Ein Gespräch mit dem Fotografen Manu Brabo über dessen Arbeit in der Ukraine

»Wir dürfen den Krieg nicht ohne seine Konsequenzen zeigen«

Interview Von

Sie sind kürzlich erst aus der Ukraine zurückgekehrt. Wie verarbeiten Sie belastende Erfahrungen aus Kriegen und Konflikten nach Ihren Arbeitseinsätzen?

Es gibt Dinge, die man verarbeiten kann, und es gibt solche, die man nie ver­arbeiten wird. Ich sehe es in gewisser Weise wie einen Rucksack, der mit jedem Einsatz im Feld schwerer wird. Ich versuche, ihn weiterzutragen, so gut es geht. Gegen die Traumata kann man nicht kämpfen, man muss lernen, mit ihnen zu leben. Man kann verändern, wie man darauf zurückblickt, aber sie bleiben. Das ist der Preis, den ich für all die Erfahrungen, darunter zahllose ­unbezahlbare, zu bezahlen habe. Was ich aber brauche, wenn ich heimkehre, ist Ruhe. Ich entspanne in meinem Dorf im nordspanischen Asturien, Amandi, unweit von Villaviciosa, und gehe oft mit meiner Hündin Lea spazieren. Ich will für eine gewisse Zeit in Ruhe gelassen werden.

Wie bereiten Sie sich auf Einsätze in Kriegsgebieten vor? Und wie war es, als Sie das erste Mal ins Feld entsandt wurden?

Das erste Mal habe ich mich selbst in eine Konfliktregion geschickt, als Freelancer 2011 nach Libyen. Das war der erste harte Einsatz im Feld. Davor und danach habe ich auch sogenannte Postkonflikte oder eben Konflikte niedrigerer Intensität gecovert, etwa 2007 im Kosovo, 2009 in den palästinensischen Gebieten, in Haiti nach dem verheerenden Erdbeben. Es sind Einsätze, für die man trainiert sein muss. Man kann nicht einfach ankommen und glauben, man wäre ausreichend gewappnet, um sich in einen Krieg zu begeben. Man muss mit Situationen großer Anspannung umgehen können. Und in solchen Situationen muss man auch an die ­fotografische Umsetzung denken können. Sein Leben für ein Foto aufs Spiel zu setzen, ist eine Dummheit – und mehr noch, wenn dieses Foto dann überbelichtet ist (lacht). Für mich ist jeder Einsatz auch eine weitere Trainingseinheit, wenn man so will.

Sie kennen die Ukraine und vor ­allem auch die Ostukraine gut. Dachten Sie, dass der Konflikt zu einem russischen Angriffskrieg eskalieren könnte?

Ich bin seit 2014 jedes Jahr in die Ukraine und auch in den Osten gereist, mit Ausnahme der Jahre der Covid-19-Pandemie. Und nein, ich habe nicht gedacht, dass es so weit kommen könnte. Ich glaubte es nicht einmal am Tag des Angriffs. Ich dachte, das ist eine Lüge mehr, wie die Lügen der Wochen zuvor. Eine Eskalation im Donbass zur Destabilisierung erachtete ich als wahrscheinlich, aber nicht den Wahnsinn, der nun passiert. Daran dachten aber auch nur die allerwenigsten.

»Sein Leben für ein Foto aufs Spiel zu setzen, ist eine Dummheit – und mehr noch, wenn dieses Foto dann überbelichtet ist.«

Was hat Sie am meisten beeindruckt, betroffen oder bewegt bei ihrer jüngsten Ukraine-Reise?

Das ganze Ausmaß der Eskalation, obwohl ich ich die Situation im Land seit über acht Jahren verfolgt und begleitet hatte: Kiew ganz verlassen und leer zu sehen beispielsweise. In der Hauptstadt gab es Orte, die »meine Orte« waren, wo ich mich zu Hause fühlte. Es ist eine Stadt, zu der ich eine Beziehung habe, wo ich Freunde habe. Die Panik der Menschen zu sehen, die in Massen ihre Heimat verlassen, und auch die Stärke und den Mut derjenigen, die bleiben und ihr Land verteidigen, haben mich beeindruckt. Man sieht auch Schlangen Hunderter Menschen, die darauf warten, dass man ihnen ein Maschinengewehr gibt, auch wenn sie noch nie im Leben eines bedient haben. Auch diese Entschlossenheit hat niemand erwartet. Wie auch niemand erwartet hatte, dass die Ukraine dem ­Invasoren Russland derartig vehement und erfolgreich Widerstand leistet.

Was hat sich seit Ihrer ersten Reise in die Ukraine in der ukrainischen Gesellschaft verändert?

Hätte Wladimir Putin 2014 das gemacht, was er heute macht, also die ganze Ukraine angegriffen, dann wäre er wohl bei weitem nicht auf derart heftigen Widerstand gestoßen. Dann hätte sein Plan wohl funktioniert. Aber in den acht Jahren, die seither vergangen sind, hat sich eine ukrainische Identität gebildet, zu deren Entstehen Putin ungewollt beigetragen hat. Ganz gleich ob es russisch- oder ukrainischsprachige Ukrainer sind, die russischen Truppen waren und sind nirgends willkommen.

Haben Sie bei Ihrer jüngsten Reise in die Ukraine auch von der Seite der russischen Invasoren und der Separatisten berichten können?

Nein, diesmal nicht. Ich habe mich nicht einmal in deren Nähe begeben, ich erwartete da keine Zukunft, kein Überleben, das den Namen verdient. 2018 war ich in Donezk in der sogenannten Volksrepublik. Es ist traurig zu sehen, was daraus geworden ist: ein dysfunktionaler Staat, eine dysfunktionale Stadt, regiert von Mafiagruppen. Und schon 2018 sah die Situation dort nicht gut aus.

Wie würden Sie die wirtschaftliche Situation der Kriegsfotografen beschreiben?

Man muss wissen, was man tut und wie man sich organisiert. Und man muss vor allem wissen, wo die Grenzen sind, wann man welche Konditionen nicht mehr akzeptiert. Wenn jetzt eine große spanische Tageszeitung für ein Foto aus der Konfliktregion 30 oder 40 Euro bezahlen will, dann sollte man es nicht für diesen Preis verschleudern. Etwas anderes wäre es, wenn es eine Vereinbarung gibt, dass man über eine gewisse Zeit eben zehn Fotos am Tag zu diesem Preis abnimmt. Wir Kriegsfotografen müssen auch unsere Gehaltsgrenzen verteidigen. Den Markt prägen wir alle, und wenn jemand seine Arbeit verramscht, dann schadet er allen Kollegen. Natürlich ist gerade für Neulinge aller Anfang schwer, und manchmal macht man Arbeiten, die unterbezahlt sind. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich werde für 30 Euro pro Foto nicht mein Leben aufs Spiel setzen und ein, zwei Monate im Feld sein. Die Arbeit ist schlecht bezahlt, aber gerade deshalb müssen wir eben auch als Individuen auf besseren Konditionen bestehen.

Welche Grenzen setzen Sie? Was behalten Sie nur in Ihrer Erinnerung, welche Bilder kommen auf Speicherkarten, was bekommt die Öffentlichkeit zu sehen?

Das ist sehr variabel und hängt von der Situation ab. Leichen, denen die Innereien aus den Leibern quellen, sind für die Leser zu viel und entfernen sie von der Geschichte, die man erzählen will. Was wir aber auch nicht machen können, ist, den Krieg ohne seine Konsequenzen zu zeigen. Wenn man Tage im Feld ist und nur Leichen sieht, dann schickt man auch ein Foto zerfetzter Körper an die Redaktion. Auch wenn das Foto nicht veröffentlicht wird, weiß zumindest die Redaktion, welches Grauen sich vor Ort ereignet. Wir Fotografen im Feld und auch die Kollegen in den Redaktionen verschönern und versüßen den Krieg in gewisser Weise schon genug, damit die Gesellschaft dieses Grauen überhaupt verarbeiten kann. Zugleich kann man die Kriegs­fotografie anhand unseres europäischen, westlichen Wertekanons bewerten. Wenn ich Kriegsgefangene sehe, dann mache ich ein Foto, das sehe ich nicht als Tabu, solange man sie nicht in erniedrigenden Situationen fotografiert. Wenn ukrainische Kämpfer Videos ­ihrer Gefangenen machen und sie über soziale Medien verbreiten, finde ich das weitaus schlimmer, als wenn ich die Geschehnisse dokumentiere.

Wie gehen Sie mit heftigen Reaktionen auf Ihre Arbeit um?

Wenn ich Emotionen hervorrufe und auch angegriffen werde, dann denke ich mir, ich habe gute Arbeit geleistet. Je mehr ich beleidigt werde, desto besser waren meine Fotos. Denn dann habe ich Reaktionen ausgelöst bei Menschen, die das Gesehene nicht einordnen können.

Das ist nur ein Teil der Reaktionen. Zugleich werden Sie und Kollegen auch in den sozialen Medien von prorussischen Usern, Putin-Fans und Trollen aller Art angegriffen. Und es wird Ihnen und Ihren Kollegen, die aus erster Hand berichten, vor­geworfen, fake news zu verbreiten.

Ich suche, sofern ich die Zeit dazu habe, meist die Diskussion. Führt sie zu nichts, blockiere ich auch so manche User. Wenn jemand wie ein kompletter Idiot twittert, dann muss man zumindest aufzeigen, dass er ein kompletter Idiot ist. Da halte ich mich auch nicht zurück. Es wird immer Menschen geben, die die Realität leugnen, wie eben beim Coronavirus, das für manche gar nicht existiert. Früher waren solche Leute isoliert, das hat sich mit den sozialen Medien geändert. Sie fühlen sich nun stark im Schwarm und machen jede Menge Lärm, dabei sind sie nur wenige. Mir Falschinformationen oder unausgewogene Berichterstattung zu unterstellen, ist schon ein starkes Stück. Wir waren vor Ort, haben die Lage erlebt, mit den Menschen und Betroffenen gesprochen.

Wie sehen Sie die Debatte in der Linken und die Position jener, die eine Äquidistanz und Neutralität im Krieg wahren?

In westlichen Ländern kann man für Putins Angriffskrieg demonstrieren, vielerorts darf man an seinen Avatar in sozialen Medien das »Z«-Symbol zur Unterstützung von Russlands Krieg setzen. Man darf abstruse Meinungen und blödsinnige Behauptungen verbreiten, das ist Teil der Meinungsfreiheit, die wir hier genießen. All diese Menschen, die das tun, bestärken mich nur in meiner Gewissheit, dass wir es hier weit besser haben als die Leute in Putins Russland. Natürlich ärgere ich mich, wenn behauptet wird, Russland sei ein »linkes Land«, das stimmt längst nicht mehr. Und auch die »Linke«, die einen dort in den Gulag steckte, ist eine Linke, die ich nicht will. Dass es derart schwerfällt, Menschen mit solchen Meinungen zur Reflexion und zum Umdenken zu ­bewegen, erstaunt dennoch. Sie hätten ja Zugang zu all den relevanten Informationen. Aber die werden konsequent ausgeblendet, um eigene Standpunkte zu festigen.

Wann werden Sie in die Ukraine zurückkehren?

Mitte April. Wohin, weiß ich noch nicht, das hängt vom Kunden ab. Aber ich nehme an, es wird in den Osten der Ukraine gehen.