Das neue Album der Slackers und die Geschichte des Ska

Mülltonnen im Sonnenschein

Die New Yorker Band The Slackers hat nach sechs Jahren wieder ein Album veröffentlicht. An ihnen lässt sich die Geschichte des Ska erzählen – eines der am meisten missverstandenen Musikgenres überhaupt.

Was ist eigentlich Ska? Eine Antwort auf diese Frage lautet: ein Wort, das man so gut wie nie im deutschen Feuilleton liest. Denn Ska führt ein seltsames Dasein in der populären Kultur. Musikjournalisten nehmen ihn nicht sonderlich ernst (ein 2021 erschienenes Buch über das Genre trägt den vielsagenden Titel »In Defense of Ska«) und dementsprechend selten wird darüber berichtet. Und doch dürften die meisten Menschen, auch die ohne große Musikkenntnis, gleich etwas im Ohr haben, wenn sie an dieses Wort mit den drei Buchstaben denken. Die Antwort auf die Frage, was Ska eigentlich ist, ist allerdings etwas komplizierter, als es die Rezeption des Genres nahelegt.

Ska, entstanden Ende der fünfziger Jahre auf Jamaika und entgegen der Annahme vieler der Vorläufer des Reggae, ist bis heute die Musik einer Subkultur, die mit dem, was sich vor der Nebenbühne jedes beliebigen Festivals abspielt, wenn dort die Quoten-Skaband auftritt, nicht viel zu tun hat. Auf diesen Festivals ziehen Skabands Laufkundschaft an, die im Idealfall genug Spaß hat, um in der Zukunft gezielt Shows des jeweiligen Acts zu besuchen. Und so ergibt sich auf Ska-Konzerten nicht selten eine eigenartige Mischung aus einem Szenepublikum, das die gängigen Szenecodes kennt, und ­Gelegenheitsfans. Eher nicht auf einem Ska-Konzert anzutreffen hin­gegen sind jene kleinen Gruppen von ehemaligen Spex-Lesern, die darüber debattieren, ob der König des Ska nun Prince Buster oder Laurel Aitken hieß.

Wer sich darauf beschränkt, zur Ska-Musik der Slackers zu tanzen, ohne ihren Songtexten die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken, die diejenigen von Interpreten anderer Stilrichtungen genießen, dem wird eine Kernqualität der Band vorenthalten bleiben.

Kürzlich ist das neue Album einer US-amerikanischen Ska-Institution erschienen: »Don’t Let the Sunlight Fool Ya«, das 13. Studioalbum von The Slackers. Die Band gründete sich 1991 und obwohl sie den perfekten Namen für den zu dieser Zeit allgegenwärtigen Seattle-Sound gewählt hatte, könnte die Musik der Slackers kaum mit der von Nirvana oder Pearl Jam verwechselt werden. Das liegt natürlich insbesondere am Genre ihrer Wahl. Doch selbst wenn sie eine Rockband wären, würden sie nicht nach Seattle, nicht nach Grunge klingen. Wie schon die New York Times schrieb: »The Slackers spielen den Sound von New York.«

Die Band aus Manhattan spielt seit 2004 in derselben Besetzung, bestehend aus Vic Ruggiero (Orgel, Gesang), Glen Pine (Posaune, Gesang), David Hillyard (Saxophon), Marcus Geard (Bass), Jay Nugent (Gitarre) und Ara Babajian (Schlagzeug). Die Musik der Slackers ist weniger fein geschliffen als die vieler ihrer Weg- und Zeitgenossen, wobei sie ihre Kanten eher aus der Vorliebe der Bandmitglieder für Garage Rock, Rock ’n’ Roll und Jazz gewinnt als durch die ansonsten gängigen generischen Punkeinlagen. Der rhythmische Unterbau hingegen orientiert sich an den klassischen Ska-, Rocksteady- und Reggae-Bands Jamaikas aus den Sechzigern (Rocksteady ist ein Zwischenglied zwischen Ska und Reggae, der das Tempo des Ska bereits deutlich drosselte).

Die Band selbst bezeichnet ihre Musik gerne als »Jamaican Rock and Roll«. Dementsprechend schweißtreibend können ihre Liveshows werden. Vor der Pandemie gaben sie jährlich mehr als 100 Konzerte weltweit. Diesen Herbst soll nun endlich eine für 2020 geplante Europatour nachgeholt werden.

Das vielleicht deutlichste Alleinstellungsmerkmal der Slackers liegt in dem Stellenwert, den das Songwriting in ihrer Musik genießt. Ein gutes Ska-Konzert ist nicht unbedingt auf die Qualität von Texten und Songideen angewiesen: Ska ist Tanzmusik. Klassischer Ska hat Groove, moderner Ska Geschwindigkeit, in beiden Fällen liegt die Anziehungskraft der Liveshow eher in der instrumentellen Darbietung als im Inhalt der Texte. Wer sich aber darauf beschränkt, zur Musik der Slackers zu tanzen, ohne ihren Songtexten die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken, die diejenigen von Interpreten anderer Stilrichtungen genießen, dem wird eine Kernqualität der Band vorenthalten bleiben.

Auf dem Album »Redlight« von 1997 etwa finden sich die Songs »Married Girl« und »Soldier«, Ersterer eine makabre Liebesgeschichte, Letzterer einer der beklemmendsten Songs über Polizeigewalt, die in den Neunzigern veröffentlicht wurden. »Married Girl« ist weniger ein Song, der eine heimliche Beziehung zu ­einer verheirateten Frau romantisiert, als einer, der diese Romantisierung auf den Kopf stellt, indem er zum äußersten Mittel greift: Ehefrau und Liebhaber ermorden den Ehemann, den sie als das einzige Hindernis für ihre bedingungslose Liebe begreifen – um dann festzustellen, dass die Beziehung durch den Ruch des Verbotenen überhaupt erst ihren Reiz entwickelt hatte: Drei Wochen nach dem Mord ist Schluss.

In »Soldier« berichtet Ruggiero zu Bossanova-Rhythmus und Surf-Gitarre von einer Auseinandersetzung mit einem New Yorker Polizisten. »Soldier, get ready for a fight / In your jacket black as night«, singt er und rückt den Polizisten in die Nähe eines Marodeurs in Uniform. Der Song belässt es nicht dabei, eine simpli­fizierte Kritik an der Polizei zu formulieren, die diese in die Nähe von Militarismus und Faschismus rückt, sondern hinterfragt seinen eigenen moralischen Standpunkt, wenn er auf die Attraktivität dieses faschistisch-martialischen Erscheinungsbildes zu sprechen kommt: »Officer, hold me close and tight / On a cold December night / Doing me wrongs that feel so right / Beneath a cold electric light«. Es ist dieselbe Macht, mit der der Polizist seinem Opfer Gewalt antut, durch die er auch attraktiv wird, Faszination auslöst: »Please let me take another bite / Just one kick, then say goodnight / Your boots so long, your legs so strong / Singing your football victory song.« Das gewalttätige Auftreten des Polizisten ist anziehend: eine Anziehung, die sich bis ins Football-Stadion nachverfolgen lässt.

Nach »Redlight« erschien mit »The Question« 1998 ein Doppelalbum voller kleiner Alltagsbeobachtungen, die zusammen eine traurige Grundstimmung ergeben; in Songs wie »And I Wonder« oder »No More Crying« schwingt eine subtile Melancholie mit, die extrovertierter Musik ein introvertiertes Wesen verleiht. »The Question« ist tanzbare Orientierungslosigkeit, ein Lied über ­Einsamkeit.

2003 verknüpfte die Band diese Melancholie mit dem Weltgeschehen, als sie mit »Close My Eyes« ein Album im Schatten von 9/11 und dem Zusammenbruch utopischer Lebensentwürfe veröffentlichte. Der Titeltrack des Albums ist melancholischer Rocksteady, dessen Erzähler sich verängstigt an den Eskapismus der neunziger Jahre klammert: »So feel free, go steal and rob / Revolution ain’t my job / And if I sing your happy song / Please don’t tell me I am wrong«. In »Bin Waitin’« fragt sich Ruggiero angesichts des erneuten Stimmungswechsels von Optimismus zu Desillusionierung frustriert, ­warum er eigentlich immer noch auf »a new mankind« mit »a new state of mind« warten muss. »Eine der großen Bürden einer Skaband ist diese Vorstellung von Ska als Zirkus-, Karneval-, Partymusik, was es einfach nicht ist«, so der Bassist Marcus Geard in einem Interview nach Erscheinen des Albums. »Wir hatten immer das Gefühl, das überwinden zu müssen, und haben uns besonders angestrengt, diesem Stereotyp nicht zu entsprechen, weil wir so wirklich nicht wahrgenommen werden wollen.«

Die Slackers verstehen es, zwanglos Elemente anderer Genres in ihren Sound zu integrieren, ohne mit der Grundlage dieses Sounds, dem Off-Beat, brechen zu müssen. Das hat es ihnen ermöglicht, zu einer der beliebtesten Bands einer traditionsbewussten Szene zu werden und gleichzeitig unberechenbar zu bleiben. Bisweilen gab es bereits Cross-overs zwischen Ska und den von den Slackers integrierten Genres, manchmal hat es aber auch nur mit den individuellen musikalischen Neigungen der Mitglieder zu tun.

Auf dem Album »Wasted Days« von 2001, auf dem diese musikalische Abenteuerlust am besten eingefangen ist, findet sich der Song »Dave’s Friend« über das Abdriften eines Freundes in die Drogenabhängigkeit, dessen trostlose Geschichte auf einem klassischen Ska-Beat von einer Slide-Gitarre, wie man sie aus Blues und Country kennt, begleitet wird. Das Album »The Slackers« von 2016 bediente sich bei Garage Rock und sogar Psychedelic Pop. Glen Pine nutzt seinen zweifellos enormen Lungenumfang nicht nur für seine Posaune, sondern auch, um den Großteil der souligen Stücke im Repertoire zu singen, während David Hillyards Vorliebe für Jazz immer dann offensichtlich wird, wenn sein Saxophon während der Soli ein Eigenleben zu entwickeln scheint.

Ruggiero und Hillyard betonten jüngst in einem Interview mit dem Rolling Stone, wie wichtig das kulturelle Leben ihrer Heimatstadt New York für ihren Werdegang gewesen sei. Anfang der neunziger Jahre zog es Mitglieder sowohl der Ska-Legende The Skatalites als auch der wegweisenden Reggae-Band The Upsetters nach New York; manche von ihnen nahmen Ruggiero und Hillyard unter ihre Fittiche und brachten sie so in direkten Kontakt mit den Ursprüngen der Musik, die sie so sehr liebten. Doch auch die musikalische Vielseitigkeit der Stadt hat ihre Spuren hinterlassen. »Ich stand mal in einem Plattenladen«, erinnert sich Ruggiero, »da kam Joey Ramone rein und sagte mir, dass Springsteen cool ist.«

Die Musik der Ramones wurde von Morrissey einmal als »all trashcan-in-the-sun New York« beschrieben, eine Umschreibung, die auch auf The Slackers zutrifft. So wie die Ramones Beach-Boys-Harmonien mit der Glorifizierung des Hässlichen kombinierten, nutzen die Slackers das vermeintliche Sommergenre Ska, um Geschichten aus dem tiefen Schatten zu erzählen. Der zwischen Rocksteady und Soul pendelnde Titeltrack ihres neuen Albums fängt ­diese Dynamik hervorragend ein: »Don’t let the sunlight fool ya / It’s cold outside«. Sonnenschein allein bedeutet keine Wärme – und bringt im schlimmsten Fall die Mülltonnen zum Stinken.

Um zu verstehen, dass die gängige Vorstellung von Ska relativ wenig mit der Musik der Slackers oder anderen Bands wie Hepcat aus Los Angeles (bei denen Hillyard gespielt hatte, ehe er nach New York zog) oder Westbound Train aus Boston zu tun hat, die sich an den Ursprüngen des Genres orientieren, muss man sich dessen Geschichte genauer anschauen. In der sogenannten zweiten Welle wurde dem bereits totgeglaubten Ska in Großbritannien ein zweiter Frühling beschert, nachdem er von der Musik jamaikanischer Einwanderer und ihrer Kinder zum Soundtrack der jungen Arbeiterklasse geworden war; bereits damals wurde die Musik schneller, der Beat weniger synkopiert und rockiger.

Die Slackers verstehen es, zwanglos Elemente anderer Genres in ihren Sound zu integrieren, ohne mit der Grundlage ihres Sounds, dem Off-Beat, brechen zu müssen. So bleiben sie unberechenbar.

Diese zweite Ska-Welle wurde schnell mit dem Begriff 2-Tone assoziiert, dem Namen des Labels der Specials, auf dem die meisten dieser neuen Skabands ihre Platten ver­öffentlichten. Der Name 2-Tone spielte, genauso wie das Schachbrettmuster in der Gestaltung der Ver­öffentlichungen und auch beim Kleidungsstil, auf den Zusammenhalt der Arbeiter-Kids ungeachtet ihrer Hautfarbe an. 1979 war Ska politische Musik, zu der man tanzen konnte; eine Verbindung migrantischer Musik mit der Pop-Tradition Großbritanniens, die es bis in die Charts schaffte. Die hochpolitische Band The Specials knackte zwischen 1979 und 1981 mit jeder ihrer Singles die Top Ten der britischen Charts.

Als das Genre eine Dekade später in den USA eine erneute Wiederbelebung erfuhr, verlor es diese politische Konnotation weitgehend. Es ist diese dritte Welle, welche die Karikatur von Ska als hyperschnelle Partymusik für realitätsfremde Kids aus der Mittelschicht hervorbrachte. Komplett fair ist dieses Bild auch hier nicht, dennoch wiesen die Songs ­erfolgreicher Bands des Skapunk wie Reel Big Fish, Less Than Jake oder The Mighty Mighty Boss­tones mehr Parallelen zum damaligen Poppunk-Revival auf als etwa zu den Specials, obwohl auch die bereits von Punk beeinflusst waren.

Wird den ersten beiden Ska-Wellen noch zumindest ihre kulturhistorische Relevanz zugestanden, ist die sogenannte Third Wave wenig mehr als ein Running Gag, der bereits in der Sitcom »Brooklyn Nine-Nine« aufgegriffen wurde. »Ska ­defines who I am as a person and I will never turn my back on ska«, ­verkündet deren Hauptfigur Jack Peralta in einer auf 1998 datierten Rückblende. Ska wird als derart inhaltslose Musik wahrgenommen, dass die bloße Vorstellung, eine Obsession dafür zu entwickeln, absurd erscheint.

Dass es auch anders geht, illus­triert nun »Don’t Let the Sunlight Fool Ya«, die am stärksten auf die Gegenwart Bezug nehmende Slackers-LP seit »Peculiar«, einem Album, das 2006 unter den Eindrücken des Irak-Kriegs entstand. Diesmal stehen Pandemie und Polarisierung im Mittelpunkt. »Boogie Nowhere« ist Tanzmusik, die ihren Gegenstand verloren hat, weil man nirgends mehr hin kann zum Tanzen. In »Nobody’s Listening« trifft 2-Tone auf Rock ’n’ Roll, während Ruggiero feststellt, dass alle reden, aber niemand zuhört, wodurch jede Diskussion müßig wird. Menschen öffnen sich, um sich mitzuteilen, und verschließen sich, um das, was sie von sich gegeben haben, nicht hinterfragen zu müssen. Aus der Feder von Marcus Geard stammt »I Almost Lost You«, ein melancholischer Rocksteady in der Tradition von »Close My Eyes«, der sich im Kopf eines Krankenhausbesuchers abspielt, der um die Gesundheit seines Partners bangt. Der Song passt zur Covid-19-Pan­demie, handelt aber, wie die Zeile »Looking at you lying there / Stitches showing through your hair« nahelegt, von einer Kopf-OP.

Die Platte endet mit »Time Won’t Set You Free«, einer mit Dub liebäugelnden Nummer von Posaunist und Zweitsänger Glen Pine. »The sun came to beat me down«, singt Pines wohltrainierte Soul-Stimme unter der Last eines verzerrenden Effekts, »but the crescent moon will always rescue me.« Es stünde den Slackers schlecht zu Gesicht, wenn sie sich auf das Klischee des heilbringenden Sonnenscheins einließen. Lieber ­suchen sie nach dem Licht in der Nacht. Das hat sie zu einer der unterschätztesten Bands – nicht nur des Ska – der vergangenen 30 Jahre gemacht hat. Und zu einer, die unbedingt berücksichtigt werden sollte, wann immer die Frage fällt: Was ­eigentlich ist Ska?

The Slackers: Don’t Let the Sunlight Fool Ya (Pirates Press Records)