie einen Controller, der ähnlich wie bei Konsolenspielen in der Hand gehalten wird. Von einer sogenannten Plaza aus gelangt man in verschiedene virtuelle Welten, die von den Nutzenden selbst gestaltet werden können.

Das Prinzip, nicht nur Vorgefertigtes anzubieten, sondern die Nutzenden ihre eigenen virtuellen Welten bauen zu lassen, stammt aus der Computerspieleindustrie. Besonders ausgeprägt war dieses Prinzip bei Minecraft, das trotz oder wegen seiner primitiven Klötzchengraphik die Spielenden motivierte, alleine oder in Gruppen eigene virtuellen Welten zu bauen und sich gegenseitig zu besuchen. So entstanden im Rahmen von Multiplayer-Spielen große virtuelle Welten, während Second Life & Co. ein Nischendasein fristeten.

Ein weiterer Einfluss für das Metaverse sind Rollenspiele, die in ihrer ursprünglichen Form mit Papier, Bleistift, Karten und Spielfiguren gespielt werden und schon früh für Computer adaptiert wurden. Sie erlauben es Gruppen, gemeinsam Abenteuer in Phantasiewelten zu bestehen. Dabei tritt der Plot der Spiele oft in den Hintergrund. Die Nutzenden verlegten Teile ihres Soziallebens in die Spielwelten, wo sie in Gestalt ihrer Spielcharaktere interagierten.

So ist es auch bei vielen Computerspielen. Zum Beispiel war das Online-Spiel Fortnite ursprünglich eine Arena für sogenannte Battle-Royale-Wettkämpfe, in denen die Spielenden nach dem Hunger-Games-Prinzip gegen alle anderen antreten. Das findet zwar immer noch statt, aber längst ist Fortnite vor allem ein sozialer Raum, in dem sich Menschen treffen. Es gibt Ausstellungen, Konzerte und Veranstaltungen. Zum Sozialleben gehört, sich dafür in Schale zu werfen. Was in diesem Fall bedeutet, sich aus teils kostenpflichtigen graphischen Elementen einen besonders individuellen Avatar zu gestalten – die Spielfigur, mit der man von den anderen Spielenden wahrgenommen wird. Das eigentliche Spiel ist kostenlos. Epic Games, die Firma, die Fortnite anbietet, verdient ihr Geld damit, dass die Spielenden sich virtuelle Gegenstände kaufen, die entweder fürs Spiel nützlich sind oder den Avatar aufhübschen. Im Grunde geht es um virtuelle Statussymbole.

Doch es geht auch um die Vermarktung von Geschichten. Menschen lieben es, ihre Lieblingsgeschichten nachzuspielen und nachzuerzählen, woraus Lucasfilm mit seinen Star-Wars-Figuren und dem dazugehörigen Merchandise schon vor Jahrzehnten eine gewaltige Umsatzmaschine gemacht hat. Virtuelle Welten erlauben es, noch tiefer in die Lieblingsgeschichten einzutauchen und die Welten, in denen diese Geschichten spielen, mitzugestalten, wie es zuvor nur mit dem Verfassen von fan fiction möglich war. Im Metaverse könnte es also auch darum gehen. computergenerierte Versionen jener Welten zu vermarkten, die in der Phantasie entstehen, wenn man »Herr der Ringe« oder die Vampir-Saga »Twilight« liest.

Ein virtuelles 3D-Modell eines Raumschiffs, das beispielsweise für einen Film entworfen wurde, kann für eine an diesen anknüpfende Serie oder ein Spiel wiederverwendet werden, wobei sich Kopien an Spielende verkaufen lassen, die dann mit dem Raumschiff in der virtuellen Welt auf Spritztour gehen könnten. Aus der Perspektive der Medienindustrie wäre das Metaverse also nichts anderes als die Weiterentwicklung der seit Jahrzehnten praktizierten Vermarktung von Filmen durch Auskoppelungen und Merchandise.

Dabei gibt es jedoch ein Problem: Digitale Güter, egal ob es sich um ein Kunstwerk handelt, um ein Zauberschwert oder die Kopie eines Musikstücks, sind beliebig oft kopierbar. Um einen Preis zu erzielen, müssen Güter im Kapitalismus jedoch knapp sein. Deshalb wird immer wieder versucht, Datenträger oder -ströme für Musik und Filme mit Kopierschutz zu versehen. Die Anbieter virtueller Welten haben es dabei relativ einfach. Weil sie Kontrolle über den Zugang zur Welt haben, können sie sicherstellen, dass ein bestimmtes virtuelles Gut nur in einer bestimmten Zahl von Kopien vorliegt, und zwar nur genau so vielen, wie erworben wurden.

Virtuelle Welten sind Plattformen und weisen die dafür typischen Merkmale auf: Netzwerkeffekte und Zugangsbeschränkung. Der Netzwerkeffekt sorgt dafür, dass die Nutzer dort sind, weil alle anderen auch dort sind: Man kommt um Whatsapp nicht herum, weil alle anderen auch Whatsapp benutzen. Das führt dazu, dass sich trotz seines dezentralen technischen Aufbaus wichtige Teile des Internets immer weiter zentralisieren. Eine dadurch entstehende Verknappung ist hingegen für die Nutzenden zunächst kaum wahrzunehmen, schließlich sind Whatsapp und Fortnite kostenlos und alle können mitmachen. Während Fortnite den Zugang zu virtuellen Gütern kontrolliert und verknappt, kontrolliert und verknappt Facebook den Zugang von Werbetreibenden zur Aufmerksamkeit von Facebook-Nutzenden. Weil beide Plattformen von Hunderten Millionen benutzt werden, ist das sehr profitabel.Von solchen Maßstäben ist das Metaverse noch weit entfernt. Noch gibt es nur viele kleine virtuelle Welten mit unterschiedlichsten Standards und Regeln. Manche sind einfache, textbasierte Diskussionsforen, andere sind Fantasy-Spielwelten, aber auch viele weitere Interaktionsmöglichkeiten sind denkbar. So gibt es innerhalb von Horizon Worlds einen virtuellen Bereich für Geschäftsbesprechungen und Teamarbeit namens Horizon Work, der langfristig Anbietern wie Zoom oder Microsoft Teams Konkurrenz machen soll.

Insbesondere Meta investiert viel Geld in der Hoffnung, seine Version des Metaverse als Plattform zu etablieren, die es als Konzern kontrollieren kann. Im Jahr 2021 allein sollen es zehn Milliarden US-Dollar an Investitionen gewesen sein. Zunächst zahlt sich das nicht aus, denn Einnahmen generiert diese Sparte bisher so gut wie nicht. Der Profit im letzten Quartal vergangenen Jahres fiel deshalb für Meta mit 10,3 Milliarden US-Dollar vergleichsweise mager aus.

Als Facebook sich im Oktober in Meta umbenannte und erklärte, die Firma des Metaverse zu sein, war dieser Begriff nur wenigen vertraut. Manche glaubten sogar, Facebook habe sich umbenannt, weil der alte Markenname mittlerweile einen schlechten Ruf habe. Dabei ist das Rennen um Reichweite längst in vollem Gange. Facebook, Whatsapp und Instagram verfügen zwar über eine sehr breite Nutzerbasis, aber der Besuch virtueller Welten mit klobigen Datenbrillen ist nichts, was man zwischendurch machen kann, wie einen Blick aufs Smartphone zu werfen. Apple hat bereits 2020 seine eigene Augmented-Reality-Plattform gestartet, will demnächst Datenbrillen anbieten und hofft auf die iPhone-Kundschaft. Doch besser gerüstet scheinen Spieleanbieter wie Epic zu sein, die bereits langjährige Erfahrung mit Aufbau und Vermarktung virtueller Welten haben. Überraschen würde auch nicht, wenn Microsoft eine Renaissance erlebte, das in jüngster Zeit strategisch Unternehmen aufkauft, so wie es Facebook vor einem Jahrzehnt beispielsweise mit Instagram getan hat; Microsoft hat dadurch mittlerweile eine dominante Position auf dem Spielemarkt erlangt. Aber vielleicht ist es ja auch eine Chance für ganz neue Anbieter, die noch weithin unbekannt sind.