Small Talk mit Niklas Vögeding von der Berliner Beratungsstelle Veritas über Aus­wege aus dem Verschwörungswahn

»Kein Lichtschalter, den man an- oder ausmachen kann«

Die Berliner Beratungsstelle Veritas hilft Angehörigen von Verschwörungsgläubigen. Die »Jungle World« sprach mit Niklas Vögeding, zuständig für Beratung und Projektentwicklung, darüber, wie der Ausstieg gelingen kann.
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Xavier Naidoo hat in einem kurzen Video-Statement behauptet, er habe dem Verschwörungsglauben abgeschworen. Wie glaubwürdig ist das?

Wenn es allein dabei bleibt, halte ich es wenig glaubwürdig. Er ist schließlich nicht bloß auf Verschwörungsmythen »reingefallen«, sondern hat sie selber heftig propagiert. Entscheidend wäre, was nun folgt – zum Beispiel ein Engagement dagegen.

Wirklich bewerten kann ich den Fall aber nicht allein anhand eines dreiminütigen Videos. Ein Punkt spricht allerdings für die Glaubwürdigkeit: Naidoo sagt, auch seine Frau habe ihn zum Umdenken bewegt. Das kennen wir aus der Beratung: Wenn Menschen dem Verschwörungsglauben abschwören, dann nicht, weil sie an­dere Statistiken gelesen haben, sondern weil sie auf irgendeine Weise emotional involviert sind, zum Beispiel über Angehörige.

Diesen Ratschlag hört man häufig: nicht auf die faktische Ebene gehen, sondern auf die Beziehungsebene. Wie soll das konkret funktionieren?

Sobald sich der Verschwörungsglaube zum Weltbild verfestigt, ist er Teil des Selbst: Greife ich den Verschwörungsmythos an, greife ich das Selbstbild des Menschen an. Daher raten wir Angehörigen: Nicht auf logische Widersprüche in dem Weltbild eingehen, sondern auf Emotionen achten. Nicht diskutieren, sondern Fragen stellen – mit aufrichtigem Interesse. Zum Beispiel: Wie geht es dir damit, dass viele dich nicht ernst nehmen? Oder: Hast du Angst, wenn du an die große Verschwörung denkst?

Was gar nichts bringt, ist, den Verschwörungsgläubigen bloßzustellen. Die psychologischen Motive für den Glauben können mangelnde Selbstwertgefühle, aber auch Ohnmachtsgefühle sein. Das ist natürlich eine Herausforderung. An­gehörige müssen hier aufpassen, nicht ihre eigenen Grenzen zu überschreiten.

Einschränkend sollte man dazu sagen: Wenn zum Beispiel ältere Verwandte, die unerfahren im Umgang mit dem Internet sind, auf Fehl- oder Desinformation reinfallen, hilft es sehr wohl, auf die faktische Ebene zu gehen. Aber auch hier: nicht herablassend.

Sind Anhänger von Verschwörungsmythen Opfer oder Täter?

Einerseits fallen sie auf andere Menschen rein, die bewusst oder unbewusst Verschwörungserzählungen verbreiten. Andererseits richten sie oft selber Schaden an, gerade im sozialen Umfeld. In der Beratung spielen diese Kategorien daher, wenn überhaupt, eine ­untergeordnete Rolle: Etikettieren Angehörige den Verschwörungsgläubigen nur als Täter oder Opfer, verengt das die Perspektive und erschwert den Veränderungsprozess. Aber wir können die Verschwörungsgläubigen auch nicht als Opfer von ihrer Verantwortung freisprechen. Ich denke, in einer emanzipatorisch orientierten Gesellschaft gilt es, diese Widersprüche auszuhalten.

So oder so: Der Ausstieg aus dem Verschwörungsglauben ist ein langer Prozess, kein Lichtschalter, den man an- oder ausmachen kann. In einer aufgeklärten Gesellschaft sollte man aber offen dafür sein, wenn Menschen sich ändern, ihnen die Chance dazu geben und sie dabei unterstützen.