Anwohnerproteste gegen Bauprojekte argumentieren häufig mit dem Klimaschutz

Gegen alles, für Sieglinde

Auch hierzulande gibt es das Phänomen »not in my back­yard«. Immer wieder engagieren sich Anwohner gegen auch durchaus sinnvolle Bauprojekte in ihrer Nachbarschaft und führen dabei oft den Klimaschutz an.
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Wann immer sogenannte Großprojekte realisiert werden sollen, formieren sich Bürgerinitiativen dagegen, in ländlichen Regionen ebenso wie in Großstädten. Derzeit bringt der geplante Bau zweier Flüssigerdgas-Terminals in Brunsbüttel, mit denen die Abhängigkeit von russischen Gasimporten verringert werden soll, Anwohner zusammen.

Not in my backyard, kurz: nimby, heißt das Phänomen in den USA, das auch hierzulande auftritt, wenn beispielsweise in Stadtteilen mit wohlhabender Bevölkerung Sammelunterkünfte für Geflüchtete oder Obdachloseneinrichtungen entstehen sollen. Man will unter sich bleiben, die eigene vermeintliche Oase in der städtischen Betonwüste erhalten.

Ein Totschlagargument der Wutbürger ist mittlerweile der Klimaschutz. So wehren sich Anwohnerinnen dagegen, dass auf einem Parkplatz im Hamburger Stadtteil Altona-Nord ein Wohnheim für Auszubildende entstehen soll. Denn dafür müssten dort einige Bäume gefällt werden, und hinzu kommt noch der ganze Lärm – erst durch die Baustelle und dann bestimmt durch die Auszubildenden, die dort zentral gelegen für 235 Euro Miete pro Monat wohnen sollen. Wer anderthalb Jahre im Homeoffice zugebracht hat, während auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Hotel gebaut wurde, kann das zumindest im Ansatz nachvollziehen. Andererseits aber ist Wohnraum (im Gegensatz zu Hotelzimmern) knapp, insbesondere solcher, den sich Auszubildende leisten können.

Auch verkehrspolitische Projekte in Hamburg erzürnen die Nimby-Bürger. So wehren sich Anwohner gegen den bereits begonnenen Bau des Fernbahnhofs Diebsteich, der den in Altona weitgehend ersetzen und in der Folge dort Platz für den Neubau von etwa 1 900 zentral gelegenen Wohnungen schaffen soll. Außerdem verfolgt die Deutsche Bahn nach eigenen Angaben damit das Ziel, die größten deutschen Städte bis 2030 mit Zügen im Halbstundentakt zu verbinden. Die gegen die Verlegung des Fernbahnhofs opponierende Bürgerinitiative gab den Bäumen, die für den Bahnhof weichen müssen, daraufhin Namen; nichts erheischt so viel Mitleid wie ein Baum, der »Sieglinde« heißt.

Die geplante Einrichtung der U-Bahnlinie 5 in Hamburg ist ein weiteres dieser Projekte, gegen die Anwohner derzeit opponieren. Im Nordosten und -westen der Stadt sollen damit über 100 000 Einwohnerinnen erstmals an das Schnellbahnnetz angeschlossen werden; wenn die Linie fertig ist, soll sie etwa 270 000 Menschen täglich transportieren. Mit zwei von neun klagenden Anwohnern hat die städtische Hamburger Hochbahn AG bereits eine außergericht­liche Einigung erzielt. Andere verweisen nach wie vor darauf, dass der Bau einer Untergrundbahn zu viele CO2-Emissionen verursache; sie wollen stattdessen eine Straßenbahn. Vor gut zehn Jahren verwarf jedoch der damalige schwarz-grüne Senat genau diesen Plan, eine Straßenbahnlinie auf der Strecke der nun geplanten U5 zu errichten – unter anderem weil sich in mehreren Stadtteilen Bürgerinitiativen dagegen gegründet hatten, die sich um den möglichen Lärm sorgten.