Transnistrien will sich nicht in den Ukraine-Krieg hineinziehen lassen

Bloß nicht provozieren lassen

In der abtrünnigen Region im Osten der Republik Moldau hat es nach Angaben der örtlichen Behörden mehrere Anschläge gegeben. Russland und die Ukraine beschuldigen sich gegenseitig, für diese verantwortlich zu sein.

Die Angriffe gaben Rätsel auf. Am 25. und 26. April kam es in Transnistrien zu drei Explosionen. In der Hauptstadt ­Tiraspol wurde nach Angaben der örtlichen Behörden das Gebäude des Ministeriums für Staatssicherheit beschädigt. Eine Explosion fand demnach auf einem Militärgelände in der Nähe des Dorfs Parcani statt, und in der Nähe des Dorfs Majak stürzte eine Fernsehantenne ein. Nach Angaben der transnistrischen Behörden wurde durch die Anschläge niemand verletzt oder getötet. Über die Hintergründe der Anschläge ist wenig bekannt. Sie geben Anlass zu befürchten, dass sich der russische Angriff auf die Ukraine auf die Republik Moldau ausweiten könnte.

Transnistrien ist ein abtrünniger Landstrich im Osten der Republik Moldau mit einer langen Grenze zur Ukraine. Ähnlich wie die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk, die auf ukrainischen Territorium liegen, und wie die Republiken Südossetien und Abchasien auf georgischem Territorium, ist Transnistrien ein stark von Russland abhängiges quasistaatliches Gebilde. Russland unterstützt Transnistrien mit kostenlosen Gaslieferungen und Rentenzahlungen an die transnis­trische Bevölkerung. Zudem unterhält es dort einen Militärstützpunkt mit etwa 1 500 russischen Soldaten.

Präsident Wadim Krasnoselskij behauptete, dass die Spuren der Täter der jüngsten Anschläge in die Ukrai­ne führten, doch er beschul­digte nicht explizit den ukrainischen Staat.

Die Explosionen in Transnistrien erinnern an den Kriegsanlass, auf den Russland sich in Donezk und Luhansk berief: Der ukrainischen Armee warf der Kreml die Verübung eines »Genozids an der russischsprachigen Bevölkerung« in den »Volksrepubliken« vor. Auf Grundlage dieser Lüge evakuierte Russland vor Beginn der Invasion Zehntausende Bewohnerinnen und Bewohner aus Luhansk und Donezk.

Doch die Lage in Transnistrien ist komplizierter als die in den »Volksrepubliken«. Im Gegensatz zu deren Führung liegt die transnistrische nicht uneingeschränkt auf der Linie der russischen Führung. Auch wenn die Repu­blik Moldau Transnistrien nicht als ­eigenen Staat anerkennt, kooperieren beide miteinander. Über Moldau können transnistrische Produkte auf den Weltmarkt exportiert werden, was den Machthabern Transnistriens Devisen sichert.

Daher überrascht es nicht, dass der transnistrische Präsident Wadim Krasnoselskij nach den Angriffen versuchte, zu deeskalieren. Er redet über den Krieg in der Ukraine nicht in der von Russland verwendeten Rhetorik. So nennt er den ukrainischen Staat nicht »Kiewer Regime« und spricht nicht von »Faschisten« oder »Neonazis« in der ukrainischen Regierung. Zwar behauptete er, dass die Spuren der Täter der jüngsten Anschläge in die Ukraine führten, doch er beschuldigte nicht explizit den ukrainischen Staat und stellte zugleich klar, dass Transnistrien im Ukraine-Krieg weiterhin neutral bleibe. »Ich vermute, dass diejenigen, die den Anschlag organisiert haben, das Ziel hatten, Transnistrien in den Konflikt hineinzuziehen. Ich kann mit Überzeugung sagen, dass das nicht gelingen wird«, sagte er in einer Fernsehansprache am 26. April.

Es gibt allerdings Anzeichen dafür, dass Teile der transnistrischen Führung oder der in Transnistrien stationierten russischen Armee versuchen könnten, das Gebiet auf der Seite Russlands in den Krieg im Nachbarland ­hineinzuziehen. Ende März evakuierte Transnistrien Schulen aufgrund von Bombendrohungen. In den von transnistrischen Behörden veröffentlichten Bekennerschreiben forderten angebliche Bombenleger die Befreiung Transnistriens von der russischen Besatzung. »Ruhm für Moldau, Tod den Russen!« stand den transnistrischen Behörden zufolge in dem wahrscheinlich gefälschten Bekennerschreiben. Die Bombendrohungen waren eine leere Pro­vokation. Ein Anschlag auf transnistrische Schulen wurde nicht versucht.

In Reaktion auf die Bombendrohungen lobte Präsident Krasnoselskij nicht etwa Polizei und Geheimdienst dafür, dass sie einen Anschlag abgewendet hätten. Er wies vielmehr darauf hin, dass das Verbreiten von Lügen eine Straftat sei. Das deutet darauf hin, dass es über die Position, die Transnistrien zum Krieg in der Ukraine einnehmen soll, einen heftigen Konflikt innerhalb der transnistrischen Herrscherclique gibt.

Russlands staatliche Propaganda verbreitet, die ukrainische Armee stecke hinter den Anschlägen. Sie weist darauf hin, dass es in dem transnistrischen Dorf Cobasna ein großes Muni­tionslager aus Sowjetzeiten gebe, das die ukrainische Armee erobern wolle – Transnistriens Innenministerium zufolge das größte Munitionsdepot Europas. Das klingt jedoch nicht plausibel, die Versorgung mit Waffen scheint für die Ukraine derzeit gesichert. Seit Wochen erhält die ukrainische Regierung Zusagen für Waffenlieferungen, deren Wert beläuft sich auf mehrere Milliarden US-Dollar. Da wäre es überflüssig und extrem riskant, das Territorium ­eines benachbarten Staats für alte So­wjetwaffenbestände anzugreifen.

Dem ukrainischen Militärgeheimdienst GUR zufolge nutze Russland Transnistrien seit Jahren für Munitionsschmuggel. Er befürchtet, Russland könne von Transnistrien aus nicht nur die Ukraine angreifen, sondern auch die Republik Moldau.