Umweltschützer protestieren ­gegen einen Windpark vor der Küste eines spanischen Naturschutzgebiets

Kampf gegen Windräder

Im andalusischen Naturschutzgebiet Cabo de Gata soll wenige Kilo­meter vor der Küste ein Offshore-Windpark entstehen. Auch ein Hotel soll erstmals seit Jahrzehnten in dem Naturschutzpark neu gebaut werden. Beide Vorhaben sorgen bei Umweltschutzgruppen für Widerstand.
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Der Kampf ähnelt zumindest vom Gegner her jenem, den einst die berühmte spanische Romanfigur Don Quijote gegen Windmühlen führte. Doch der Schauplatz ist heutzutage nicht La Mancha, die karge kastilische Hochebene, sondern einer der letzten weitgehend unberührten Küstenabschnitte Andalusiens am Mittelmeer. Westlich von Almería beginnt das »Plastikmeer« des extensiven Gemüseanbaus um El Ejido. Doch östlich von Almería, abseits der spärlichen Orte und Dörfer, am Cabo de Gata, gelegen im Naturschutzgebiet Parque Natural Cabo de Gata-Níjar, ist die Küste noch nicht bebaut.

Gata heißt zwar auch Katze auf Spanisch, seinen Namen, »Kap des Achats«, hat es jedoch vom Achat (el ágata), jenem Schmuck- und Nutzstein, der hier zu finden ist. Die idyllische Gegend ­haben längst Alt- und Neohippies, Aussteiger und pensionierte Expats aus Großbritannien und anderen wenig sonnenverwöhnten Ländern Europas für sich entdeckt. Die nahegelegene semiaride Halbwüste von Tabernas diente bereits als Kulisse für zahlreiche Filme, darunter Spaghettiwestern von Sergio Leone. Am Strand Mónsul mit seinem markant geformten Felsen gelang es dem von Sean Connery verkörperten Henry Jones Senior in dem Film »Indiana Jones und der letzte Kreuzzug« (1989), wenn auch nicht sehr tierlieb, mit einem Schwarm von aufgescheuchten Möwen einen Stuka-Bomber der Nazis zum Absturz zu bringen.

Wind und Gegenwind
Das jüngste Vorhaben im Naturschutzgebiet sorgt allerdings für Widerstand bei einem Teil der Bevölkerung. Denn 6,5 Kilometer vor dem Strand Los Muertos (Die Toten), der seinen Namen trägt, weil hier einst Schiffbrüchige angespült wurden, soll im Meer ein Offshore-Windpark entstehen. In einem ersten Projektplan sind 20 Windräder vorgesehen, die schwimmend und am Meeresgrund verankert auf einer Fläche von knapp 70 Quadratkilometern gebaut werden sollen. Die Grenze des Naturschutzgebiets, die 1987 festgelegt wurde, ist fünf Kilometer entfernt; zur Ortschaft Agua Amarga sind es zehn Kilometer, bis Las Negras zwölf und je 15 Kilometer zu den beliebten Aussichtspunkten La Amatista und La Isleta del Moro. Die maximale Leistung von insgesamt 300 Megawatt (15 Megawatt pro Windrad) würde über 28 Prozent des jetzigen Energieverbrauchs der Provinz Almería decken, so die Projektbetreiber.

»Wir sind für die Energiewende, aber diese muss der lokalen Bevöl­kerung etwas bringen, nicht nur Einnahmen für die großen Firmen und Energie­konzerne.« Pilar González Carranza, Sprecherin der Windparkgegner

Der Freundschaftsverein für den Naturpark Cabo de Gata und Níjar (Asociación Amigos del Parque Natural Cabo de Gata-Níjar), der seinerseits der Umweltschutzorganisation Ecologistas en Acción angehört, initiierte eine Bürgerplattform gegen den Windpark. Diese findet mittlerweile gesellschaftlich breite Unterstützung, über 150 Vereine, Organisationen, Unternehmen, Parteien und der gesamte Tourismussektor sprechen sich gegen den geplanten Windpark am Mar de Ágata (Achatmeer) aus. »Dieser wird Auswirkungen auf das Ökosystem haben und befindet sich in Sichtweite der Küste und vom Tourismus lebender Orte; von der gesamten Küste im östlichen Naturpark wird man die Räder sehen können, und das gut«, sagt Pilar González Carranza, die Sprecherin des Bündnisses, der Jungle World. Sie betont, dass man nichts gegen nachhaltige Energieerzeugung habe. Die Plattform gehe davon aus, »dass es nicht bei 20 Windgeneratoren bleiben wird«, denn ­dafür seien deren jeweilige Standorte zu weit voneinander entfernt geplant. Die Betreiber würden sicherlich beantragen, in den Zwischenräumen weitere aufzustellen. »Die Zahl könnte sich zumindest verdreifachen, auf 60 Wind­räder«, so die Umweltschützerin. »Wir wollen dieses Projekt stoppen. Wir sind für die Energiewende, aber diese muss der ­lokalen Bevölkerung etwas bringen, nicht nur Einnahmen für die großen Firmen und Energiekonzerne.«

Javier Monfort ist Projektmanager und Landesmanager für Spanien von Bluefloat Energy, einem der Betreiber des Windparks. Im Gespräch mit der Jungle World versucht er, die Argumente der Gegnerinnen und Gegner des Projekts zu entkräften. »Mehr als 20 Windräder sind in diesem Projekt nicht vorgesehen«, betont er. Bluefloat plant den Windpark gemeinsam mit dem baskischen Baukonzern Sener, zu den Investoren zähle zudem die Investmentplattform 547 Energy, hinter der wiederum die Private-Equity-Firma Quantum Energy Partners steht. Der Entwurf sei beim Ministerium für die ökologische Wende und den demographischen Wandel (spanisch Ministerio para la Transición Ecológica y el Reto Demográfico) eingereicht worden. Alle Daten, die man im Zuge der erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung bereitstellen müsse, werde man auch liefern, betont Monfort.

Bearbeitung, Prüfung und Bau würden maximal sechs Jahre in Anspruch nehmen, man gehe von einer Inbetriebnahme bis 2028/2029 aus, so der Manager. Etwa 2 000 Arbeitsplätze würden während des Baus entstehen. 55 Prozent dieser Beschäftigten sollen aus Andalusien kommen, so Monfort. In der Betriebs- und Wartungsphase würden immerhin 60 feste Stellen geschaffen.

Bluefloat Energy will auch vor der Küste Kataloniens in der Provinz Girona einen Windpark errichten. Der Widerstand dagegen nimmt langsam ab. Anfang April publizierten über 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Manifest für Offshore-Windparks in der Region und damit auch für die Errichtung des von Bluefloat geplanten. Allerdings liegt dort kein Naturschutzgebiet in unmittelbarer Nähe.

Empfindliches Ökosystem
Noch ist die Artenvielfalt am Cabo de Gata groß. Hier finden sich unter anderem Meeressäuger wie Delphine, aber auch viele Finnwale. Die Unterwasserflora ist von Neptungraswiesen (lateinisch Posidonia oceanica) gekennzeichnet, die zu den essentiellen Lebens­räumen des mediterranen Ökosystems zählen, nicht zuletzt für Jungfische. Sorgen bereiten dem Freundschaftsverein für den Naturpark Cabo de Gata und Níjar unter anderem die Verankerung der Windräder in etwa 100 bis 500 Meter Tiefe – 80 Anker sollen auf dem Meeresboden befestigt werden, vier pro Windkraftanlage – sowie die große Mengen an Kabeln, die verlegt werden würden. González hält die Erfahrungen mit den Auswirkungen von Offshore-Windparks auf die Biodiversität in Norwegen, Schottland oder vor den Nordseeküsten Deutschlands nicht übertragbar auf die Bedingungen im Mittelmeer, schon gar nicht in einem sensiblen Gebiet. »Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Stromerzeugung hier die Natur und ihre Artenvielfalt beeinflussen werden, im Betrieb, in der Wartung und im Bau«, befürchtet sie.

Monfort seinerseits betont, dass die »schwimmenden« Windräder mit Verankerungen am Meeresgrund weit weniger invasiv seien als feste Windräder auf einer gebohrten, zementierten Basis am Grund. »Insbesondere beim Bau würde der entstehende Lärm, der vor allem Meeressäuger mit ihrem sensi­blen Gehör schadet, weit geringer ausfallen«, so Monfort. Kabel werde man im Meeresgrund verlegen und auf ein Minimum reduzieren, um die Umwelt­belastung so gering wie möglich zu halten. »Erfahrungen mit schwimmenden Windparks aus anderen Staaten gibt es und sie haben belegt, dass wegen der äußerst geringen Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme ein Neben­einander aus Artenvielfalt und Energieproduktion möglich ist«, sagt Monfort. In über 30 Treffen mit lokalen Verantwortlichen, Vertretern des Tourismusgewerbes und Umweltschützern habe man versucht, Überzeugungsarbeit zu leisten. »Almerías Küste hat das Potential, sich in der Avantgarde der nachhaltigen Energieerzeugung Spaniens zu positionieren, und das schafft Arbeitsplätze«, ist eines seiner Hauptargumente.

In Almería, wo es weit über 3 000 Sonnenstunden im Jahr gibt, ist auch Spaniens Forschungszentrum für Solarenergie beheimatet, zahlreiche Solarkraftwerke stehen hier, etwa auf der Hochebene vor Guadix. In der Wüste von ­Tabernas nordwestlich von Almería soll ein weiteres entstehen. Doch auch dort laufen die lokale Bevölkerung und Umweltschutzgruppen bereits gegen die Projekte Sturm.

Ein Vorteil des Projekts »Mar de Ágata« ist der vorhandene Anschluss an das Hochspannungsstromnetz. Bei Carboneras, unmittelbar an der Grenze des Naturschutzgebiets, betrieb der spanische Stromkonzern Endesa, der zum italienischen Energiekonzern Enel gehört, bis Mitte Dezember 2021 das 1985 in Betrieb genommene Kohlekraftwerk Litoral de Almería beziehungsweise Carboneras. Es hat den Betrieb wegen EU-Umweltauflagen eingestellt. Das Werk wird derzeit abgebaut.

»Erfahrungswerte schwimmender Windparks haben belegt, dass ein Nebeneinander aus Artenvielfalt und Energie­pro­duktion möglich ist.« Javier Monfort, Projekt-
­ma­na­ger von Bluefloat Energy

Einige Lokalpolitiker in der Provinz Almería und Wirtschaftsvertreter ­wittern mit dem Windpark große Chancen. Man müsse diese jedoch »mit ­Respekt für das Naturschutzgebiet« evalu­ieren, wie der Wirtschaftskammerpräsident der Provinz Almería, Jerónimo Parra Castaño, der Lokalzeitung Diario de Almería zufolge bei einer Präsentation des Windpark-Projekts in der Wirtschaftskammer Almerías sagte, denn immerhin sei »das Cabo de Gata das Juwel«.

Hotel im Schutzgebiet
Auch eine weitere Entscheidung sorgt bei vielen Ansässigen und bei Umweltschutzgruppen für Unmut. Die rechte Regionalregierung Andalusiens – aus der rechtskonservativen Volkspartei (Partido Popular, PP) und der in Spanien ansonsten in die Bedeutungslosigkeit fallenden Partei Ciudadanos, toleriert von der rechtsextremen Partei Vox – hat eine Hotellizenz erteilt, um aus einer einstigen mit Spartgras bedeckten Finca, dem Gutshof Las Chiqueras, circa 900 Meter hinter dem Strand Los Genoveses gelegen, für Touristen ein Refugium im Boutique-Stil mit 30 Zimmern, Restaurant und 80 Parkplätzen zu schaffen. Die Umweltauflagen sind gering, Abwässer müssen an Ort und Stelle aufbereitet werden und als Nutzwasser, etwa zur Bewässerung der Grünflächen des Hotels, verwendet werden.

Zweifelsohne ist ein sanfter, ökologischer Tourismus auch in sensiblen ­Zonen möglich, aber hier fürchtet der Freundschaftsverein, dass mit der Lizenzvergabe weiteren Bauvorhaben im Naturschutzgebiet Tür und Tor geöffnet werde. Immerhin ging die Hotellizenz an die Nachkommen von Großgrundbesitzern, die mehrere Fincas – wie Umweltschützerin González betont, »weitere fünf zwischen Los Genoveses und dem Strand Mónsul« –, eine der typischen Windmühlen, die zum Wasserpumpen eingesetzt wurden, und zig Hektar Land besitzen. »Die Eigentümer werden sicherlich auch ­Lizenzen für ihre anderen Gebäude beantragen«, ist González überzeugt.

Hinter dem Hotel steht das Unternehmen »Torres y González Díaz, S.L.« das den Nachkommen der Familie Montoya und der 2014 verstorbenen Francisca Díaz Torres gehört. Sie war eine der Initiatorinnen des Naturschutzgebiets und war noch gegen eine Verbauung des Cabo de Gata. So auch ihr Ehemann José Montoya, der als reicher Industrieller die Landstriche am Cabo de Gata Anfang des 20. Jahrhunderts erworben hatte. Das Unternehmen leitet heute ihr Neffe César Torres. Erstmals 2016 hatte das Unternehmen eine Lizenz für den Hotelbau beantragt, damals waren nur 13 Zimmer vorgesehen, der Antrag wurde noch abgelehnt.

»Das Land, auf dem künftig das Hotel stehen soll, ist als Ackerland klassifiziert«, empört sich González, die signa­lisiert, es könne sich bei der Lizenz um eine politische Gefälligkeit gehandelt haben. »Es ist ein Vogelschutzgebiet wegen der hier heimischen, in Südspa­nien sehr seltenen Steppenvögel. Diese sind überaus sensibel, was die mensch­liche Präsenz betrifft. Man nimmt ihnen eine Nische, und sie verschwinden«, sagt González. Im Widerstand gegen den Windpark und auch das Hotel gibt sie sich kämpferisch. »Noch sind Beschwerden möglich, wie sie auch die Gemeinde Níjar eingelegt hat wegen der Wasserleitung, die zum Hotel gelegt werden und die über den Grund der Gemeinde verlaufen soll«, sagt sie. Gegen alle Projekte, die laufen, habe der Freundschaftsverein Beschwerden eingelegt.