In Den Haag hat der erste Prozess gegen einen mutmaßlichen sudane­sischen Kriegsverbrecher begonnen

Einer von vielen

In Den Haag hat der erste Prozess gegen einen mutmaßlichen sudanesischen Kriegsverbrecher begonnen. Eine umfassende Aufarbeitung der in der Provinz Darfur begangenen Gewalttaten wird von der erneuerten Herrschaft des Militärs behindert.

Ali Muhammad Ali Abd al-Rahman ist der erste Angeklagte aus dem Sudan, der sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag für Verbrechen in der westsudanesischen Bürgerkriegsregion Darfur verantworten muss. Zu Beginn des Prozesses plädierte er am Dienstag voriger Woche in allen Anklagepunkten auf nicht schuldig.

Der seit 2002 tätige ICC ist mittlerweile weltweit für 123 Staaten zuständig, die das Römische Statut, die Vertragsgrundlage des Gerichtshofs, unterzeichnet haben – die wichtigsten Großmächte, die USA, Russland und China, fehlen. Der ICC kann nur Straftaten verfolgen, die ausdrücklich in Artikel 5 des Römischen Statuts genannt werden. Das sind vor allem Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit, Kriegsverbrechen und »Verbrechen der Aggression«, unter denen das Statut »die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung einer Angriffshandlung« versteht, »die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 darstellt«.

Der Transformationsprozess, der zur Bildung einer zivil-militärischen Übergangsregierung geführt hatte, ließ einige der alten Komman­dan­ten befürchten, dass ihnen im Sudan der Prozess gemacht werden könnte.

Dem 1957 geborenen al-Rahman, der im Sudan auch unter dem Namen Ali Kushayb bekannt ist, werden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit in 31 Fällen vorgeworfen, darunter Morde, Vergewaltigungen, Folter und Verfolgung, die zwischen 2003 und 2004 stattgefunden haben sollen. Die Anklage hält ihn für einen der wichtigsten Anführer der Janjaweed-Milizen, paramilitärischer Einheiten arabischer Reiternomaden, die vom damaligen sudanesischen Regime unter Präsident Omar al-Bashir ausgerüstet und bezahlt wurden, um die Rebellion der beiden Guerillabewegungen in Darfur brutal zu unterdrücken.

2002 begann die Darfur Liberation Front, die sich wenig später in Sudan Liberation Movement/Army (SLM/A) umbenannte, einen bewaffneten Aufstand in der vernachlässigten Region im Westen des Landes. Fast gleichzeitig begann auch das von Khalil Ibrahim angeführte Justice and Equality Movement (JEM) einen Guerillakrieg. Beide Gruppen wurden vor allem von nichtarabischen Bevölkerungsgruppen Darfurs wie den Zaghawa und den Fur unterstützt, die unter dem islamistisch inspirierten Militärregime in Khartoum über Jahre hinweg marginalisiert worden waren. Während die SLM/A eher säkular orientiert war, wurde die JEM von Verbündeten des ehemaligen Chefideologen des Militärregimes Hasan al-Turabi angeführt, eines islamistischen Politikers, der 1999 in Ungnade gefallen war, nachdem er sich mit Omar al-Bashir überworfen hatte. Beide Bewegungen kämpften allerdings vor allem gegen die ökonomische und politische Benachteiligung der nichtarabischen Bevölkerungsgruppen Darfurs.

Das Regime Omar al-Bashirs nutzte zur Bekämpfung der Aufständischen alte Konflikte zwischen den vorwiegend bäuerlichen Bevölkerungsgruppen im fruchtbareren Gebiet Jebel Marra und arabischen Stämmen, die in den trockeneren Ebenen Darfurs als Kamelnomaden lebten. Durch die Ausbreitung der Sahara in Folge des Klimawandels hatten diese arabisierten Kamelnomaden schon seit den achtziger Jahren immer größere Probleme und drangen mit ihrem Vieh in die regenreicheren Gebiete der Bauern vor. Einige dieser Nomaden hatten zudem eine Vorgeschichte als Angehörige bewaffneter Milizen, die der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi in den achtziger Jahren unterstützt hatte, um Einfluss im Sudan und im Tschad zu gewinnen.

Als die Regierung Anfang 2003 begann, diese zum Teil bereits kampferfahrenen Nomaden mit modernen Waffen auszustatten, versprach sie ihnen zugleich Kriegsbeute. Während sich die SLM/A in verschiedene Fraktionen aufspaltete, eroberten die als Janjaweed bezeichneten Reitermilizen das Land der Bauern, brannten Dörfer nieder, vergewaltigten und massakrierten. Insgesamt wurden in diesem Krieg rund 300 000 Menschen getötet, die regimetreuen Gruppen nahmen die ­eroberte Gebiete in Besitz.

Der Konflikt wurde damit lokalisiert und ethnisiert. Die Kommandanten der Janjaweed, die meist auch traditionelle Oberhäupter dieser arabischen Stämme waren, kämpften einerseits für die Regierung, andererseits aber auch auf eigene Rechnung. Sie wurden so immer einflussreicher und, spätestens nachdem sie die Goldminen am Jebel Amer unter ihre Kontrolle bringen konnten, auch immer reicher. Das versetzte sie in die Lage, nach dem Umsturz von 2019 eine zentrale Rolle im neuen militärischen Machtapparat zu erobern.

Aber nicht alle Janjaweed gingen als Sieger aus den Ereignissen von 2019 hervor. Ali Muhammad Ali Abd al-Rahman gehörte vor 20 Jahren zu den wichtigen Kommandanten, war aber nicht unter jenen, die 2019 erfolgreich im Umfeld von Mohammed Hamdan Dagalo, auch bekannt als Hemedti, das politische Geschehen in Khartoum mitbestimmen konnten. Der Transformationsprozess, der zur Bildung einer zivil-militärischen Übergangsregierung geführt hatte, ließ einige der alten Kommandanten befürchten, dass ihnen im Sudan der Prozess gemacht werden könnte. Dort würde ihnen für die ihnen zur Last gelegten Verbrechen die Todesstrafe drohen. Al-Rahman stellte sich deshalb im Juni 2020 freiwillig dem ICC.

Am 4. März 2009 hatte ein ICC-Tri­bunal aus drei Richtern aus Ghana, Lettland und Brasilien einen Haftbefehl gegen den Machthaber zu Zeiten der Verbrechen in Darfur ausgestellt, Omar al-Bashir. Aber auch nach dessen Sturz im April 2019 wurde der ehema­lige Präsident nicht nach Den Haag ausgeliefert. Al-Bashir befindet sich weiterhin in sudanesischer Haft. Dort war er wegen Korruption zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Eine Auslieferung nach Den Haag wurde zwar im August 2021 versprochen, bleibt aber ungewiss.

Insbesondere nach dem Putsch des Militärs vom Oktober 2021 und dem Ende der Übergangsregierung mit ziviler Beteiligung ist völlig unklar, wie es mit der Strafverfolgung vor dem ICC weitergeht. Zwar versprachen auch die neuen Militärmachthaber im Dezember einer Delegation des ICC, mit diesem zu kooperieren, es muss sich aber im Prozess gegen al-Rahman erst zeigen, wie bereitwillig das sudanesische Regime Zeugenaussagen von Opfern ermöglicht und mit dem Gerichtshof zusammenarbeitet.